Zeitschrift für Sozialismus und Frieden 11/06

Herausgeber: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (e.V.)

Spendenempfehlung: 2,50 €


November / Dezember 2006


Inhalt


Redaktionsnotiz

Warum wir so häufig Geschichtliches bringen, fragte man uns kürzlich in einigen Leserbriefen. Nun, wir denken, dass nur diejenigen, die die Vergangenheit, und damit meinen wir die jüngere Geschichte des Kapitalismus/Imperialismus und die Geschichte des Sozialismus, kennt und daraufhin untersucht hat, wie sich einerseits - im Kapitalismus -  die noch immer geltenden logischen Strukturen der Kapitalverwertung durchsetzen und wie sich andererseits - im Sozialismus - Handlungsfehler, also Fehler der Theorie, der Partei, daraus resultierend Fehler in der Gestaltung des Sozialismus auswirken, kann die richtigen Schlüsse für eine richtige Politik in der Gegenwart und für die Zukunft ziehen. Wir haben eine fürchterliche Niederlage hinter uns. Diese Niederlage muss auf ihre Ursachen hin untersucht werden – und zwar genau und wissenschaftlich.

Ein allgemeines Gerede von „Errungenschaften, aber auch  Deformationen“, „Erfolgen, aber auch Entstellungen und Defiziten“, „Licht und Schatten“, „inneren und äußeren Gründen“ und was es ähnliches noch mehr gibt, hilft da nicht weiter. Es sind seit der Konterrevolution in Deutschland inzwischen 17 Jahre vergangen! Wer noch heute solch allgemeines Zeug daherquatscht, macht sich doch nur noch lächerlich, denn etwas mehr als solche Floskeln sollten wir in den 17 Jahren schon herausgefunden haben, oder?

Deshalb also unser Schwerpunkt Geschichte. Und dazu gehört – auch wenn es hin und wieder hart und schwer zu lesen ist - an wichtiger Stelle die Analyse der ökonomischen Entwicklung des Sozialismus und die Analyse der wissenschaftlichen ökonomischen Theorie, also der politischen Ökonomie des Sozialismus.

Ansonsten bringen wir ja aber auch noch alles mögliche andere, so wie im vorliegenden Heft:

Es gibt vermischte Meldungen, Nachrichten von unserem Fernstudium, ein Fortführen der ökonomischen Diskussion Roznyai/Gossweiler/Jacobs, Einschätzungen des aktuellen Trotzkismus und der „Antideutschen“ und zwei große Schwerpunkte: Diese sind zum einen Lateinamerika und zum anderen die Geschichte des Sozialismus. Dafür gibt es konkrete Gründe: Der Jahrestag der konterrevolutionären Umtriebe in Ungarn 1956 hat zu unsäglichen Stellungnahmen geführt. Wir versuchen, die Tatsachen aufzuspüren. Und zu diesem Schwerpunkt passt die Analyse der Probleme in Polen seit 1956 und auch ein Blick auf den so genannten „Austromarxismus“, auch wenn dieser etwas älter ist. Dass es heute und hier auch anders geht als mit solchen Aufweichungserscheinungen wie in Ungarn, Polen, Österreich damals oder beispielsweise in Deutschland, Frankreich, Italien und immer noch Österreich heute, zeigt der Grundsatzartikel der Kommunistischen Partei Griechenlands. Warum so etwas wie die griechische Partei hier bei uns in Deutschland so schwer machbar zu sein scheint, wird beispielhaft deutlich im Artikel von Edith Dömeci, den wir Euch deshalb an dieser Stelle sehr empfehlen.

Dies ist das letzte Heft in diesem Jahr 2006. Deshalb wünschen wir Euch allen einige geruhsame Feiertage und vor allem ein neues Jahr 2007, das so kämpferisch, unbeugsam, aktiv und erfolgreich wie möglich ausfallen möge! Wir sind entschlossen, unser Bestes dafür zu tun.

Und da wir schon beim Thema Fest und Feiertage sind: Unsere Bücher, also „Auferstanden aus Ruinen – Zur Verteidigung des revolutionären Erbes der DDR“ und „Imperialismus und antiimperialistische Kämpfe im 21. Jahrhundert“ eignen sich ganz ausgezeichnet dafür, verschenkt zu werden. Wir liefern portofrei und zu Sonderpreisen!

Wir werden im Januar 2007 wieder mit einem Stand bei der Rosa-Luxemburg-Veranstaltung der „jungen Welt“ vertreten sein, ebenso natürlich an der LLL-Demo teilnehmen. Wir rufen Euch alle auf, ebenfalls an der Demonstration zum Friedhof der Sozialisten teilzunehmen. Und vielleicht sehen wir uns ja auch am Stand bei der „jungen Welt“.

Das übliche Problem können wir Euch nicht ersparen: Geld ist noch immer knapp. Dies Heft hat Überlänge, ist deshalb sowohl im Druck als auch beim Porto teurer. Wir bitten Euch um Hilfe.

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Redaktion Offensiv, Hannover

Berichte und Informationen

Heinz W. Hammer

Che, Cuba und die Lage der Jugend in der BRD heute

Veranstaltung:
»Internationaler Jugendtreff: Für eine neue Welt und eine neue Kultur / BIR-KAR-Jugend«;
Jugendzentrum Essen, 07.10.2006

Als Einladungsplakat für Eure heutige Veranstaltung »Für eine neue Welt und eine neue Kultur« habt Ihr das weltbekannte Bild des argentinisch-cubanischen Arztes, Revolutionärs und Guerrilleros Ernesto »Che« Guevara ausgewählt. Dieses Photo wurde von dem cubanischen Photographen Alberto Diaz Gutierrez[1] aufgenommen, und zwar am 5. März 1960 bei einer von über 100.000 Menschen besuchten Massenkundgebung in Havanna[2]. Anlass war die am Vortag von der CIA organisierte Bombenexplosion des belgischen Frachters »Coubre«, bei der 137 Menschen ermordet und weitere Hunderte verletzt worden waren. Dieses Attentat war eines der ersten US-organisierten Terrorakte, mit denen die cubanische Revolution seit ihrem Sieg am 1. Januar 1959 liquidiert werden sollte und die bis heute andauern. In einem spektakulären Prozeß vor dem Povinzgericht in Havanna wurde im November 1999 die US-Regierung wegen all dieser Terrorakte angeklagt. Bewiesen und namentlich belegt wurde, dass die USA für den Tod von 3.478 cubanische Menschen verantwortlich waren. Hinzu kamen 2.099 durch Terroranschläge dauerhaft behinderte Menschen. Das Gericht verurteilte die USA am 09.11.1999 zur Zahlung von 181 Milliarden US-Dollar. Nicht eingerechnet darin waren die mehr als 82 Milliarden US-Dollar Schaden, die dem cubanischen Staat seit Beginn der umfassenden Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade vor nunmehr 45 Jahren entstanden sind.

Che Guevara war, ist und bleibt eine Symbolfigur im weltweiten Kampf gegen solchen imperialistischen Terrorismus. Aber der am 28. Juni 1928 im argentinischen Rosario geborene Che, der am 9. Oktober 1967, also vor fast genau 39 Jahren, im bolivianischen La Higueras auf Anweisung der CIA ermordet wurde, dieser Che war natürlich mehr als eine Kopiervorlage für T-Shirts, sondern ein lebendiger Mensch und Kämpfer: Vom jungen Studenten, der auf seinen Motorradreisen durch Lateinamerika mit dem Elend der Arbeiter und Bauern konfrontiert wurde, über die Jahre als Comandante der cubanischen Rebellenarmee an der Seite Fidel Castros, als Chef der cubanischen Nationalbank und Industrieminister, schließlich sein Engagement zur Entwicklung der Trikont-Solidaritätsbewegung bis zu seinem Guerrillakampf im Kongo und Bolivien – ihn zeichnete nicht nur ein unbezähmbarer Kampfeswille, sondern auch seine Authentizität, die Deckungsgleichheit von Wort und Tat aus. Er selbst drückte diese Haltung einmal bei einem Vortrag vor Studenten der Technischen Fakultät in Havanna so aus: »Nicht derjenige ist der bessere Revolutionär, der gegen alles ankämpft, was sich ihm in diesem Augenblick entgegenstellt, gegenüber dem, der argumentiert und versucht, einem Compañero Studenten oder Arbeiter oder Bauer von der Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeit zu überzeugen. Im Gegenteil, ein viel besserer Revolutionär ist derjenige, der letzteres [also die Überzeugungsarbeit; hwh] vermag, der es darüber hinaus mit seinem eigenen Beispiel belegt, denn es gibt nichts überzeugenderes als das eigene Beispiel, um eine Idee auszudrücken oder zu verteidigen.«[3]

Che Guevara hatte großes Vertrauen in die schöpferische Kraft der Jugend, stellte an sie aber auch ebenso große Anforderungen. So meinte er in seiner Rede zum 2. Jahrestag der Gründung des UJC (Union de Jovenos Comunistas – Union der Jungkommunisten) 1962 u.a.: »Was ist und was soll die UJC sein? Die UJC muss sich durch ein einziges Wort charakterisieren lassen, das lautet: Vorhut. Ihr, Compañeros, Ihr müsst die Vorhut in allen Bewegungen sein; die ersten, die zu einem Opfer bereit sind, das die Revolution von Euch fordert, egal um welche Opfer es sich handelt – die ersten bei der Arbeit, die ersten beim Lernen, die ersten bei der Verteidigung des Landes (...) Hinzu kommt eine ausgeprägte Opferbereitschaft, und zwar nicht nur in den heroischen Augenblicken, sondern zu jedem Zeitpunkt: Aufopferung, um dem Compañero bei den kleinen Aufgaben zu helfen, damit die Arbeit geleistet wird, damit er seine Aufgaben in der Schule und beim Studium erfüllt, damit er sich weiter verbessern kann in irgendeinem Gebiet, immer sensibel gegenüber den Mitmenschen sein, das heißt: Wir fordern, dass jeder „Junge Kommunist“ menschlich ist, und zwar so menschlich, dass er sich dem besten im Menschen nähert und dass er dahin gelangt durch die Arbeit und das Studium sowie durch die ständige Solidarität mit dem Volk und mit allen Völkern der Welt. Seine Sensibilität muss so geschärft werden, dass er Beklemmung fühlt, wenn ein Mensch in irgend einem anderen Teil der Welt ermordet wird, und dass er begeistert ist, wenn in irgend einem Teil der Welt die Fahne der Freiheit aufgepflanzt wird.«[4]

Was für ein zutiefst humanistisches und von prinzipiellem Internationalismus erfülltes Grundverständnis einer menschlichen Gesellschaft! Und zugleich wie meilenweit entfernt von der Realität des Jahres 2006 in den kapitalistischen Ländern, nicht zuletzt in der Bundesrepublik Deutschland:

Kinderarmut

Der Kinderschutzbund verwies zum Weltkindertag am 20. Juni 2006 darauf, dass in der BRD mehr als 2,5 Millionen Heranwachsende auf Sozialhilfeniveau leben. Von den rund 15 Millionen Kindern ist jedes sechste von Armut betroffen. Besonders besorgniserregend sei die Lage im Osten. Der Paritätische Wohlfahrtverband hatte bereits im August 2005 ausgerechnet, dass dort in vielen Städten fast jedes dritte Kind von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe leben muss. In einigen Städten liege die Quote sogar deutlich über 22 Prozent.[5] In unserer Stadt sind das rund 19.000 Kinder, das heißt jedes sechste Kind in der »Einkaufsstadt Essen« lebt in Armut.[6] Die Zahl der armen Kinder hat sich bundesweit seit 2004 bzw. seit Einführung von Hartz IV mehr als verdoppelt. Der Kinderregelsatz für Hartz IV-Opfer liegt gerade mal bei  207,- € im Monat.[7]  Das Kinderhilfswerk UNICEF weist darauf hin, dass die Folgen der Benachteiligung von Kindern bereits sichtbar sind: Mangelhafte Ernährung, die sich unmittelbar auf die Gesundheit der Heranwachsenden auswirkt, Herausbildung von immer mehr abgeschlossenen Vierteln, in denen es »keine guten Schulen, Ausbildungsmöglichkeiten und ausreichend soziale Unterstützung« gäbe. Ihre Eltern können sich keinen Nachhilfeunterricht leisten, es fehlt das Geld für die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, für Klassenfahrten, Zoo-, Theater- und Schwimmbadbesuche.[8] Die von der BRD unterzeichnete UNO-Kinderrechtskonvention definiert elementare Grundrechte, darunter eine freie Entwicklung ohne Diskriminierungen sowie das Recht auf Bildung und Ausbildung, was erst recht für Jugendliche mit Migrationshintergrund gilt. In der BRD-Realität spielt sich tagtäglich das Gegenteil ab.

Analphabetismus auf dem Vormarsch

Anfang September 2006 musste die CDU-Bundesbildungsministerin zugeben, dass ca. 4 Mio. Menschen in der BRD nicht richtig lesen und schreiben können. Rund 900.000 Menschen verlassen jährlich ohne Abschluss die Schule. Für vier Mio. sog. »funktionelle Analphabeten« bedeutet das noch mal schlechtere Chancen auf einen Arbeitsplatz, Ausschluss von großen Teilen des gesellschaftlichen Lebens, Minderwertigkeitskomplexe, Einsamkeit, Isolierung. Frau Schavan verkündete nun lauthals als Ziel, die Zahl der betroffenen in den nächsten fünf Jahren zu halbieren, während zugleich die Mittel für Kurse an den Volkshochschulen im Verlaufe von zwei Jahren um 40 Prozent zurückgefahren und die Kursgebühren gerade jetzt wieder deutlich angehoben wurden – was für eine Bankrotterklärung für dieses Land.[9] Vielleicht sollte die Bundesregierung mal daran denken, Entwicklungshelfer für Alphabetisierung aus Cuba anzufordern!

Ohne Bücher in die Schule

Wie zum Hohn auf die genannten Beispiele wurde jetzt auch noch die Schulmittelfreiheit für arme Familien abgeschafft. Der Branchenverband der Schulbuchverlage beklagt im September 2006, dass der Schulbuchkauf immer mehr zur Privatsache werde: Seien noch vor einigen Jahren die Lernmittel in vielen Bundesländern kostenlos verliehen worden, müssten Eltern zum Schulstart 2006 in 11 von 16 Bundesländern den Schulbuchkauf ganz oder mit einem Eigenanteil finanzieren.[10] Das heißt in der Praxis, dass zu Beginn des neuen Schuljahres erstmals Kinder von Hartz IV-Opfern ohne Schulbücher in der Klasse saßen, weil dieser Eigenanteil mit dem Hartz IV-Regelsatz einfach nicht aufgebracht werden kann. Hier werden Menschenschicksale bewusst zerstört. In Essen sind rund 9.000 Schulpflichtige betroffen, davon etwa 1.500 im Essener Westen. Der CDU-/Grüne geführte Stadtrat in Essen wurde durch zahlreiche Proteste gezwungen, dieses Thema zumindest anzusprechen. Das Ergebnis teilt der nicht gerade für revolutionäre Umtriebe bekannte »Westanzeiger« am letzten Mittwoch unter der treffenden Schlagzeile »Kein Geld für Bildung« auf Seite 1 mit: »Die Ratsmehrheit von CDU, Grünen, FDP/AE, Bürgerbündnis und Republikanern lehnte in namentlicher Abstimmung ab, Gelder für die Finanzierung von Schulbüchern für Arbeitslosengeld II-Familien zu übernehmen. 60.000 Euro wären etwa notwendig, damit für alle Essener Kinder Chancengleichheit gesichert wäre« und fasst korrekt zusammen: »Eine Stadt im Bildungsnotstand«.[11] 

Eine gewisse Konsequenz kann man den genannten Parteienvertretern nicht absprechen, sind es doch die Abgeordneten genau jener Parteien, die sämtliche Verarmungsgesetze (Hartz IV usw.) ja alle gemeinsam beschlossen haben und weiter beschließen! Es sind eben diese Politiker, die dafür verantwortlich sind, dass, wie der Philologenverband am 24.09.06 alarmiert meldete, derzeit rund 16.000 Lehrerstellen fehlen und damit jede Woche geschätzte eine Million Unterrichtsstunden ersatzlos ausfallen![12] Aber wir wollen auch nicht ungerecht sein: Schließlich wird das Geld dringend an anderer Stelle gebraucht, vor allem, um deutsches Militär grundgesetzwidrig wieder in imperialistische Kriege rund um den Globus zu schicken. Das kostet… So wird zwar die Qualität der Schulausbildung immer weiter gedrückt. Dafür wird aber aktuell an der Totalüberwachung der Schülerschaft gearbeitet. Die NRZ berichtete Anfang Oktober von einem schier unglaublichen Vorgang, wonach die Kultusministerkonferenz an der Erstellung eines »Steckbriefes« aller Schülerinnen und Schüler arbeite. Erfasst werden sollen alle erreichbaren Daten. »Wer bleibt wie oft sitzen und wer schafft dennoch das Abitur, wer belegt welche Leistungskurse? Soziale Stellung der Eltern, nationale Herkunft, Umgangssprache in der Familie, Wechsel des Wohnorts, der Schule – oder gar ein Umzug über Landesgrenzen?« Datenschützer protestieren bereits heftig gegen die langfristige Total-Erfassung der individuellen Bildungsverläufe von zwölf Millionen Schülern, die in der Geschichte der Bundesrepublik ihresgleichen suchen würde.[13]  Nun ja, wenn der Jugend schon die Bildung geklaut wird, sollen sie wenigstens komplett ausspioniert werden…

In der »Kulturhauptstadt« Essen wurde jetzt übrigens der sog. »Masterplan Sport« der Stadtverwaltung bekannt, der massive Einschnitte im Sportbereich vorsieht. U. a. ist die Schließung von zwei Bädern, zwei Sporthallen und acht Sportanlagen geplant.[14] Es sei daran erinnert, dass diese Politik von gerade den Typen exekutiert wird, die uns fast jeden Abend in der Tagesschau anlügen, dass ihr brutaler Sozialabbau ja nur »im Sinne unserer Kinder und Kindeskinder« sei.

Schulen für den Kapitalismus?

Zugleich ist die Realität gerade in den »armen« Stadtteilen so, dass die Bausubstanz von immer mehr Schulgebäuden verkommt, die Ausstattung gegen null gefahren wird und als angebliche »Lösung« mit dem Zauberwort »PPP«, also »Public-Private-Partnership«, Investitionen von Privatinvestoren angepriesen wird, letztlich also die Privatisierung des Bildungswesens.[15] Solche Investoren sind jedoch keine Samariter, sondern dem Profitstreben unterworfen. Im Klartext: Schulen sollen zukünftig ebenfalls dem Profitstreben unterworfen werden und wenn dann mal der Investor Pleite geht, werden auch die Schulen dicht gemacht. Was für Zukunftsaussichten.

Von der Schule in die Arbeitslosigkeit

Die offiziell zugegebene Arbeitslosenquote in Essen liegt seit Jahren bei rund 15 Prozent. Im September waren das gut 41.900 Menschen zuzüglich 2.100 Teilnehmer in sog. Trainingsmaßnahmen und beruflicher Weiterbildung. 4.384 Jugendliche unter 25 waren in diesem Monat (offiziell) erwerbslos. Hinzu kommen laut städtischen Zahlen vom Juni rund 3.500 junge Menschen, die als Teilnehmer von Trainings, Gemeinwohlarbeit, Kursen und anderen Maßnahmen als arbeitssuchend gelten. Macht allein in unserer Stadt unterm Strich rund 8.000 junge Essener ohne Arbeit![16] Da haben die Essener Schulabgänger doch schon mal was, worauf sie sich freuen können. Denn zum Internationalen Tag der Jugend am 12. August veröffentlichte das Statistische Bundesamt die neuesten Zahlen zur Jugenderwerbslosenquote, die bundesweit bei 15 %  liegt.[17] Nach den am 01.09.06 von der Bundesagentur für Arbeitslose veröffentlichten Zahlen sind auch im neuen Ausbildungsjahr bundesweit noch 215.000 junge Menschen ohne Lehrstelle. Nach den offiziellen Zahlen aus Nürnberg kommen in diesem Ausbildungsjahr auf rund 703.000 Ausbildungsinteressenten nur 402.000 betriebliche Ausbildungsplätze. Gewerkschaftliche Gremien und Erwerbslosengruppen halten selbst diese dramatischen Zahlen noch für geschönt. In unserem Bundesland meldete sich Mitte September der DGB-Vorsitzende von NRW,  Guntram Schneider, mit einem »Notruf« an die Öffentlichkeit: In diesem Jahr würden in unserem Flächenland 57.000 von 150.000 Jugendlichen keine Lehrstellen erhalten. Nähme man die Schulentlassungsjahrgänge ab 2002 hinzu, konnten über 100.000 Jugendliche keine Ausbildung beginnen. Fast 60.000 junge Erwachsene unter 25 gehörten zu den ungelernten arbeitslosen Jugendlichen und ähnlich groß sei die Anzahl der 25 – 30-jährigen Erwerbslosen ohne Berufsausbildung.[18]

Die Herrschenden nennen das ganze »angespannte Lage auf dem Ausbildungsmarkt«, als ginge es um das Kaufen und Verkaufen von Obst auf dem Wochenmarkt und nicht um das ureigene Recht der Jugend auf Zukunft!

Viele Betriebe nutzen diese Katastrophe zur Senkung der Ausbildungsstandards und zu verschärfter Ausbeutung: Regelungen des Jugendarbeitsschutzes wie bspw. das Wochenend- und Nachtarbeitsverbot werden von interessierten Politikern und Kapitalisten als »Ausbildungshemmnisse« bezeichnet und sollen nach deren Willen möglichst abgeschafft werden. Im Bundesarbeitsministerium soll derzeit bereits eine entsprechende Gesetzesvorlage erarbeitet werden. Arbeitsschutzkontrollen in Ausbildungsbetrieben sollen gelockert, unbezahlte Überstunden während der Ausbildungszeit die Regel werden, während zugleich der Einfluss der Betriebsräte und Jugendvertretungen zurück gedrängt werden soll.[19] Auf ins 19. Jahrhundert! Auch hier soll ganz bewusst der Jugend die Zukunft geklaut werden.

Es sei daran erinnert: All diese menschenfeindliche Politik findet statt im, wie es der Armutsforscher Prof. Dr. Christoph Butterwege richtig formuliert, »ökonomisch und politisch zweitmächtigsten Land der Welt«[20] und führt aus: »In Wirklichkeit ist die Bundesrepublik so reich wie nie zuvor. Nur ist der gesellschaftlich erwirtschaftete Reichtum extrem ungleich verteilt. Die einen werden immer reicher, die anderen immer ärmer und die Armen immer zahlreicher. Um es plastisch zu sagen: Während die Gebrüder Albrecht, Eigentümer der Aldi-Ketten Nord und Süd, laut dem US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ ein Privatvermögen von über 30,6 Milliarden Euro besitzen, gibt es 2,5 Millionen Kinder, die auf Sozialhilfeniveau leben. Tiefer könnte die Kluft innerhalb einer Gesellschaft kaum sein, und die Konzentration des Reichtums nimmt weiter zu, während sich das Elend in unserer Gesellschaft ausbreitet.«[21]

Um mir hier nicht den Vorwurf  »Einseitigkeit« einzuhandeln, möchte ich in aller Deutlichkeit auch darauf hinwesen, dass sich natürlich die gramgebeugten Bundestagsabgeordneten unermüdlich um all diese Probleme kümmern. Am 28. September sollten z.B. auf Antrag der CDU/CSU und SPD zum einen Veränderungen der Regelsätze der Sozialhilfe, die sich auf ca. 7,5 Millionen Menschen auswirken, und zum anderen Vorschläge für Maßnahmen zur Bekämpfung der oben skizzierten Kinderarmut diskutiert werden. Die Bundesregierung hat diese Debatte angesetzt für den Zeitraum zwischen 3:10 und 4:20 Uhr nachts…[22]

Cuba – Die Alternative

Im sozialistischen Cuba, obwohl ein ungleich ärmeres Land der Dritten Welt, wird ein diametral entgegen gesetzter Entwicklungsweg beschritten:

Nach dem Sieg der Revolution am 1. Januar 1959 bestand die erste Großtat in der flächendeckenden Alphabetisierung des Landes.

1959 gab es in ganz Cuba 30.000 – 40.000 (reiche!) Menschen mit Universitätsabschluss, heute sind es 700.000!

Während in der BRD gerade Studiengebühren eingeführt werden, um die Masse der Arbeiterkinder von den Unis fern zu halten, ist in Cuba der Zugang zur Bildung auf allen Ebenen für alle kostenlos.

Vor 50 Jahren gab es in Cuba gerade mal 3.000 Ärzte, heute sind es 70.000; und einige zehntausend aus anderen Ländern der 3. Welt studieren an den cubanischen Universitäten, 28.600 Mitarbeiter des cubanischen Gesundheitswesens sind in den Staaten der 3. Welt in humanitärer Mission tätig.[23]

In der BRD werden Krankenhäuser privatisiert und das gesamte Gesundheitswesen der kapitalistischen Ökonomie unterworfen, in Cuba dagegen ist jegliche medizinische Behandlung, von der Erkältung bis zur Herzoperation, kostenlos, - und zwar für alle.

Diese Aufzählung ließe sich locker noch stundenlang fortsetzen, aber ich glaube, dass ich damit »etwas« mein Zeitlimit überschreiten würde. Also stelle ich mal die Frage, woher denn dieser gravierende Unterschied (zwischen der reichen, kapitalistischen BRD und dem amen, sozialistischen Cuba) wohl kommt. Der bekannte kommunistische Philosoph Hans Heinz Holz brachte die Antwort in einer Würdigung Fidel Castros zu dessen 80. Geburtstag im August auf folgenden Nenner: » (…) Um das politisch garantierte Recht auf Ausbildung zu erfüllen, werden Lehrer [in Cuba, hwh] in entlegene Gebiete abgeordnet, wo sie an 167 Orten jeweils weniger als fünf Kinder unterrichten. Nach kapitalistischer Kalkulation wäre das eine Verschwendung öffentlicher Mittel. Für den cubanischen Sozialismus bedeutet es die Einlösung eines Menschenrechts für Individuen. Verschwendung materieller Ressourcen muss man eindämmen – gerade unter den Bedingungen des durch die Blockade hervorgerufenen Mangels. Aber Ausgaben für die Menschen sind nicht Verschwendung, sondern der Zweck der Gesellschaft.«[24]

Aus cubanischer Sicht wird der selbe Umstand folgendermaßen beschrieben: »Wir glauben fest daran, dass kostenlose und universelle Gesundheitsvorsorge und Ausbildung, anständige Arbeit und Unterkunft unveräußerliche Rechte sind, die jedemzustehen, einschließlich denen, die solcher Rechte in den Vereinigten Staaten beraubt sind.«.

Nachrichten aus einer anderen Galaxie? Beinahe: Diese Grundsatzerklärung stammt vom Präsidenten der cubanischen Nationalversammlung, Ricardo Alarcón, vom 20. Mai 2006 bei der Kundgebung »Hände weg von Venezuela und Cuba« in Havanna.

Weil Cuba täglich beweist, dass eine menschenwürdige, sozialistische Gesellschaft machbar ist, zieht es den Hass des Imperialismus und all seiner Medien auf sich. Aus denselben Gründen halten wir von der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e.V. es für notwendig, dass wir das so lebendige Erbe des Che Guevara, die cubanische Alternative, mit Zähnen und Klauen gegen alle Angriffe des Imperialismus verteidigen.

Von Cuba lernen, heißt aber auch, die eigene Gesellschaft zu verändern, den Kapitalismus im eigenen Land zu bekämpfen und eine menschenwürdige, gerechte und humanistische Zukunft anzustreben. In der 2. Deklaration von Havanna vom 4. Februar 1962 heißt es: »Die Pflicht eines jeden Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen.«

Ehren wir Che am Vorabend des Jahrestages seiner Ermordung in diesem wahrhaft internationalistischen Sinne.

Viva Che!  Viva Fidel!  Viva Cuba - Es lebe der proletarische Internationalismus!

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit.

Heinz W. Hammer,
Essen, Sept/Okt. 2006


Ingo Niebel

Regionalblock der Volksmacht gegründet - Südamerika organisiert Druck "von unten"

In Boliviens Hauptstadt Sucre ist am letzten Oktober-Wochenende aus einer langgehegten Idee Wirklichkeit geworden: seit dem 29. Oktober 2006 gibt es den Regionalen Block der Volksmacht. Dieser Zusammenschluss von Vertretern indigener und sozialer Bewegungen, selbstverwalteten Betrieben und Bauern sowie Menschenrechtlern und Vordenkern des Sozialismus des 21. Jahrhunderts hat den ersten Schritt unternommen, um sich als Akteur in der politischen Landschaft Lateinamerikas zu etablieren.

dass es sich hierbei keineswegs um eine Außenseiterveranstaltung handelte, zeigte die Tatsache, dass Boliviens Präsident Evo Morales zu diesem dreitägigen Treffen eingeladen hatte. Zwar konnte er letztendlich wegen der schwierigen Verhandlungen über die Verstaatlichung der Öl- und Gassektors mit den multinationalen Energieunternehmen nicht daran teilnehmen, aber an seiner Stelle nahm Vizepräsident Álvaro Garcia die Forderungen des Regionalen Blocks entgegen.

Diese verlas Benigno López von der Bauernbewegung aus Formosa in Argentinien. Die Kongressteilnehmer fordern eine vierstündige Fernsehdebatte mit den nord-, mittel- und südamerikanischen Präsidenten. Evo Morales übertrugen sie die Aufgabe, ihnen beim Präsidentengipfel, der am 8./9. Dezember im bolivianischen Cochabamba stattfinden wird, diesen Platz im Programm zu reservieren. Zur Diskussion stehen vier grundlegende Fragen: Warum werden die Auslandsschulden weiterhin bedient? Wann werden endlich sämtliche US-Basen geschlossen? Wann und wie finden die Wiederbelebung der nationalen Landwirtschaft und die Reindustrialisierung statt? Wann kommt es zur Einheit von Bevölkerung und Militär in der Form von Milizen und Volksarmeen? Alle vier Punkte markieren den Ausstieg aus dem Neoliberalismus. Sie trafen beim Vizepräsidenten García auf vollstes Verständnis, der in Anlehnung an Karl Marx feststellte: "Das Gespenst vom Anti-Neoliberalismus oder besser gesagt vom Postneoliberalismus durchläuft den Kontinent." In seiner Rede entwickelte der zweite Mann im bolivianischen Staat das langfristige Ausstiegsszenario aus diesem Wirtschaftskonzept. Zum Schluss sagte er: "Man muss Mechanismen erfinden, um eine starke, kontinentale Arbeiterbewegung wieder zu stärken, weil es sein könnte, dass in der Vereinigung der indigenen Bauernbewegung mit einer neuen Arbeiterbewegung die wahre soziale Kraftentwicklung des Sozialismus des 21. Jahrhunderts wurzeln könnte." Garcías Ausführungen bedeuteten zugleich die Adelung dieser sozialistischen Idee, die damit beginnt, Praxis zu werden. Zwei ihrer Vordenker, Allin Cottrell und Heinz Dieterich, letzterer an führender Stelle, nahmen an dem Treffen teil. Dieterich sprach von einem "historischen Kongress" und stellte fest: "Eine Idee, deren Zeit gekommen ist, ist nicht aufzuhalten."

Der Mitorganisator der Veranstaltung, Alexis Ponce, von der Permanenten Menschenrechtsvereinigung (APDH) aus Ecuador, unterstreicht die Bedeutung dieses Regionalen Blocks, weil dieser die lateinamerikanische Integration mit Inhalten fülle, die für die Völker wichtig sind. Hieraus ergebe sich eine Art Beziehung, die auf Allianzen zwischen Regierung und sozialen Bewegungen beruhe, "wobei letztere ihre Autonomie behalten, um die grundlegenden und strategischen Projekte anzugehen." Dazu zählen konkret die erwähnten vier Punkte. Es liegt nun bei Morales, diese auf die Tagesordnung des Präsidentengipfels zu setzen.

Ingo Niebel,
Köln*

Weitere Informationen zum Regionalen Block der Volksmacht (i.d.R. auf Spanisch): www.bloquerpp.org

*Der Verfassers des Artikels nahm am o.g. Treffen der Völker und progressiven Staaten zur Befreiung der Patria Grande teil. Er ist Autor des Buches "Venezuela not for Sale" (Berlin: Kai Homilius, 2006.) und steht für Veranstaltungen zur Verfügung (bei Interesse bitte Redaktion kontaktieren!). Vom 29.11. - 6.12.2006 wird er erneut als Internationaler Wahlbeobachter in Venezuela weilen.


Edith Dökmeci

Die Klassenlinien gehen quer durch alle Lande, manchmal quer durch unsere Bewegungen - Reflexionen zur Veranstaltung "Für eine antikapitalistische Linke", 30.10.06

Dem Bürgerschaftsabgeordneten der PDS Gert Julius ist zu danken für die o.g. Initiative, waren doch hochrangige Vertreter antikapitalistischer Gruppierungen aus unserem Land an einen "Tisch" gebeten und sollten doch Impulse gesetzt werden für die Stärkung einer antikapitalistischen Linken. Es diskutierten: Ulla Jelpke (PDS/MdB), Heinz Stehr (DKP), Götz Dieckmann (Rotfuchs), D.Koschmieder (Junge Welt) ,(?) Fritz (KPD) unter reger Beteiligung der Teilnehmer/innen der gut besuchten Veranstaltung.

Als ein nicht parteigebundener Mensch, der seit weit über dreißig Jahren auch international friedensaktiv ist, möchte ich dennoch einige kritische Anmerkungen zu der Veranstaltung machen, die ich trotz des guten Willens aller Beteiligten mit einigem Missbehagen verließ:

Vorwärts weisende Impulse werden von dieser Veranstaltung vermutlich nicht ausgehen und zwar trotz oder vielleicht gerade wegen des allseits beschworenen Bekenntnisses zur einheitlichen Handlungsbereitschaft. Dabei wären solche Impulse so dringend nötig, weil wie, Götz Dieckmann völlig zu recht warnend darstellte, sozialpolitisch enttäuschte, verarmte Menschen nach Ultrarechts abwandern, wo in demagogischer Manier die Neonazis bürgernah soziale Hilfsdienste anbieten. Diese zunehmend Verzweifelten, prekarisierten Massen und die Millionen Menschen, die intuitiv erfassen, dass der Kapitalismus allmählich seine asoziale Fratze wieder zeigt, dass er zum Krieg und in die schiere Barbarei treibt, suchen nämlich nach einer greifbaren, vorstellbaren, annehmbaren Alternative. Diese aber wird ihnen solange vorenthalten, solange die antikapitalistischen Kräfte an dem vom Gegner in die Welt gesetzten und propagandistisch überaus geschickt verbreiteten Bild vom gescheiterten und vor allem inhumanen Sozialismus, der angeblich nur die Barbarei mit umgekehrten Vorzeichen war, festhalten. Mit anderen Worten, solange Sozialisten, Kommunisten und alle gefühlsmäßig antikapitalistischen Kräfte (zu letzteren zähle ich mich) es nicht vermögen, sich mit aufrechtem Gang zu ihrer eigenen Geschichte bekennen, solange solche Historiker wie ein Kurt Gossweiler mit seinen Analysen und Betrachtungen über das Scheitern des Sozialismus nicht wenigsten gleichberechtigt zu Wort kommen können in der Debatte um eine neue antikapitalistische Linke, solange gibt es keinen entscheidenden Schritt voran, meine ich.

Sozialpsychologisch gesprochen scheint mir die Art von Selbstkritik an der die Linke krankt die Identifikation mit dem Aggressor zu beinhalten. Solange es keinen selbstbewussten Umgang mit der eigenen Geschichte der sozialen Bewegung gibt, solange nicht darauf hingewiesen werden kann in Gesprächen mit den enttäuschten, verzweifelten und im Grunde nach einem Ausweg suchenden Zeitgenossen, was menschheitsgeschichtlich schon einmal erreicht war und wenn wir nicht kenntnisreich und souverän aufzuzeigen vermögen, woran es zerbrach, solange kommen wir nicht aus der Defensive.

Wie gesagt, die Menschen um uns herum sind völlig hoffnungslos und wenden sich natürlich verzweifelt auch von der in sich zerstrittenen Linken ab. Aber der Streit ist nicht das zentrale Problem, sondern der Inhalt des Streits. Wer wie das hoffnungszarte Pflänzchen "attac" mit seinen völlig undemokratischen Strukturen oder die PDS immer nur nach der Akzeptanz durch die Mächtigen sucht oder wessen Sozialismusbekenntnis immer blasser wird vor Scham darüber, was der Sozialismus alles angerichtet hat in der Welt, kann genauso wenig eine menschheitsrettende Perspektive aufzeigen, wie derjenige, der die Einheit um ihrer selbst willen beschwört.

Meines Erachtens hätte es auch eines Vertreters jener Revisionismusforschung auf dem Podium bedurft, die sich, dessen sehr bewusst, um kleine Zeitschriften wie „offen-siv“ oder die „Zeitschrift für streitbaren Materialismus“ scharen. Es hätte Positionen, wie sie der Historiker und Faschismusforscher Dr. habil. Kurt Gossweiler etwa in seiner „Taubenfußchronik“ sehr detailliert nachzeichnet, dargestellt werden müssen. Dann wäre es auch zu einem echten Streitgespräch gekommen, das Erhellendes bzw. den Fortgang der Bewegung Blockierendes zu Tage gefördert hätte. So wurden Unterschiede in den Positionen der Podiumsteilnehmer verwischt, wurde Dissens, den es selbst innerhalb von RotFuchs um Grundpositionen gegeben hat, unter den Teppich gekehrt unter der falschen Voraussetzung, dass Einigkeit alles sei.

Meines Erachtens gilt es zwar, einig im tagespolitischen Kampf anzutreten, aber eine ehrliche Debatte stärkt die Kampfkraft mehr als eine Scheinharmonie, bei der die wirklichen Konfliktlinien verschwinden.

Die Lehren aus dem Scheitern des Sozialismus einerseits, der ja nicht in einer offenen Schlacht besiegt wurde, sondern von innen heraus durch Subversionsstrategien und schließlich durch Kapitulation vor der scheinbaren Überlegenheit des Kapitalismus und andererseits das Überleben des Sozialismus auf einer kleinen Insel wie Kuba, ganz nah am „Bauch der Bestie“, verdeutlichen doch, dass die ideologische Klarheit, die Klassen- und Imperialismusanalyse und daraus resultierende Kampfbereitschaft und Überzeugungskraft auf lange Sicht zum Sieg führen können (nicht müssen, wenn wir freiwillig kapitulieren).

An dem Beispiel einer konkreten „Kampflinie“, die uns Friedensbewegte diesen Sommer über quälte, lässt sich dies besonders verdeutlichen:

Die Friedensbewegung konnte nicht zu einer klaren, eindeutigen Positionierung gegenüber dem Aggressionskrieg Israels gegen den Libanon finden, so gab es etwa in Berlin unfruchtbare, demobilisierende Auseinandersetzungen um die Aufrufe für die Bündnisdemos mit den arabischen Vereinen. Die PDS tat sich furchtbar schwer mit einer klaren solidarischen Haltung (ähnliches gilt für den nach wie vor drohenden Krieg gegen den Iran). Kernpunkt der Auseinandersetzung war die Äquidistanz, die zu Tätern und Opfern gesucht wurde.

Der im Visier imperialistischer Kriegsstrategien stehende Staat wird jeweils diffamierender Grundsatzkritik unterzogen, die man heutzutage bei Verwendung gleicher Maßstäbe auch gegenüber fast allen  anderen Staaten üben müsste, vor allem gegenüber jenen Ländern, die die „Intervention“ mit Hilfe heuchlerischer Vorwände, auf die die Opposition hereinfällt, planen.

Eine klare Analyse der imperialistischen Geostrategie, eine auf einer klassenmäßigen Herangehensweise fußende Betrachtung würde niemals in eine solche Falle führen, die schließlich bei den antideutschen Positionen landet. Den Staat Israel als sakrosankt aus der Kritik herauszunehmen ist ja im Grunde nichts als die Fortschreibung des Antisemitismus mit anderen Vorzeichen. Nicht die Amis, die Deutschen oder die Israelis sind „böse“, genau so wenig wie die Libanesen oder die Hisbollah oder die Iraner per se die „Guten“ sind, die Klassenlinien gehen doch quer durch alle Lande, manchmal quer durch unsere Bewegungen.

Auch in der DKP-Zeitung UZ fanden sich, gut verpackt in die Leserbriefspalten – unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit – pauschale Diffamierungen der Hisbollah.

Das mag von meiner These wegführen, dass nur die Aufarbeitung des neuen Revisionismus in der Arbeiter- und sozialistischen Weltbewegung aus der Sackgasse der Marginalisierung derselben führen wird. Meines Erachtens aber zeigt sich hier genau das grundlegende Problem, das sich in allen Tageskämpfen wieder findet.

Hoffnung kommt doch in diesen finsteren Zeiten genau von jenen Kräften, die der Gefahr des Revisionismus zumindest im Augenblick nicht zu erliegen scheinen: Kuba (Venezuela und die weiter gehende Ausstrahlung des kubanischen Modells auf Lateinamerika und die Welt, siehe etwa der „Havannagipfel der blockfreien“). Auch den verzweifelt tapferen Versuch des kleinen asiatischen Davids Nordkorea, sich gegen Goliath zu wehren, möchte ich hier anführen und die Parteien Griechenlands und der Türkei, die Schimmer einer Klarheit in die Welt strahlen.

Die Zeitung „ND“ kann man ja aus Gründen der Inkonsequenz und des Opportunismus kaum noch lesen, ebenso wenig wie den „Freitag“, der doch aus ganz anderen Organen hervorging.

Eine in diesem Umfeld geradezu glänzende Ausnahme macht hier die „junge Welt“, die wirklich eine große Hilfe für eine neue Bewegung sein kann, aber sie steht nicht nur ziemlich allein, sondern ist auch empfänglich für opportunistische oder revisionistische Thesen, siehe etwa Berichterstattung zum 50. Jubiläum des XX. Parteitages der KPdSU, die teilweise hinter die der bürgerlichen Presse zurückfiel oder jüngst zum Jahrestag der ungarischen konterrevolutionären Umtriebe von 1956. Die Rosa-Luxemburg-Konferenzen der „jungen Welt“ spielen eine wichtige mobilisierende Rolle. Initiativen wie die Brechtkonferenz oder die medienkritische Konferenz sind zwar im Grundsatz eine gute Sache, aber zum Inhalt und Ablauf ließe sich Vieles im obigen Sinne Kritikwürdiges anführen. Das Beste an der Brechtkonferenz war fast noch der faszinierende Vortrag des von Brecht selbst bearbeiteten Manifests, des Inhalts wegen.

Abschließend möchte ich hiermit anregen, eine Diskussionsveranstaltung zu initiieren, an der Menschen aus dem Umfeld von Dr. Gossweiler und den genannten Publikationen gleichberechtigt teilnehmen können. Vor allem scheint es mir auch dringend geboten, jüngere Menschen einzubeziehen, vielleicht vom Jugendverband Solid oder der SdAJ oder aus dem Marxismus-Studienkreis des Blattes „offen-siv“.

Trotz des hier gesagten oder gerade deswegen ist dem Initiator und Moderator der Schöneberger Gespräche ganz besonders zu danken, weil er sich doch bemüht, den Diskurs öffentlich voranzutreiben, vielleicht auch einmal mit Vertretern der hier genannten Strömungen.

Edith Dökmeci,
Berlin

Die Autorin ist Studienrätin, GEW-Mitglied und Mitglied der mitten im ersten Weltkrieg konstituierten NGO WILPF/IFFF


Heinz W. Hammer

Anmerkungen zum Trotzkismus

In der RotFuchs-Ausgabe Nr. 10/06 erschien unter dem Titel »Nachdenken über den Trotzkismus« ein Beitrag zu diesem Thema. Ich teile die kritische Analyse des Autors Dr. Ernst Heinz und möchte sie hier zu einem aktuellen Aspekt ergänzen. Dr. Heinz schreibt richtigerweise »… [war für] das Wirken der von ihm [Trotzki] 1938 gegründeten „IV. Internationale“ besonders ein wütender Antisowjetismus kennzeichnend«. Konsequenterweise führen die heutigen trotzkistischen Sekten diese Haltung weiter, indem sie offen zur Konterrevolution im von allen Seiten bedrängten sozialistischen Cuba aufrufen. So bezeichnet die »SAV«-Gazette »Solidarität« in einem Grundsatzartikel vom September 2006 die cubanische Revolutionsführung als »Führungsriege der Bürokratie«, die das sowjetische »Kommandosystem des stalinistischen Kreml-Regimes ebenso übernommen hat wie Privilegien und Einparteienherrschaft«. Deshalb, so der Aufruf der Sektierer, »muss die kubanische Arbeiterklasse das bürokratische System überwinden und demokratische Strukturen aufbauen. (…) Deswegen muss die kubanische Arbeiterklasse ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, die bürokratischen Herrschaftsformen überwinden und auf Basis demokratischer Komitees auf allen Ebenen in Wirtschaft und Gesellschaft eine sozialistische Demokratie anstreben.« Läßt man das Wörtchen »sozialistisch« weg, so ist der Text fast identisch mit dem imperialistischen Bush-Report »Für ein freies Cuba«.

In die gleiche Kerbe schlagen übrigens die sich ebenfalls ultrarevolutionär gebende maoistische Politsekte MLPD. In einem Cuba-Beitrag in der online-Ausgabe ihrer Gazette »Rote Fahne« vom 02.08.2006 erkennen sie u.a. den »bürokratisch-kapitalistischen Charakter des Castro Regimes«, das »seinen gesellschaftlichen Niedergang« bewirke. Die daraus resultierende Forderung der MLPD-Knallchargen an das cubanische Volk: Es solle endlich den von den Gelsenkirchener Arbeiterführern propagierten »echten Sozialismus« erkämpfen. »Dazu braucht es den Aufbau einer marxistisch-leninistischen Partei, die überzeugende Schlussfolgerungen aus der revisionistischen Entartung der jetzigen Partei- und Staatsführung zieht.«

Die Textbausteine sind ebenfalls Bush- und Trotzkismuskompatibel und haben dasselbe Ziel: Sturz der revolutionären Regierung Cubas und Liquidierung des cubanischen Sozialismus. Diese Figuren wissen sehr genau, was sie sagen und sind daher durchaus mehr als »unverantwortliche politische Abenteurer«, wie Dr. Ernst Heinz in seinem Beitrag abschließend schreibt.

Es sind offene Konterrevolutionäre, mit denen es keine Zusammenarbeit geben kann und darf.

Heinz-W. Hammer,
Essen


Kurt Gossweiler

Die „Antideutschen“ – wütende Verteidiger der schlimmsten Reaktionäre in der Welt

Ich kann ebenso wenig „antideutsch“ wie antifranzösisch, antirussisch oder antijüdisch sein, weil ich Kommunist, Marxist und damit gegen jeglichen, auch „umgestülpten“ Nationalismus und Rassismus bin und weil ich es unsäglich reaktionär und dumm finde, eine ganze Nation oder ein ganzes Volk wegen der reaktionären Seiten ihrer/seiner Geschichte am liebsten von der Erde verschwinden zu lassen.

Das Schlimmste ist, dass das „Antideutschtum“ offenbar einen Sog dahin entwickelt, dass seine Anhänger sich zu wütenden Verteidigern der schlimmsten Reaktionäre in der Welt machen – wenn die nur auch „antideutsch“ sind, und sogar, wenn sie das gar nicht sind, sondern nur dafür ausgegeben werden. Dafür sind die Zeitschrift „konkret“ und der Artikeln von Nassauer in „Streitbarer Materialismus“ (Heft 26 und 27), „Deutscher Jihad“, erschreckende Beispiele.

Dass Nassauer Aufnahme in Eggerdingers „Streitbaren Materialismus“ finden konnte, beun-ruhigt mich sehr. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, dass Nassauer die Verbrechen des faschistischen deutschen Imperialismus aufwühlt und bewegt, und natürlich schon gar nicht, dass Nassauer Nazideutschlands verbrecherische Vorstöße in die sowjetischen Ölgebiete schildert und verurteilt.

Aber wie schildert er die Welt nach 1990? Gibt es bei ihm außer dem deutschen Imperialismus noch eine andere imperialistische Macht, die ebenfalls die Völker unterdrückt, Kriege um Öl vom Zaune bricht, nach Weltherrschaft strebt? Bei Nassauer gibt es das nicht. Es gibt bei ihm keine weltbeherrschenden Vereinigten Staaten von Amerika, es gibt keine Brzezinski-Doktrin und auch keine Bush-Doktrin, die besagt: das 21. Jahrhundert ist das us-amerikanische Jahrhundert, nach dem Ende der Supermacht Sowjetunion „sind wir die einzige Supermacht und müssen dies für immer bleiben: jeden Versuch, eine uns annähernd gleiche Macht aufzubauen, werden wir – von wo und von wem er auch ausgeht – mit allen Mitteln zerschlagen.“

Nein, bei Nassauer gibt es das alles nicht. Ob der Balkan, ob Irak, ob Iran, überall entfachen nur „die Deutschen“ Krieg und Expansion, - die USA werden nur erwähnt als jene, die den deutschen Expansionismus zu bremsen suchen. Und was die Araber und die Palästinenser betrifft, die sind immer nur die Helfershelfer der Deutschen bei deren Bestreben, ihre Konkurrenten auszuschalten und die Juden zu verfolgen und zu vernichten. Die BRD kommt nicht etwa als das vor, was sie im Nahen Osten in erster Linie ist, - der Fürsprecher und Geldgeber Israels gegen die Palästinenser, sondern als Ermunterer und materieller Unterstützer der Palästinenser bei deren Bemühungen, Israel zu bekämpfen, um es auszulöschen.

Wie bei „konkret“ und bei den radikalsten Antideutschen in „Bahamas“ ist auch bei Nassauer Antiamerikanismus gleichgesetzt mit Antisemitismus, und natürlich ist für beide auch Antizionismus nur verkappter Antisemitismus. Das Antideutschtum ist deshalb, genauer betrachtet, in Wahrheit Parteinahme für den gegenwärtig rabiatesten, expansionistischsten Imperialismus im Weltmaßstab, für den US-Imperialismus, und für die brutalste expansionistische Macht im Nahen Osten, Israel: damit aber in Wahrheit Parteinahme auch für den deutschen Imperialismus, der nicht nur Konkurrent, sondern vor allem auch Bundesgenosse ist des US-Imperialismus bei dessen Feldzügen zur Rekonolialisierung der Länder der „dritten Welt“ und der „zweiten Welt“, der Länder der ehemaligen Sowjetunion.

Die Antideutschen denunzieren gerne „die Linken“ wegen ihres Anti-Imperialismus als Antisemiten und sind gleichzeitig bemüht, sich selbst als „Linke“ zu drapieren. Typisch dafür Nassauer: auf den 155 Seiten deines „Deutscher Jihad“ in den beiden Heften 26 und 27 des „Streitbaren Materialismus“ ist nirgendwo auch nur ein leiser Hauch davon zu spüren, dass wir es bei ihm mit einem Sozialisten oder gar einem Kommunisten zu tun hätten. Aber im vorletzten Satz seiner 155 Seiten versucht er sich plötzlich in der Terminologie der Arbeiterbewegung und will damit wohl den Eindruck erwecken, „einer von uns“ zu sein: „Damit die Völker des Nahen und Mittleren Ostens nicht lange Spielball solcher Intrigen sind, dazu werden sie, werden die Arbeiter und Bauern dort sich unweigerlich auf die alte Wahrheit besinnen, dass die nationale Frage die Magd der sozialen zu sein hat und dass es eben nicht umgekehrt sein darf.“

Aber er beherrscht unsere Sprache sehr schlecht und kommt von seiner bürgerlichen nicht los: Als Marxist hätte er gesagt, dass die nationale Frage der sozialen untergeordnet sein muss, als bürgerlicher Ideologe denkt er aber bei einer Unterordnung halt in den Kategorien von Herren und Knechten, Herren und Mägden.

Kurt Gossweiler,
Berlin

Mexiko / Oaxaca

Claudio:

Volksaufstand in Oaxaca/Mexiko – 13 Briefe

21. 6. 2006, Hallo Erika, hallo Michael[25], hier in Oaxaca ist momentan ein regelrechter Volksaufstand im Gange.

Laßt mich die Ereignisse kurz beschreiben: am 22 Mai hat die Lehrergewerkschaft des Bundesstaates Oaxaca nach erfolglosen Verhandlungen mit der Staatsregierung, es ging um Verbesserungen der sozialen Verhältnisse in den zum größten Teil armseligen Schulen and um die armseligen Gehälter, die die Lehrer beziehen, also vollkommen legitime Forderungen, zum Streik aufgerufen. Die Regierung wollte die Lehrer mit einer lächerlichen Summe abspeisen. Und die Lehrer fingen an sich zu organisieren und sich zu wehren.

Am 22. Mai haben 40.000, ja vierzigtausend, Lehrer die ganze Innenstadt besetzt und haben Zeltlager aufgebaut, wo sie auch übernachtet haben, das Ganze war friedlich, bis in der Nacht vom 13. auf den 14. Juni, als dieser faschistische Idiot von Gouverneur (Ullizez Ruiz) entschieden hat, seine Kettenhunde gegen die Lehrer zu schicken. Um 4.30 h ging der Angriff gegen die schlafenden Menschen los. 3500 „Ordnungskräfte“ mit Tränengas, Knüppeln, Pistolen, Sturmgewehren und Helikoptern fingen ein Massaker an. Ich muß dazu sagen: in den Zelten waren auch Kinder, Frauen und ältere Genossen. Mit brutaler Gewalt wurden all diese Menschen aus dem Schlaf gerissen und ohne Ausnahme wurden alle zusammengeprügelt.

Es schien so für etwa 3 Stunden, als wenn der Staatsterror wieder mal siegen würde, doch diesmal lief alles ganz anders als gedacht für die Staatsterroristen, gegen 8 h fingen die Lehrer mit der Hilfe von herbeigeeilten Studenten und anderen wie mich an, Widerstand zu organisieren. Wir haben alles, was wir zur Verteidigung benutzen konnten, aufgegriffen: Eisenstangen Holzknüppel, die ersten Mollis etc. und haben dann - zusammen Tausende von Genossen - regelrecht die Polizei nach 2 Stunden Straßenschlacht vertrieben. Wir haben die Schlacht gewonnen, unglaublich! Die Bullen fingen an, ihre Knüppel und Schilder wegzuwerfen und rannten um ihr Leben; die ersten Nachrichten gingen herum, daß es Hunderte von Verletzten und auch Tote auf unserer Seite gegen hat. Daraufhin wurden Polizisten auch als Gefangene genommen.

Seit diesem Tag ist Oaxaca in einem nicht mehr von der Regierung kontrollierbarem Volksaufstand. Am 16. Juni fand in dieser Stadt eine Demo mit 300.000 (dreihunderttausend!) Menschen statt, die alle Unisono Venceremos sangen und den Kopf dieses faschistischen Gouverneurs forderten. Es hat sich in der Universität eine Volksversammlung gebildet, an der alle möglichen sozialen Organisationen beteiligen sind. Der Unisono-Wunsch von allen ist, daß dieser Faschist Ullizez Ruiz verschwindet. In der ganzen Innenstadt gibt es keine Polizisten mehr, überall Rote Fahnen, Lautsprecher, Flugblätter, Parolen, überall wird diskutiert, es ist unglaublich: die Straßen gehören wieder dem Volke. Bitte versucht diese Nachrichten überall zu verbreiten! Über Indymedia Mexico, Oaxaca, gibt es auch schon die erste Filmclips im Internet. Oaxaca ist momentan die politische Hauptstadt Mexicos. Es ist wie ein Hurrikan über dem ganzen Lande. Und hier in Oaxaca ist das Auge dieses Hurrikans.

Viele rote Grüße aus dem Süden Mexicos,
21. 6. 2006,
Claudio

2. 7. 2006, Hallo Erika, vorab vielen Dank für Dein Interesse für das Geschehen in Oaxaca. Ich muß auch sagen, daß es mir schwer fäll, den Text ohne Emotionen zu schreiben, da ich in dieser Sache nicht nur Beobachter bin, sondern mitten im Geschehen mitwirke. So, nun möchte ich Dir schildern, was sich in den letzten Tagen hier ereignet hat. Es ist wie ein lang gehegter Traum, der sich realisiert. Das ganze Volk entwickelt Bewußtsein, mobilisiert sich und sprengt vereint die Ketten der Unterdrückung.

Die Lage in Oaxaca hat sich weiter verschärft, am 28. Juni haben die Lehrer eine weitere Mega-Demo mit wahrscheinlich 800.000 (achthunderttausend!) Menschen organisiert. Es war eine wahrhaft historische Demonstration des aufgewachten Volkes, die Demo hat alles, alle Er-wartungen gesprengt. Teilgenommen haben 350 soziale und zivile Organisationen, Arbeiter, Bauern, Hausfrauen, Kirchenleute, Zapatisten, Kommunisten, Anarchisten. Das mutige, würdevolle Volk Oaxacas hat sich entschieden: Kein Schritt zurück in diesem Kampf. Die Hauptforderung ist jetzt der Rücktritt dieses korrupten Faschisten (Ulises Ruiz Ortiz) und seiner Schergen.

Es hat sich eine Volksvollversammlung (APPO = Asamblea Popular del Pueblo de Oaxaca)

in der Jurafakultaet der hiesigen Universitaet formiert, die ein Ultimatum fuer Freitag, den 30. Juni, 24 Uhr, gestellt hat. Falls dieser Faschist, der Lehrer und Kinder ermordet hat, nicht zurücktritt, werden die Präsidentschaftswahlen, die am 2. Juli stattfinden, in Oaxaca boykottiert und der Volksaufstand wird auch in anderen Bundesstaaten Mexikos organisiert. Die Staatsgewalt in Oaxaca hat sich komplett aufgelöst und zurückgezogen, man sieht im größten Teil der Stadt keine Uniform mehr. Die gesamte Regierung hat sich seit Tagen nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken lassen. Die Stimmung unter dem rebellierenden Volk ist mittlerweile von Trauer wegen des Massakers am 14. Juni in Freude über unseren Sieg umgeschlagen. Keiner hat mehr Angst vor diesen Faschisten, denn wir haben gezeigt, daß - wenn wir organisiert uns wehren - die Verbrecher in der Pseudoregierung keine Chance haben. Dutzende von Rathäusern und Polizeistationen wurden gestürmt und sind von unseren Leuten besetzt. Ganze Polizeieinheiten sind desertiert. Es gibt genau genommen keine Regierung und Staatsgewalt mehr. Verteidigungsbrigaden haben die öffentliche Ordnung übernommen. Sowohl die EZLN in Chiapas als auch die andere Guerilla EPR in Guerrero und Oaxaca hat die höchste Alarmstufe Rot ausgerufen, das heißt, daß sie sich für bewaffnete Angriffe bereit halten, falls der Staatsterror wieder irgendwelche Aktivisten angreift.

Das ist meine Beschreibung der Ereignisse am 1. Juli, ich halte dich weiter auf dem Laufenden. Bitte verbreite die Info. Tausend rote Grüße aus dem aufgewachten Süden Mexicos

2. 7. 2006,
Claudio

8. 7. 2006, Hallo, Ihr Lieben! Heute ist der 7. Juli, es sind mittlerweile 45 Tage seit der Ausrufung des Lehrerstreik und der Besetzung der Innenstadt durch die Lehrer und zahlreicher Sozialaktivisten vergangen. Seit dem 14. Juni, dem Tag, an dem die Ruiz-Regierung ihr wahres faschistisches Gesicht gezeigt hat, sind 23 Tage vergangen und der Volksaufstand hat enorm an Stärke gewonnen. Wir hatten seit Anfang Juni vier Riesendemos in Oaxaca, und bei jeder darauf folgenden Demo sind mehr Menschen mitmarschiert. Bei der letzten am 30. Juni waren 800.000 Menschen auf der Straße. Kurz vor dem 30. Juni hat sich eine Volksvollversammlung mit 350 sozialen Organisationen gebildet, die sich „Asamblea Popular del Pueblo de Oaxaca (APPO) nennt. Alle diese Menschen eint dasselbe: 1.) Sturz und juristische Bestrafung dieser faschistischen Pseudoregierung. 2.) Der Wille für tiefgreifende soziale Veränderungen. Man kann es momentan fühlen wie sich soziales und politisches Bewußtsein bildet. Lehrer, Studenten, Arbeiter, Bauern, Frauen etc., all die, die über Jahrhunderte unterdrückt und ausgebeutet waren, bilden eine gemeinsame linke Volksfront (Amblio Frente Popular), um den Tyrannen und mit ihm das gesamte verhaßte kapitalistische System zu stürzen!!

All diese Menschen eint derselbe Schmerz der sozialen Ungerechtigkeiten, der nun erstmals gemeinsam artikuliert wird. Und diese Unmengen von Schmerzen verwandeln sich in kollektive Wut. Es scheint, als wenn alle keine Angst mehr haben und die Angst dem Mut gewichen ist. In der Innenstadt von Oaxaca sieht man seit Wochen keine Uniformen mehr, sicherlich sind jede Menge Polizeispitzel in Zivil unterwegs, aber man erkennt die meisten von ihnen und es wurden schon einige von ihnen in Gewahrsam genommen, verhört und anschließend dem Roten Kreuz übergeben.

Keiner wurde geschlagen oder gefoltert, wie sie es normalerweise mit uns machen. Wir sind anders als sie!!

Die eigentliche Gefahr ist nun nicht mehr die Pseudoregierung in Oaxaca sondern interne Grabenkämpfe innerhalb der verschiedenen Flügel der APPO. Die Radikalsten wollen, daß der Regierungspalast gestürmt und besetzt wird, daß sich bewaffnete Milizen bilden sollen etc. Andere, Gemäßigtere sagen, daß es noch zu früh dafür ist, die Konditionen seien noch nicht so weit. Also, das Ganze ist eine echt spannende Sache, denn all das könnte auch auf ganz Mexico übergreifen, und dann hätten wir hier ein neues Venezuela, Bolivien oder Kuba. Das wäre die Erfüllung eines langgehegten Traumes. Verbreitet diese Nachrichten !!!

8. 7. 2006,
Claudio

10. 8. 2006, Hallo Ihr Lieben!! Nun wird die finale Phase des Volksaufstandes hier in Oaxaca eingeläutet. Der Bundesstaat Oaxaca wird immer mehr von der Volksvollversammlung kontrolliert... Die korrupten PRI-Bürgermeister (PRI ist die Partei, die 70 Jahre lang das Volk unterdrückt und ausgeplündert hat) werden aus den Rathäusern gezerrt, manche von ihnen wurden von Frauen nackt ausgezogen und quer durch die Gemeinden gejagt. Die Rathäuser werden vom Volk besetzt, das sich nun eigene Leute wählt, um die Städte zu verwalten... Die Staatsgewalt kann diesem revolutionärem Handeln nichts entgegen setzen, denn sobald auch nur einer vom Volk oder einer sozialen Organisation angegriffen wird, eilen Tausende von Genossen zur Hilfe.

Die Staatsgewalt erleidet eine Niederlage nach der anderen. Am 23. 7 z.B. wurden drei Campesinos (Bauern) von einer Polizeistreife festgenommen, nur weil sie ein Schild trugen, auf dem sie den Sturz dieser korrupten Regierung forderten. Sofort wußten wir über Radio Universidad bescheid, daß die Polizeistreife mit den drei Gefangenen auf dem Weg zur Polizeikaserne war. Spontan sind etwa 500 Genossen der APPO bewaffnet mit Macheten und Knüppeln zur Polizeikaserne marschiert... die Zellen wurden geöffnet und alle Gefangenen befreit.

Der Polizeikommandant und sein Unterkommandant wurden in Gewahrsam genommen und mitsamt den herausgerissenen Türen der Haftzellen durch die halbe Stadt geführt. Am Ende wurden sie in die besetzte Jurafakultät gebracht, wo sie verhört und anschließend unversehrt dem Roten Kreuz übergeben wurden. Jede dieser Aktionen bedeutet einen weiteren Sieg für uns und zerstört das letzte an Kampfmoral, was die Polizeikräfte noch haben. Die meisten Polizisten der unteren Dienstgrade haben keine Lust, für den miserablen Hungerlohn, den sie erhalten, ihren Kopf hinzuhalten... Sie begreifen, daß auch sie zum ausgebeuteten Teil des Volkes gehören und schmeißen ihre Waffen hin...

Jetzt das allerneueste: am 2. 8. haben 3.000 Frauen, bewaffnet mit Kochtöpfen und Pfannen, den offiziellen Staatsfernsehsender KANAL 9 eingenommen, der vorher nur Lügen über den Volksaufstand verbreitet hatte. Das ist natürlich ein Quantensprung für uns, was objektive Berichterstattung betrifft. Nun können unsere Nachrichten in den letzten abgelegenen Winkeln gesehen und gehört werden. Dadurch wird der Aufstand noch mehr an Stärke gewinnen. Die einzige Institution, die diesem revolutionärem Wirken etwas entgegen setzen könnte, wäre die mexikanische Armee. Doch falls sie in das Geschehen eingreifen sollte, wird der Volksaufstand auf andere Teile Mexikos überschwappen, und genau das weiß die rechte Fox-Regierung in Mexiko-City. Bis jetzt hat sie noch keine Soldaten hierher geschickt, die Konsequenz ist ihnen zu sehr bewußt, sie hat Angst vor diesem Schritt. Daher setzt sie auf Zeit, damit sich die Bewegung zermürbt oder untereinander zerstreitet. In Oaxaca wurde ein neuer Innenminister nominiert (Heladorio Escarga), der Erfahrung hat mit psychologischer Kriegsführung... Seine Methoden sind primitiv und durchsichtig: Zucker- und Peitschen-Politik...

Doch er wird mit diesen jämmerlichen Methoden keinen Erfolg haben, denn dies ist kein Aufstand von irgendwelchen „Führern“, dies ist ein Volksaufstand. Er kann nicht das ganze Volk kaufen oder einschüchtern... Auch er ist einer derer, die in die jetzt leeren Gefängniszellen umziehen wird. Bis vor kurzem waren diese Zellen für engagierte Sozialaktivisten und Hühnerdiebe reserviert, demnächst werden daraus Volksgefängnisse und die wahren Verbrecher eingesperrt; auf sie warten diese leeren Zellen zwecks gründlicher Resozialisierung...

Für eine bessere, gerechte Welt! Nieder mit allen Tyrannen die das Volk unterdrücken und ausbeuten! ... Nieder mit allen menschenverachtenden Unrechtssystemen, die auf Ausbeutung und Unterdrückung aufgebaut sind, in denen Wenige fast alles besitzen und die große Mehrheit nichts als Hunger, Leid und Elend! Unsere Antwort auf  Ausbeutung und Unterdrückung heißt: sozialistische Revolution – hier in Oaxaca und überall!!

Viele Rote Grüße aus dem tiefroten Süden Mexikos.
10. 8. 2006,
Euer Claudio

10. 8. 2006. Hier in Oaxaca hat der Volksaufstand Dimensionen erreicht, die wir vor drei Monaten nicht mal erträumen konnten, als das Ganze mit dem Lehrerstreik anfing. Dem Streik der demokratischen Lehrergewerkschaft SNTE, Sektion 22 Oaxaca, haben sich immer mehr Menschen aus allen Bevölkerungsteilen angeschlossen. Mittlerweile sind in diesem Volksaufstand alle Regierungsgebäude, Radio und Fernsehsender in der Hand der Aufständigen. Täglich desertieren mehr und mehr Polizeikräfte der unteren Ränge. Im gesamten Bundesstaat Oaxacas sind Dutzende von Rathäusern von Aufständigen besetzt und täglich kommen neue dazu. Innerhalb der gesamten Bevölkerung findet dadurch ein Riesen-Prozeß von sozialer Bewußtseinformung statt.

Die faschistoide Pseudoregierung Ruiz kann diese Bewegung nicht mehr frontal angreifen und ist daher zu Taktiken des "schmutzigen Krieges" übergeschwenkt. Gestern Nacht wurde unser Genosse Marcos Garcia Tapia kaltblütig von einem Killerkommando dieser verbrecherischen Pseudoregierung in seinem Auto hingerichtet.

Teil dieser Gegeninsurgenz sind Brandanschläge auf Häuser von Gewerkschaftsführern, Brandanschläge auf öffentliche Autobusse, Verhaftungen von Genossen, ohne daß wir wissen, wohin sie verschleppt werden, Attentate gegen die einzige Zeitung in Oaxaca, die die Wahrheit berichtet; "LAS NOICIAS DE OAXACA", bewaffnete Angriffe auf dem Unicampus, wo sich unsere Radiostation " RADIO UNIVERSIDAD" befindet usw. All dies zeigt uns, wie verzweifelt diese Politgangster in der Pseudoregierung sind. Doch gerade deshalb sind viele von uns in akuter Gefahr, Opfer dieser faschistoiden Kriminellen zu werden.

Daher dieser dringende AUFRUF: Bildet Solidaritätskomitees, um öffentliche Aufmerksamkeit über die Ereignisse in Oaxaca zu erzeugen. Wir brauchen KEINE materielle Hilfe, die beschaffen wir uns selbst.

Wir brauchen Öffentlichkeitsarbeit; in Spanien, Frankreich, USA und anderen Ländern haben sich schon Soli-Komitees gebildet. Versucht Solidaritätsbekundungen von Lehrern oder Gewerkschaftern in Deutschland zu organisieren, oder vielleicht auch eine Demo vor dem Mexikanischen Konsulat in Frankfurt.

Das, was hier in Oaxaca geschieht ist eine soziale Revolution, die sich noch in der Anfangsphase befindet. Ziel ist ein anderes, gerechteres soziales System, dasselbe, was schon in Kuba, Venezuela und Bolivien realisiert wurde, die objektiven Konditionen sind dafür auch hier in Mexiko vorhanden. Bildet Soli-Komitees ganz im Sinne des organisierten Widerstandes gegen Kapitalismus, Imperialismus und Ausbeutung hier in Oaxaca und überall.

ES LEBE DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT

Viele Rote Grüße aus dem tiefroten Süden Mexikos.
10. 8. 2006,
Claudio

11. 8. 2006. Genossinnen, Genossen! Sicherlich haben manche von euch schon Nachrichten über den Volksaustand im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca in Zeitungen oder im Internet gelesen oder von Freunden und Bekannten gehört.

Hier noch mal eine kurze Schilderung der Ereignisse, die zu diesem Volksaufstand fuehrten: Oaxaca ist einer der südlichen Bundesstaaten Mexicos, weiter im Süden grenzt Chiapas an, das vielen von euch durch die Zapatistische Bewegung EZLN und den Subcommandanten Marcos ein Begriff sein dürfte.

Der Bundesstaat Oaxaca zeichnet sich unter anderem durch einen hohen Anteil indigener Bevölkerung aus, die in beschämender Armut leben. Eine kleine Gruppe von skrupellosen ausbeuterischen Familien, meist europäischer Herkunft, kontrollieren fast die gesamte Wirtschaft und damit auch die korrupte Politik dieses Staates. Die sozialen Gegensätze sind riesig, auf der einen Seite Alt- und Neureiche, die in Saus und Braus und in Prachtpalästen leben und auf der anderen Seite barfüßige, hungernde Kinder ohne jegliche Zukunftsperspektiven - außer Elend und Marginalisierung.

Wegen dieser krassen sozialen Gegensätze hatten sich die Lehrer zu einem Streik entschlossen, der am 22. Mai in friedlicher und demokratischer Art und Weise organisiert wurde. Die Antwort der Herrschenden ließ nicht lange auf sich warten. Am 14. Juni entfesselten die Herrschenden ihren gesamten Staatsterrorapparat, um die Lehrer und ihre berechtigten sozialen Forderungen zu unterdrücken. Doch die Herrschenden erlitten an diesem historischen 14. Juni eine empfindliche Niederlage. Tausende von organisierten Lehren, Studenten und Sozialaktivisten besiegten gemeinsam den Staatsterror. Seit diesem Tage haben sich viele Ereignisse ereignet, die soziales und politisches Bewußtsein in den unterdrückten Volkmassen erzeugt haben. Endlich haben sich alle möglichen soziale Organisationen zu einem starken Bündnis zusammengefunden, um gegen diese sozialen Ungerechtigkeiten zu kämpfen. Dieses Bündnis hat sich, mit 350 sozialen Organisationen, am 22. Juni in der Jurafakultät der Beniti-Juarez-Universitaet formiert und heißt  „Asamblea Popular del Pueblo de Oaxaca“ (APPO), auf Deutsch: Volksversammlung des Volkes von Oaxaca. Dieser Dachverband aller progressiven sozialen Organisationen ist das oberste Gremium, das Entscheidungen beschließt über die Strategie und Geschwindigkeit der sozialen Umwälzungen in Oaxaca.

Die erste Forderung war nach dem fehlgeschlagenen Angriff auf die Lehrer am 14. Juni der Sturz dieser ausbeuterischen und repressiven Pseudoregierung Ruiz.

Anfangs wurde nur der sogenannte legalistische Weg eingeschlagen; Unterschriftensammlungen und Petitionen an den Staatspräsidenten Fox, um den Rücktritt der Ruiz-Regierung zu erzwingen. Doch da diese Wege zu nichts führten, die Fox-Regierung in Mexiko-Stadt ist genauso korrupt und repräsentiert natürlich auch nur die Interessen der herrschenden Klasse, entschloß sich die APPO, die politische Gangart zum Sturz dieser faschistoiden Ruiz-Regierung zu verschärfen. Es wurde von der APPO beschlossen, Regierungs- und Verwaltungsgebäude zu besetzen, damit der Tyrann endlich gestürzt wird. Die Antwort der vom Volk nicht mehr anerkannten Ruiz-Regierung sind repressive Taktiken des sogenannten "schmutzigen Krieges" oder auch bekannte Taktiken der Gegeninsurgenz; gezielte Angriffe auf exponierte Mitglieder der APPO. Zuerst waren es Brandanschläge auf Häuser der Genossen, jetzt seit Dienstag, dem 8. August, gezielte Morde. Am Abend des 8. 8. um 22.30 Uhr wurde ein Professor der Universität, der auch Mitglied der APPO ist, von einem Killerkommando hingerichtet.

Am 9. 8. wurden in der Stadt Putla de Guerrero Mitglieder der APPO: Andres Cruz, 33 Jahre, Pedro Martinez, 24 Jahre und Augustin Martinez, 68 Jahre, auf offener Strasse am hellichten Tage von einem Killerkommando hingerichtet. Am selben Tage um 13 Uhr wurde Gewerkschaftsführer und Gründungsmitglied der APPO, Professor German Nubes, von seinem Haus entführt. Prof. German Nubes sitzt seit 11 Jahren im Rollstuhl aufgrund eines Attentates, das gegen ihn verübt wurde. Zeugen der Entführung haben beschrieben, wie er aus seinem Rollstuhl gezerrt, geschlagen und in einem Fahrzeug von einer maskierten Sondereinheit der Staatsgewalt verschleppt wurde. Wir sind in höchstem Maße besorgt; auf Grund seiner angeschlagenen Gesundheit fürchten wir um sein Leben.

Am 10. 8., gestern, haben wir eine Demonstration organisiert, um die Freilassung von Prof. German Nubes zu fordern. An dieser Demo nahmen etwa 20.000 Menschen teil. Kurz vor Abschluß  des Demozuges um 19 Uhr wurde aus einem Haus von Zivilpolizisten auf die friedlichen Demonstranten geschossen und wieder haben diese Staatsterroristen einen unserer Genossen getötet. Das Opfer dieser Politgangster ist Jose Jiminez Colmenares, 50 Jahre alt und Ehemann der Lehrerin Florina Jiminez.

Der Staatsterror dieser Politgangster hat ein Ausmaß angenommen, daß nun jeder von uns akut bedroht ist. Alle Menschenrechte sind außer Kraft gesetzt. Die Herrschenden zeigen unverblümt ihre faschistoide Fratze.

DAHER DIESER DRINGENDE AUFRUF AN ALLE GENOSSINNEN UND GENOSSEN, AN ALLE MENSCHENRECHTSORGANISATIONEN:

LASST NICHT ZU, DASS DIE LEGITIMEN SOZIALEN FORDERUNGEN DES AUSGEBEUTETEN UND UNTERDRUECKTEN VOLKES VON OAXACA DURCH DIESEN STAATSTERROR DER HERRSCHENDEN NIEDERGETRAMPELT WIRD. MACHT OEFFENTLICHKEITSARBEIT; UM AUF DIESE REPRESSION AUFMERKSAM ZU MACHEN. FORDERT PETITIONEN DER PARLAMENTARISCHEN MENSCHEN-RECHTSAUSSCHUESSE. FORDERT ERKLAERUNGEN UND STELLUNGNAHMEN DER LEHRER- UND ANDERER GEWERKSCHAFTEN. ORGANISIERT DEMOS VOR DEN MEXIKANISCHEN KONSULATEN; UM DIE MENSCHENRECHTE EINZUFORDERN.

GEGEN KAPITALISMUS, IMPERIALISMUS UND AUSBEUTUNG HIER IN OAXACA UND UEBERALL!! ES LEBE DIE INTERNATIONALE SOLIDARITAET!!!

Brüderliche, rote Grüße aus dem Süden Mexikos.
11. 8. 2006,
Claudio Coladangelo

Oaxaca 26.8. 2006, Genossinnen, Genossen! Aufgrund massiver Mobilisierung der ausgebeuteten und unterdrückten Bevölkerung Oaxacas, denen die wahren Gründe ihrer Marginalisierung durch die Herrschenden bewußt wird, haben die Herrschenden, nun ihre letzten und gefährlichsten Repressionsreserven, TODESSCHWADRONEN, gegen das sich emanzipierende Volk aufgefahren. Die Herrschenden sind verzweifelt von der Wucht der aufgebrachten Volksmassen, die ihre legitimen Rechte einfordern und deren Zulauf täglich wächst. Deshalb sind die Ausbeuter in barbarische Methoden, die an Militärdiktaturen der 70er Jahre in Lateinamerika erinnern, zurückverfallen. Am 22. August, gegen Mitternacht, tauchten auf einmal etwa 30 Fahrzeuge mit maskierten, zivilgekleideten und schwerbewaffneten Paramilitärs in der Kolonia Reforma auf, deren Aufgabe objektiv die Hinrichtung von Menschen war, um Terror und Angst unter den Genossen zu verbreiten, die unsere Radiostation, Radio APPO, betreiben. Bei diesem Angriff wurde der Genosse Lorenzo Sam Pablo durch eine Schußwunde in den Lungenbereich getötet. Es wurden mehrere andere auch durch Schußwunden schwer verletzt. Der Radiosprecher konnte einen Hilferuf verbreiten, in dem er die Bevölkerung in allen Stadtteilen aufrief, Barrikaden zum Selbstschutz aufzubauen und zum Schutz der Radiostation herbeizueilen. Das heroische Volk Oaxacs hat den Aufruf sofort befolgt.

Kirchenglocken läuteten im ganzen Stadtgebiet, Feuerwerkskörper wurden abgefeuert, um die Menschen zu mobilisieren. Zehntausende sind in die dunklen Straßen geströmt, um Barrikaden gegen den Todeskonvoi der Staatsterroristen zu errichten. Die Todeskarawane wurde von zwei notorisch bekannten korrupten Polizeichefs, Manuel Morene Rivas und Aristeo Lopez Martinez, kommandiert. Ihre Befehle kamen direkt von der "Justizministerin" Lisbeth Cana Cadeza. Zusammengesetzt waren diese Einheiten aus verschiedenen Polizeieinheiten und Kriminellen, die aus den Gefängnissen rekrutiert werden, um die "Drecksarbeit" zu leisten. Die geistigen Urheber dieser kriminellen Handlungen sind reiche Unternehmer, die um ihre Privilegien fürchten. Das heldenhafte, organisierte Volk hat diesen Staatsterror wieder besiegt! Die Justizministerin hat am nächsten Tag öffentlich behauptet, daß es in Oaxaca bewaffnete Guerillagruppen gibt, die gewalttätig sind. Dies ist eine komplette Umkehrung der Tatsachen. Die Staatsterroristen hatten Schußwaffen, mit denen sie töteten. Die Verteidigungsbrigaden hatten nur Knüppel und Steine, um sich vor dem Angriff der Todesschwadronen zu schützen.

Seit diesem Tage befindet sich Oaxaca in einer neuen Phase dieser sozialen Revolution. Jede Nacht verbringen nun Zehntausende von tapferen Genossen hinter Hunderten von Barrikaden aus Holz, Metall, Steinen, Autoreifen und was sonst noch vorhanden ist, um diese wunderbaren Schutzwände gegen die Todesschwadronen aufzubauen, die jede Nacht von neuem Terror unter dem Volk säen. Unsere Parole ist: keinen Millimeter befreites Stadtgebiet aufgeben, im Gegenteil, auch die restlichen Stadtgebiete befreien und verteidigen. Außerhalb der Stadt gibt es Truppenbewegungen. Das 36. Infanterie-Bataillon hat außerhalb der Stadt Stellung bezogen. Wozu, wissen wir nicht, es könnte eine Form der Einschüchterung sein oder vielleicht das Vorspiel einer direkten Militärintervention. Gut ist, daß nun die ersten Resonanzen von Men-schenrechtsorganisationen eintreffen. Gestern hat sich Amnesty International eingeschaltet, es ist schon eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes in Oaxaca eingetroffen und Tobias Pflüger von der Linkspartei hat sich im EU-Parlament dazu geäußert. Die soziale Bewegung in Oaxaca hat nun auch ein klares politisches Ziel. Am 16./17. August fand ein nationales Forum für Demokratie und Regierbarkeit in Oaxaca statt. In der Abschlußresolution wurde die Notwendigkeit für eine komplett neue Verfassung und neue Formen der Regierung bekundet. Die neue Verfassung soll vom Volk für das Volk gemacht werden. Der Text kann unter www.oaxacalibre.org heruntergeladen werden. Ziel ist nun nicht mehr nur die Befreiung Oaxacas vom Neoliberalismus/Kapitalismus, sondern eine große nationale Volksversammlung, denn die sozialen Ungerechtigkeiten bestehen natürlich in ganz Mexiko.

ALLE MACHT DEM VOLK! GEGEN AUSBEUTUNG UND UNTERDRÜCKUNG IN OAXACA UND ÜBERALL! ES LEBE DIE INTERNATIONALE SOLIDARITAET! BRÜDERLICHE ROTE GRÜSSE  VON DEN BARRIKADEN OAXACAS

26. 8. 2006,
Claudio

Oaxaca, 13. 9. 2006, Genossinnen, Genossen!! ZAPATA VIVE/ LA LUCHA SIQUE - ZAPATA LEBT / DER KAMPF GEHT WEITER!!! Politische Analyse der sozialen Bewegung in Oaxaca und Mexiko. Der Wahlbetrug und damit die Usurpation ihres Kandidaten, Felipe Calderon (Fecal), orchestriert durch die Ultrarechte, die die Interessen der herrschenden Klasse vertritt, wurde vollzogen. Der Wille des mexikanischen Volkes wurde wieder in klassischer, verlogener und autoritärer Manier mißachtet.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo sich die entgegengesetzten Interessen von Proletariat und Oligarchie kristallisieren und polarisieren werden. Die herrschende Klasse spricht nun doppelzüngig von "Versöhnung und Dialog", doch in Wahrheit hat die Aktivierung und Militarisierung der Staatsterrorapparate im ganzen Land begonnen. Beispiele: Das Abgeordnetenhaus (San Lazaro) in Mexiko-Stadt ist von Hunderten von Soldaten mit Panzern umzingelt, angeblich um die Abgeordneten zu "schützen". Die Stadt Oaxaca wird mit dem inszenierten Vorwand von "Guerillagruppen" zunehmend von Militäreinheiten belagert. Truppen wurde im Norden nach Guelatao de Jiminez, im Westen nach San Gaspar Yalagaxi und nach Ixtlan de Juarez, im Sueden nach Mihuatlan und im Osten nach Rincon de la Sierra verlegt. All diese Zeichen können nur im Rahmen eines großangelegten Repressionsplans seitens der Herrschenden gesehen werden. Wir rechnen täglich mit einem Angriff. Die Bourgeoisie und ihre politischen Handlanger wissen, daß die ausgebeuteten Volksmassen nicht mehr bereit sind, diesen jämmerlichen Wahlbetrug  und damit die Mißachtung des Volkswillen hinzunehmen. Früher konnten sie ungestraft ihr Wahltheater inszenieren, bei dem der Sieger schon vor der Wahl feststand, nun haben sich die Zeiten geändert.

Hier in Oaxaca hat sich eindeutig gezeigt, daß wir ohne die besetzten Radiostationen niemals das Bewußtsein der ausgebeuteten Massen hätten formen können, und genau dort haben die Herrschenden uns mehrmals angegriffen. Wir wissen, wie wichtig diese befreiten Sender für uns sind, deshalb sind sowohl die Sender als auch die dazu gehörenden Antennen die bestgeschützten Punkte unserer Bewegung, Tag und Nacht sind Hunderte von Genossen hinter den besten Barrikaden mit dem Schutz der Anlagen betraut. Ohne diese Sender hätten wir niemals die Bevölkerung aus ihrem Tiefschlaf geholt und es wäre niemals zu diesen Massenmobilisierungen gekommen. Den ganzen Tag werden revolutionäre Lieder aus Chile, Kuba und Venezuela abgespielt, ständig gibt es exzellente politische Analysen, die im ganzen Staat gehört werden können. Die Hörer haben auch die Möglichkeit, direkt anzurufen und ihre selbsterfahrenen Ungerechtigkeiten dem ganzen Volk mitzuteilen. Dadurch findet ein Dialog statt, durch den dann die nötigen Maßnahmen ergriffen werden können, um eigene APPO-Komitees zu gründen, damit die politischen Transformationen realisiert werden, wie z.B. sich neue nicht korrupte Buergermeister wählen. All dies stößt natürlich bei den Herrschenden auf wenig Sympathie, denn wenn wir es in Oaxaca schaffen, den Tyrannen und sein korruptes System zu stürzen, könnte das Ganze wie die Theorie der Dominosteine auf das ganze Land und sogar auf "Fecal", dem neuem Usurpator in Mexiko-Stadt,  übergreifen.

Nun gibt es eigentlich nur zwei Szenarien für diese soziale Bewegung:  

1. Eine radikale soziale Umwälzung, die natürlich sozialistisch sein muß, d. h. wo alle Produktionsmittel den Arbeitern und Bauern in Selbstverwaltung übergeben werden müssen, wo Privateigentum abgeschafft wird, wo der ganze bürgerliche Staatsapparat vom Volk eingenommen wird und wo natürlich Milizen aufgebaut werden, die die Revolution beschützen.

2. Die andere Möglichkeit ist eine recht düstere. Breitangelegte Repression mit vielen Toten, Zerstörung der Bewegung, danach würden Jahrzehnte verstreichen, bis sich wieder so eine gewaltige Bewegung aufbauen kann - siehe Chile nach 1973.

ALLE MACHT DEM VOLK!! ES LEBE DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT!

13. 9. 2006,
Claudio

1. 10. 06, Hallo Erika, der Artikel ist super!!. Das ist genau das, was wir brauchen, Oeffentlichkeitsarbeit. Genossin Erika, Gestern wurde von der APPO die hoechste Alarmstufe ausgerufen. Der Grund ist das eintreffen von 3.000 Marineinfanteristen in Oaxaca, gestern nachmittag gegen 16 Uhr ueberflogen zwei Marinehubschrauber das Innenstadtgebiet. Wir rechnen jeden Moment mit einem Angriff der Herrschenden gegen uns. Das Ganze wird in einem Blutbad enden, weil die Bevoelkerung sich natuerlich wehren wird. Bitte versucht in Deutschland oder wo auch immer Oeffentlichkeitsarbeit zu machen. No Passaran! Der Faschismus darf nicht siegen!!

ALLE MACHT DEM VOLK!!! GEGEN AUSBEUTUNG UND UNTERDRUECKUNG HIER IN OAXACA UND UEBERALL! ES LEBE DIE INTERNATIONALE SOLIDARITAET!!!

BRUEDERLICHE KAMPFESGRUESSE AUS DEN BARIKADEN OAXACAS 

1. 10. 2006,
Claudio

6. 10. 2006, Hallo Erika, danke für die Sorgen um uns !! Ich weiß nicht, was mit dem Internet los ist .

Ich bekomme auch ständig zerhackte mails. Ich verbringe die Nächte mit Genossen hinter Barrikaden. Gestern Nacht wurden mehrere Barrikaden von Paramilitärs angegriffen; es gab Tote und Verletzte. Die Situation ist sehr angespannt. Rund um die Stadt sind überall Militäreinheiten, wir rechnen jeden Moment mit einem Angriff. Teil der Strategie der Herrschenden ist, daß sie uns in einem endlosen Nervenkrieg halten, mit dem sie uns zermürben wollen.

Doch jeder Tag, an dem die Sonne wieder aufgeht, ist ein weiterer Sieg für uns!! Die Herrschenden zittern, und wir werden unseren gerechten Kampf nicht aufgeben!! Entweder jetzt oder es werden noch hundert Jahre Sklaverei sein. Das Volk sagt BASTA. es reicht und ist zu allem entschlossen. Daher, Genossin Erika, behalten wir unser Ziel im Auge, eine neue gerechte Gesellschaft wie Kuba, Venezuela und Bolivien zu schaffen!!! Nochmals Danke für Deine und Eure Bemühungen, um unseren Kampf zu unterstützen.

ZAPATA VIVE, LA LUCHA SIQUE!!! HASTA LA VICTORIA SIEMPRE!!! ALLE MACHT DEM VOLK!!! GEGEN AUSBEUTUNG UND UNTERDRUECKUNG IN OAXACA UND WELTWEIT!! ES LEBE DIE INTERNATIONALE SOLIDARITAET!!

Brüderliche rote Kampfesgrüße aus den Barrikaden Oaxacas.
6. 10. 2006,
Claudio

Oaxaca, 30.10.2006, Genossinnen und Genossen in aller Welt!! Die Herrschenden haben ihren gesamten Staatsterrorapparat gegen die friedliche und um ihre legitimen Rechte kämpfende Bevölkerung Oaxacas aufgefahren. Gestern sind über 4.000 bis auf die Zähne bewaffnete Sondereinheiten der Mexikanischen Armee und Marine mit Helikoptern, Panzern, Wasserwerfern, Maschinengewehren und Tränengas in die Stadt einmarschiert. Es hat erbitterte Kämpfe gegeben, bei denen es wieder zu Toten auf unserer Seite gekommen ist. Unter den Toten ein 14-jaehriger Schüler und mehrere Lehrer, es gibt sehr viele Verletzte und viele "Verschleppte".

Die Staatsterroreinheiten sind in Hunderte von Häusern gestürmt, wo Lehrer wohnen, viele von ihnen sind ohne jegliche Haftbefehle in Militärkasernen verschleppt worden. Das Mexikanische Rote Kreuz hat sich geweigert, unsere Verletzten zu versorgen, ein Verstoß gegen internationale Menschenrechte. Der ultrarechte Präsident Fox, der das Blutbad angeordnet hat, spricht in allen Mainstream-Medien von einer "friedlichen Einnahme Oaxacas". Seine zynischen Kommentare spiegeln das glatte Gegenteil der Wahrheit wieder. Die Bevölkerung Oaxacas wird sich niemals diesem Faschismus beugen. Ab jetzt wird eine andere Form des Wiederstandes organisiert.

Im ganzen Land finden zur selben Zeit, zu der ich diese Zeilen schreibe, Soli-Aktionen statt. Aus Mexiko-Stadt erwarten wir eine Karawane von 2o.ooo Sympathisanten, um Oaxaca von diesen widerlichen Militäreinheiten zu befreien. Ab morgen werden etwa 400.000 Lehrer landesweit in einen Solistreik übergehen. Unsere jetzige Taktik ist, die Militäreinheiten in Oaxaca-Stadt zu umzingeln, da wir numerisch natürlich viel mehr sind als diese 4.ooo Staatsterroristen, und sie dann auszuhungern, indem wir ihre Logistik von außen kappen.

Noch Freitagnacht hat der Mexikanische Innenminister, Abascal, Sicherheitsgarantien abgegeben, in denen er beteuerte, es würde nicht zu einer gewaltsamen Einnahme der Stadt kommen. Zur selben Zeit, zu der er diese Erklärung abgab, hat er auch den Einsatzbefehl an seine Bluthunde erteilt.

Dieser doppelzüngige Heuchler hat wieder mal bestätigt, daß es niemals zu einem ernst gemeinten Dialog zwischen Unterdrückern und Unterdrückten kommen kann. Die Interessen der Herrschenden sind diametral entgegengesetzt zu den Interessen der Ausgebeuteten. Es wird nun landesweit eine passende Antwort organisiert auf diese neue Repression gegen das heroische Volk Oaxacas!!!

ZAPATA VIVE- LA LUCHA SIQUE - ZAPATA LEBT- DER KAMPF GEHT WEITER!!!! AVANZAR POR UN GOBIERNO OBRERO, CAMPESINO Y POPULAR!!! VORWAERTS FUER EINE ARBEITER-, BAUERN- UND VOLKSREGIERUNG

Genossinnen und Genossen, organisiert Soli-Kundgebungen! Schreibt Euren Unmut an die Mexikanische Botschaft, organisiert Soli-Manifeste von progressiven Gewerkschaften. Unser Kampf ist auch Euer Kampf für eine gerechte Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung hier in Oaxaca und überall!!!

ALLE MACHT DEM VOLK!! DER FASCHISMUS DARF NICHT SIEGEN!!! ES LEBE DIE INTERNATIONALE SOLIDARITAET!!!

Rote Grüße aus dem sich wehrenden Oaxaca.
30. 10. 2006,
Claudio

Oaxaca, 2.11.2006, Genossinnen, Genossen !!! EL PUEBLO UNIDO JAMAS SERA VENCIDO!!

Wir haben heute eine gewaltige Schlacht gegen die Staatsterroristen gewonnen.

Kurze Zusammenfassung: Gegen 7 Uhr 3o heute morgen ging ein Aufruf über Radio Universidad an die gesamte Bevölkerung, daß die Universität und der Radiosender von etwa 3.000 PFP-Einheiten (Bundesgrenzschutz) angegriffen wird, die mit Wasserwerfern und Herkuleshubschraubern anrückten. Gegen 8 Uhr 15 habe ich mich auf den Weg zum Unicampus begeben, um dort die Stellung zu halten. Um diese Zeit waren relativ wenige Genossen, vielleicht 300 auf dem Campus.

Die Lage sah sehr brenzlig aus, es schien wie eine sichere Niederlage auf unserer Seite. Doch nach und nach strömten immer mehr Genossen Richtung Campus, sie kamen aus allen Stadtteilen um die Uni-Souveränität zu verteidigen. Der erste große Zusammenstoß ereignete sich etwa gegen 9 Uhr 30 am Südtor der Uni, wo die PFP-Einheiten mit Wasserwerfern und Tränengasbeschuß aus diesen Herkuleshelikoptern uns angriffen. Doch die heroischen Verteidigungsbrigaden haben - nur mit Steinen und wenigen Molotows ausgerüstet - diesen Angriff in unglaublich tapferer Weise abgewehrt. Danach fingen die PFP-Terroristen mit ihren Helikoptern an, das Uni-Gelände im Tiefflug zu überfliegen und warfen dabei Hunderte von Tränengasgranaten auf uns ab. Dies war der schwierigste Moment, denn wir hatten nichts, was wir den Helikoptern entgegensetzen konnten. Wir zogen uns einige hundert Meter zurück, um uns neu zu formieren und dem Tränengasbeschuß zu entgehen. Gleichzeitig strömten Tausende von Genossen Richtung Uni, die unmittelbar durch unser Radio über die Ereignisse informiert wurden. Aus allen Straßen kamen die Menschenmassen, und gegen etwa 10 Uhr 30 waren so viele auf den Strassen, daß wir in organisierter Form die PFP-Einheiten frontal mit einem Steinhagel aus allen Richtungen um einige Straßenzüge zurückwerfen konnten. Um diese Zeit konnten wir sie nie ganz vertreiben, da sie ständig Tränengas und Pfeffergas einsetzten und aus den Wasserwerfern und Hubschrauben uns beschossen. Man konnte auch sehen, daß die mittleren Reihen der PFP mit scharfen M-15 Gewehren ausgerüstet waren.

Die Schlacht verbreitete sich in einer Zone von mehreren Quadratkilometern, und an einigen Punkten landeten diese verdammten Hubschrauber, um Genossen von uns festzunehmen und zu entführen.

Doch je härter die Angriffe der Staatsterroristen wurden, desto wütender wurde die aufgebrachte Menschenmasse, und es kamen ständig mehr Genossen zur Unterstützung.

Viele von uns wurden verletzt, aber auch auf der Seite der PFP gab es viele Verletzte. Das ganze war dann ein Vor- und Zurückrücken auf beiden Seiten bis etwa 16 Uhr.

Danach fingen die Staatsterroristen ihren Rückzug an und rannten um ihr Leben. Die Wasserwerfer wurden zurückgezogen, da sie kein Wasser mehr hatten und wir konnten zwei davon sogar verbrennen. Die schlimmste Waffe, die sie hatten, waren zu diesem Zeitpunkt die Helikopter. Doch als sie merkten, daß wir entschlossen waren, an diesem Tag alles zu geben, um die ungleiche Schlacht zu gewinnen, zogen sich auch die Helikopter gegen 16 Uhr 30 zurück. Wir haben diese Schlacht gewonnen und haben damit wieder Geschichte geschrieben.

EL FASCISMO NO PASSARA EN OAXACA!!! EL PUEBLO UNIDO HAMAS SARA VENCIDO!! ALLE MACHT DEM VOLK!!! TOD DEM TYRANNEN!! NIEDER MIT DIESEN KLEPTO-PLUTO-TERRORKRATEN!!!

Heute ist ein schöner Tag in Oaxaca, viele kämpferische Grüße aus den Barrikaden.  

2. 11. 2006,
Claudio

Oaxaca, 8.11.06, Genossinnen und Genossen!! ZAPATA VIVE- LA LUCHA SIQUE.

Die Menschenrechtsverletzungen nehmen in Oaxaca dramatische Formen an. RODH - ein Kollektiv von Menschenrechtsorganisationen in Oaxaca – berichtet von grausame Ereignisse vor und nach den Kämpfen zur Verteidigung der Universität am 2. November. Insgesamt wurden 87 Genossen auf offener Straße entführt, in Helikopter verfrachtet und in eine Art Internierungslager auf dem Flughafengelände eingesperrt. Aufgrund der Bemühungen der RODH konnten 34 Genossen unter Zahlung von Kautionen befreit werden.

Die Augenzeugenberichte der Freigelassenen erschüttern und zeigen die ganzen Ausmaße der Staatsterrorgewalt. Freigelassene berichten, daß sie zusammengeprügelt, schwer verletzt, mit den Gesichtern nach unten in dem Frachtraum der Helikopter übereinander gestapelt wurden. Als der Helikopter Richtung Internierungslager flog, wurden mehrere Genossen zur geöffneten Tür gezerrt und es wurde ihnen angedroht, daß alle aus dem Helikopter geworfen werden. Danach verbrachten sie drei Tage ohne Ernährung und Kommunikationsmöglichkeiten mit Familienangehörigen oder Anwälten.

Weiterhin befinden sich 54 Genossen in den Staatskerkern. Doch das allerschlimmste sind 45 als vermißt Gemeldete, die wir noch in keinem Gefängnis lokalisieren konnten.

Gestern Abend, am 7. Nov., habe ich einen Augenzeugenbericht von einer Ärztin, die im IMSS-Krankenhaus arbeitet, entgegengenommen, in dem sie, die Ärztin, aussagt, daß sie am 2.11, am Tag der Schlacht um die UNI, über 20 Tote gesehen hat, die in das Krankenhaus eingeliefert wurden, anschließend wurden die Toten in einem Massengrab verscharrt. Mir zittert die Hand, während ich diese Zeilen schreibe. Wir sind heute mit Anwälten unterwegs, um diese Information zu bestätigen.

Weiterhin werden Menschen entführt, allein gestern haben wir wieder 22 Vermißte oder Entführte zu verzeichnen. Die Situation ist dramatisch, ich sehe jeden Tag mehr Menschen mit schwerem Trauma, die geistesabwesend oder weinend durch die Stadt irren.

Gestern abend zog eine friedliche Frauendemo durch die Stadt, die von Staatsterroristen mit Wasserwerfern und Knüppeln angegriffen wurde. Ich habe Frauen gesehen mit blutüberströmten Gesichtern.

Das ist der Frieden, den uns Präsident Fox mit seinem Militärterror beschert hat. Das ist die Normalisierung der Lage, die Fox großmäulig und verlogen über alle Medien verbreitet und gleichzeitig, um von seinem Staatsterror abzulenken, Bombenattentate in Mexiko-Stadt fabrizieren läßt. Die Täter machen sich zu Opfern und die Opfer werden zu Tätern gemacht. Altes Spiel!!

Genossinnen und Genossen, vielleicht nerve ich Euch schon mit meinen Aufrufen, doch mein Gewissen läßt das Schweigen angesichts dieser Staatsverbrechen gegen ein friedliches Volk nicht zu! Daher nochmals: organisiert, wo auch immer und wie auch immer, Solikomitees, schreibt an die Mexikanischen Botschaften und Konsulate, macht Druck auf die Abgeordneten der Linkspartei.

Organisiert Spendensammlungen, uns fehlt es mittlerweile an allem, z.B. Nahrung, Medizin etc.

ES LEBE DIE INTERNATIONALE SOLIDARITAET!!! ALLE MACHT DEM VOLK!!! NIEDER MIT ALLEN KLEPTO-PLUTOTERRORKRATEN WELTWEIT!!!

Rote Grüße aus dem leidenden und sich wehrenden Oaxaca.
8. 11 2006,
Claudio

Österreich

Tibor Zenker

Austromarxismus, Revisionismus und Opportunismus

Vor genau 80 Jahren beschloss der Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs (SDAP) ein Programm von historischem Wert. Da dieser SP-Parteitag am ersten Novemberwochenende 1926 in der oberösterreichischen Landeshauptstadt abgehalten wurde, ging dieses zentrale "austromarxistische" Dokument als "Linzer Programm" in die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung ein. Von "linken" SozialdemokratInnen mystifiziert, von revolutionären MarxistInnen belächelt, von den Bürgerlichen verdammt - so die Rezeptionsgeschichte des Linzer Programms. Doch was steht wirklich drinnen? Und welche Bedeutung hatte und hat dieses Programm?

Mit dem Linzer Programm formulierte die österreichische Sozialdemokratie 1926 gewissermaßen die Klammer des "Austromarxismus". So wenig es einen wirklich einheitlichen "Austromarxismus" gab, so mussten im sozialdemokratischen Parteiprogramm erstrecht die

Positionen von ganz rechts (Karl Renner) bis relativ links (Otto Bauer) zusammenfinden, daneben mussten leicht obskure, unmarxistische Ansätze integriert werden (Max Adler). Vor diesem Hintergrund ist das Ergebnis herzeigbar, zumal es im Wesentlichen Otto Bauers Handschrift trägt. - Gehen wir die Inhalte der Reihe nach durch.

Erster und zweiter Abschnitt: Kapitalismus und Klassenkampf

Der erste Abschnitt des Programms lautet "Der Kapitalismus" - hier finden wir eine knappe Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus, d.h. des Monopolkapitalismus (Imperialismus), die durchaus imstande ist, die wesentlichsten Erscheinungen dieser Zeit zu erfassen. Hier heißt es in Punkt 4 ff.: "Die kapitalistischen Großbetriebe vereinigen sich zu immer größeren Konzernen, sie organisieren sich in Kartellen und Trusts, sie geraten immer mehr unter die Herrschaft des Finanzkapitals. Mächtige Kartelle diktieren dem ganzen Volke die Warenpreise. Große Industriekonzerne, die ganze Produktionszweige stillzulegen vermögen, zwingen den Regierungen und Volksvertretungen ihren Willen auf. Die Großbanken beherrschen die Produktion, sie üben auf Staat und Gesellschaft den stärksten Einfluss. Das ganze arbeitende Volk gerät so unter die drückende Herrschaft einer kleinen Zahl von Kapitalsmagnaten. (...) Die Entwicklung der Produktivkräfte sprengt die nationalen Grenzen der kapitalistischen Organisationen. Die wirtschaftliche und politische Weltmacht sammelt sich in den Händen des Finanzkapitals der hochkapitalistischen Staaten. Internationale Kartelle diktieren den einzelnen Ländern die Warenpreise und den Umfang der Produktion. Kleine und wirtschaftlich schwache Länder geraten in drückende Abhängigkeit von den großkapitalistischen Weltmächten. Die heimische Kapitalistenklasse wird zum Fronvogt der internationalen Hochfinanz, das nationale Staatswesen gerät unter den Druck der kapitalistischen Weltmächte. (...) Die Kapitalistenklassen der hochkapitalistischen Staaten suchen die wirtschaftlich rückständigen Gebiete außerhalb des europäischen Kulturkreises als Absatzmärkte, Rohstoffquellen und Kapitalsanlagegebiete zu erobern. Der Wettbewerb um die Kolonialgebiete erzeugt immer neue Gegensätze zwischen den kapitalistischen Weltmächten. Das Eindringen des Kapitalismus in die außereuropäischen Kulturkreise wälzt ihre überlieferten Gesellschaftsordnungen um; die imperialistischen Weltmächte unterwerfen die Völker der fremden Kulturkreise ihrer Gewaltherrschaft. Sie ruft Befreiungskämpfe der unterdrückten Völker hervor. Diese imperialistische Weltumwälzung erzeugt ständige Kriegsgefahr. Zugleich wird mit der Entwicklung der Technik des kapitalistischen Großbetriebes auch die Kriegstechnik ständig umgewälzt. Die Entwicklung des Kapitalismus droht so, durch immer furchtbarere Kriege, die ganze Zivilisation zu zerstören." - Dies ist gewiss eine marxistische Betrachtung des monopolistischen Kapitalismus, wie er sich nach dem Ersten Weltkrieg gegenwärtig war. Die SDAP anerkennt hier immerhin die Erkenntnisse Rudolf Hilferdings (die dieser in Deutschland zu jener Zeit freilich bereits wieder revidierte), wir haben also zumindest im Kern imperialismustheoretische Ansätze, die selbst bis heute wenig an Aktualität eingebüßt haben. Der einzige Kritikpunkt hier wäre, dass eine reine Oberflächenanalyse des Monopolkapitalismus zu falschen strategischen Ansätzen zu verleiten vermag. Im Analyseteil fehlt - im Gegensatz etwa zum Programm der KPR (B), wo Lenin dies 1918 mit Bestimmtheit hineinreklamiert hatte - eine Darlegung des grundlegenden ausbeutenden Charakters der kapitalistischen Lohnarbeit, auf deren Basis die allgemeine Bedrückung durch die Herausbildung der Großbetriebe und Monopole hervorgehoben wird. Aber das ist noch kein Beinbruch, sondern bloß eine Verstauchung.

Der zweite Abschnitt widmet sich dem Klassenkampf, zu dem sich die SDAP explizit bekennt. Der Klassenkampf zieht sich begrifflich in der einen oder anderen Form durch das gesamte Programm. Die ArbeiterInnenklasse "mit der Erkenntnis der Unvereinbarkeit ihrer Lebens- und Entwicklungsinteressen mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu erfüllen, ist die Aufgabe der sozialdemokratischen Arbeiterpartei." Weiters heißt es: "Zur ihrer Aufgabe wird es nunmehr unter der Führung der Arbeiterklasse immer breitere Schichten aller arbeitenden Volksklassen zum Kampfe gegen die von der Kapitalistenklasse geführten Bourgeoisie zu vereinigen." - Hier ist aufgrund einer richtigen Einschätzung der Entwicklung des Monopolkapitalismus und der Herrschaft des Finanzkapitals die Wichtigkeit der Bündnispolitik des Proletariats hervorgehoben: "Je mehr die Arbeiterklasse im Kampfe für ihre eigene Befreiung zur Vorkämpferin des ganzen arbeitenden Volkes gegen das alle Klassen des arbeitenden Volkes beherrschende und ausbeutende Großkapital wird, desto breitere Schichten der Kleinbauernschaft, des Kleinbürgertums, der geistigen Arbeiter scharen sich um die Arbeiterklasse." Klar angesprochen wird also, dass immer mehr Menschen nichtproletarischer Schichten durch das Monopolkapital unterdrückt werden, diese müssen sich um das Proletariat zum antimonopolistischen Bündnis gegen die geballte Macht des Großkapitals und des Großgrundbesitzes zusammenschließen. Die Frage ist jedoch, wie wir im Folgenden sehen werden: zu welchem Endzweck?

Dritter Abschnitt: Die Machtfrage, Staat und Revolution

Der dritte Abschnitt ist nun der eigentlich heikle am Linzer Programm. Er befasst sich mit dem "Kampf um die Staatsmacht". Die Problematik, die uns in diesem Abschnitt begegnet und die freilich zum Grundproblem der SDAP werden sollte, spiegelt sich bereits in der eingangs aufgestellten Behauptung, die "Geschichte der demokratischen Republik ist die Geschichte der Klassenkämpfe zwischen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse um die Herrschaft in der Republik", wider. Hier wird ein Zitat aus dem "Kommunistischen Manifest" von Marx und Engels zwar recht hübsch umgelegt, inhaltlich aber leider in einen falschen Kontext gestellt. Zwar ist die demokratische Republik, wie Engels schreibt, tatsächlich die "höchste Staatsform, ... die in unsern modernen Gesellschaftsverhältnissen mehr und mehr unvermeidliche Notwendigkeit wird und die Staatsform ist, in der der letzte Entscheidungskampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie allein ausgekämpft werden kann" (MEW 21, S. 167) - nur ist und bleibt sie eben eine bürgerlich-kapitalistische Form.

Es entspringt auf dieser Grundlage nun eine fatale strategische Ausrichtung der SDAP: "Gelingt es der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, ... die manuellen und die geistigen Arbeiter in Stadt und Land zu vereinigen und der Arbeiterklasse die ihr nahestehenden Schichten der Kleinbauernschaft, des Kleinbürgertums, der Intelligenz als Bundesgenossen zu gewinnen, so gewinnt die sozialdemokratische Arbeiterpartei die Mehrheit des Volkes. Sie erobert durch die Entscheidung des allgemeinen Wahlrechtes die Staatsmacht. (...) Die sozialdemokratische Arbeiterpartei erstrebt die Eroberung der Herrschaft in der demokratischen Republik, nicht um die Demokratie aufzuheben, sondern um sie in den Dienst der Arbeiterklasse zu stellen, den Staatsapparat den Bedürfnissen der Arbeiterklasse anzupassen und ihn als Machtmittel zu benützen, um dem Großkapital und dem Großgrundbesitz die in ihrem Eigentum konzentrierten Produktions- und Tauschmittel zu entreißen und sie in den Gemeinbesitz des ganzen Volkes zu überführen. (...) Die sozialdemokratische Arbeiterpartei wird die Staatsmacht in den Formen der Demokratie und unter allen Bürgschaften der Demokratie ausüben. Die demokratischen Bürgschaften geben die Gewähr dafür, dass die sozialdemokratische Regierung unter ständiger Kontrolle der unter der Führung der Arbeiterklasse vereinigten Volksmehrheit handeln und dieser Volksmehrheit verantwortlich bleiben wird. Die demokratischen Bürgschaften werden es ermöglichen, den Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung unter den günstigsten Bedingungen, unter ungehemmter, tätigster Teilnahme der Volksmasse zu vollziehen." - Dem gegenüber nochmals Engels zur bürgerlichen Demokratie: "Es wäre ... eine völlig unbegründete Illusion, sie ihrem Wesen nach für eine sozialistische Form zu halten oder ihr, solange sie von der Bourgeoisie beherrscht ist, sozialistische Aufgaben anzuvertrauen. Wir können ihr Zugeständnisse entreißen, aber ihm niemals die Ausführung unserer eigenen Arbeit übertragen." (MEW 39, S. 216)

Die "Revolution mit dem Stimmzettel", Otto Bauers "dritter Weg" zum "demokratischen Sozialismus" ist zunächst als Negativ zu fassen - er lehnt einerseits den revolutionären Marxismus im Sinne Lenins (eigentlich also im Sinne von Marx und Engels) ab, anderseits wendet er sich auch (zumindest in Worten) gegen einen reinen Reformismus, wenngleich sowohl Bauers Konzept als auch v.a. die sozialdemokratische Praxis freilich mit letzterem viel gemein hat, denn der "dritte Weg" ist gewissermaßen als "radikaler Reformismus" zu sehen. Aber widmen wir uns zuerst noch der Terminologie. Das Konstrukt des "demokratischen Sozialismus" soll zunächst das Gegenstück zu Marx’ Begriff der "Diktatur des Proletariats" sein. Marx selbst schreibt ja in seiner "Kritik des Gothaer Programms" recht klar und deutlich: "Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats." (MEW 19, S. 28) - Nach dem Linzer Programm und Bauer ist dies zu revidieren, sie klammern sich an das, was Engels ca. 20 Jahre später geschrieben hat: "Man kann sich vorstellen, die alte Gesellschaft könne friedlich in die neue hineinwachsen in Ländern, wo die Volksvertretung alle Macht in sich konzentriert, wo man verfassungsgemäß tun kann, was man will, sobald man die Majorität des Volks hinter sich hat." (MEW 22, S. 234) - Wesentlich bei dieser Aussage von Engels sind freilich die ersten vier Worte.

Terminologisch und inhaltlich stellt Bauers Opposition des "demokratischen Sozialismus" zur Diktatur des Proletariats eine grobe Verwirrung und Verzerrung dar. Der Fehler, der hier gemacht wird, ist, die Begriffe ihres Klasseninhalts zu entledigen - Bauer gebraucht sie in einem willkürlichen bürgerlichen Sinn. Was hier geschieht, ist, durch die mechanische, vom Klasseninhalt der Macht abstrahierende Gegenüberstellung der Begriffe "Diktatur" und "Demokratie" den demokratischen Charakter der Diktatur des Proletariats in Abrede zu stellen und den Klassencharakter des bürgerlichen Staates als Diktatur der Bourgeoisie zu verschleiern. Es ist nicht zufällig Bestandteil der bürgerlichen Ideologie und Staatstheorie, die Auffassung einer "reinen", d.h. klassenindifferenten Demokratie zu predigen, die einer ebenso abstrakten Diktatur gegenübergestellt wird. Formale Kriterien (Parlamentarismus, verschiedene konkurrierende Parteien, verfassungsrechtlich gesicherte bürgerlich-demokratische Rechte, d.h. auch oder v.a. Schutz des Privateigentums) werden in den Vordergrund geschoben, der Klasseninhalt soll verschleiert werden. Die Demokratie trägt aber stets Klassencharakter und der bürgerliche Staat ist unabhängig von seiner Form - ob rechtsstaatliche, liberale Demokratie, autoritäre Herrschaft oder offene faschistische Diktatur - charakterlich stets eines: die Diktatur der Bourgeoisie (bzw. im Monopolkapitalismus differenzierter die Diktatur insbesondere der Monopolbourgeoisie). Dies nimmt das Linzer Programm jedoch nicht gebührend zur Kenntnis, daher auch falsche Schlüsse. Natürlich geht es also für das Proletariat - gemeint ist wohl ohnedies die SDAP - keineswegs um die Herrschaft in dieser bürgerlichen demokratischen Republik. D.h. Bauers Sozialdemokratie klammert sich an Formen, deren Inhalte ausblendet werden. Es gilt eben, was Lenin festhält zum Marx’schen Begriffs der Diktatur des Proletariats: "In Wirklichkeit ist diese Periode unvermeidlich eine Periode unerhört erbitterten Klassenkampfes, unerhört scharfer Formen dieses Kampfes, folglich muss auch der Staat dieser Periode unvermeidlich auf neue Art demokratisch (für die Proletarier und überhaupt für die Besitzlosen) und auf neue Art diktatorisch (gegen die Bourgeoisie) sein." (Lenin, Staat und Revolution, Ausgewählte Werke, Moskau 1946, Bd. II, S. 183). Lenin spricht hier also den Doppelcharakter der revolutionären ArbeiterInnenmacht an: Sie bedeutet die absolute Demokratie für die Mehrheit der Menschen, die bislang unterdrückt und ausgebeutet wurde, und sie bedeutet gleichzeitig die gegen die bisherigen AusbeuterInnen, die die unproduktive Minderheit darstellen, gerichtete Diktatur im Sinne der Niederhaltung dieser konterrevolutionären Kräfte. Das bedeutet, der oft dumpfe Vorwurf, der Marxismus würde eine "totalitäre" despotische oder tyrannische Diktatur errichten wollen, geht völlig ins Leere - denn der marxistische Diktaturbegriff ist natürlich ein gänzlich anderer als der bürgerliche, nämlich ein klassenspezifischer. In Wirklichkeit bedeutet die Diktatur des Proletariats für die ausgebeuteten Werktätigen die vollständige Demokratie, für die bisherigen AusbeuterInnen hingegen - das ist richtig - bedeutet dies gewissermaßen eine Diktatur, da ihre bisherige Vorherrschaft durch die sozialistische Demokratie aufgehoben wird. An anderer Stelle präzisiert Lenin: "Wir Sozialisten sind nur soweit Anhänger der Demokratie, wie diese die Lage der Werktätigen und Unterdrückten erleichtert. Der Sozialismus stellt sich die Aufgabe, in der ganzen Welt gegen jede Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu kämpfen. Für uns ist nur jene Demokratie von wirklicher Bedeutung, die den Ausgebeuteten, die den Entrechteten dient. Wenn einer, der nicht arbeitet, das Wahlrecht verliert, so wird die Gleichberechtigung zwischen den Menschen erst wahr. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" (zitiert nach: Zetkin, Schriften zur proletarischen Frauenbewegung, Wien 1979, S. 57). Die wesentlichen charakterlichen Grundzüge der proletarischen, der vollständigen Demokratie erklärte Marx u.a. anhand des historischen Beispieles der Pariser Kommune von 1871 (vgl. MEW 17, S. 339), Bauer vertuscht dies bewusst, denn diese Stellen kennt er natürlich im Schlaf.

Diese Tatsachen werden also vom "Linzer Programm" ignoriert. Es wird vorgegeben, das Proletariat käme im Rahmen der bürgerlichen Demokratie vermittelst des in ihr verwirklichten Stimmrechts zur Macht und könnte sodann die kapitalistische Gesellschaft in eine sozialistische transformieren - damit entledigt sich die österreichische Sozialdemokratie bequem jedes revolutionären Inhalts. Engels bringt auch auf den Punkt, welchen Wert eine Propagierung der klassenindifferenten Demokratie seitens einer sozialdemokratischen Partei hat: "Die 'reine Demokratie' kann im Moment der Revolution ... als letzter Rettungsanker der ganzen bürgerlichen ... Wirtschaft momentan Bedeutung bekommen ..., um die revolutionäre Masse niederzuhalten. ... Jedenfalls ist unser einziger Gegner am Tage der Krise und am Tag nachher - die um die reine Demokratie sich gruppierende Gesamtreaktion." (Engels, Briefe an Bebel, Berlin 1958, S. 102 f.) - Jeder Mensch kann nun selbst entscheiden, welchen Wert ein Bekenntnis der SDAP zum wissenschaftlichen Sozialismus hat, wenn der entscheidende Kernpunkt der Revolutionstheorie von Marx und Engels ein paar Seiten weiter fallengelassen wird. Und jeder Mensch kann selbst entscheiden, welchen Wert ein Bekenntnis zum proletarischen Klassenkampf hat, wenn der immanente Höhepunkt dieses Klassenkampfes, die proletarische Revolution, für obsolet erklärt wird. Marx hat die Zusammenhänge bereits 1852 in aller Klarheit in einem Brief an Joseph Weydemeyer (datiert auf den 5. März) dargelegt, nämlich, "1. dass die Existenz der Klassen bloß an bestimmte, historische Entwicklungskämpfe der Produktion gebunden sei, 2. dass der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führe, 3. dass diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bilde" (MEW 28, S. 507 f.). Damit ist offensichtlich, dass das, was im "Linzer Programm" festgeschrieben ist, nichts als unmarxistischer Reformismus ist, ja ein gefährlicher Revisionismus, der umso gefährlicher wird, wenn er "ehrlich" gemeint ist. Und wie gefährlich er ist, zeigte sich spätestens mit der Machtergreifung des Austrofaschismus 1933/34. Hier musste die SDAP nun zur Kenntnis nehmen, dass der Satz Ernst Thälmanns richtig war: "Faschismus und Demokratie sind nur zwei Formen ein und derselben Sache und diese Sache heißt: kapitalistische Klassenherrschaft, Diktatur der Bourgeoisie" (Thälmann, Reden und Schriften 1930-1933, Köln 1975, Bd. 1, S. 326).

Die SDAP leugnete im "Linzer Programm" aber keineswegs die Möglichkeit einer (antizipierten) Konterrevolution und der Errichtung einer faschistischen Diktatur. So heißt es im dritten Abschnitt auch: "Die Bourgeoisie wird nicht freiwillig ihre Machtstellung räumen. Findet sie sich mit der ihr von der Arbeiterklasse aufgezwungenen demokratischen Republik ab, solange sie die Republik zu beherrschen vermag, so wird sie versucht sein, die demokratische Republik zu stürzen, eine monarchistische oder faschistische Diktatur aufzurichten, sobald das allgemeine Wahlrecht die Staatsmacht der Arbeiterklasse zu überantworten droht oder schon überantwortet haben wird. Nur wenn die Arbeiterklasse wehrhaft genug sein wird, die demokratische Republik gegen die monarchistische oder faschistische Gegenrevolution zu verteidigen, nur wenn das Bundesheer und die anderen bewaffneten Korps des Staates auch dann die Republik schützen werden, wenn die Macht in der Republik durch die Entscheidung des allgemeinen Wahlrechtes in die Hand der Arbeiterklasse fällt, nur dann wird es die Bourgeoisie nicht wagen können, sich gegen die Republik aufzulehnen, nur dann wird daher die Arbeiterklasse die Staatsmacht mit den Mitteln der Demokratie erobern und ausüben können. (...) Wenn es aber trotz allen diesen Anstrengungen der sozialdemokratischen Arbeiterpartei einer Gegenrevolution der Bourgeoisie gelänge, die Demokratie zu sprengen, dann könnte die Arbeiterklasse die Staatsmacht nur noch im Bürgerkrieg erobern. (...) Wenn sich aber die Bourgeoisie gegen die gesellschaftliche Umwälzung, die die Aufgabe der Staatsmacht der Arbeiterklasse sein wird, durch planmäßige Unterbindung des Wirtschaftslebens, durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwörung mit ausländischen gegenrevolutionären Mächten widersetzen sollte, dann wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen." Hier beinhaltet ein gedanklich richtiger Ansatz wiederum zwei gravierende Fehleinschätzungen. Es ist töricht und fahrlässig, zu glauben, dass in einem Staat, der eben keineswegs neutral über den Klassen steht, es die Staatsorgane sein könnten. Das Militär (bzw. eben dessen bestimmende Generalität) bleibt im kapitalistischen Staat immer das Militär der herrschenden Klasse - diesen Tatsachen ist schlussendlich das geistig und materiell verteidigungsbereite Volk selbst entgegenzustellen. Gramsci schrieb einst über die Situation in Italien: "Nur die Bewaffnung der Arbeiter und Landarbeiter wird die Entwaffnung der faschistischen Militärs ermöglichen können." (Né fascismo né liberalismo: soviettismo!, L’Unità, 7.10.1924) - Selbiges hätte auch für Österreich Gültigkeit besessen, wie sich im Februar 1934 in bitterer Weise bestätigte, als sich die falsche Organisation, Struktur und Strategie sowie die fehlende Bewaffnung des Schutzbundes rächten. Der andere Punkt ist, dass das stark defensiv orientierte Konzept der SDAP auf falschen Einschätzungen beruhte. Es sah vor, wie aus obigem Zitat aus dem Linzer Programm hervorgeht, gewaltsame Verteidigungsmaßnahmen des Proletariats nur als letztes Mittel bei Gefährdung der bürgerlichen (!) Demokratie einzusetzen. Nun ist ein reines Defensivkonzept für eine revolutionäre Bewegung ohnedies zweck- und perspektivlos - damit wird das Prinzip des Handelns ein für alle Mal aus der Hand gegeben. Wieder werden die Hinweise von Marx und Engels ignoriert: "Für Herrn Dühring", schreibt Engels - und für Herrn Bauer gilt dies ebenso -, "ist die Gewalt das absolut Böse, der erste Gewaltsakt ist ihm der Sündenfall, seine ganze Darstellung ist eine Jammerpredigt über die hiermit vollzogne Ansteckung der ganzen bisherigen Geschichte mit der Erbsünde, über die schmähliche Fälschung aller natürlichen und gesellschaftlichen Gesetze durch diese Teufelsmacht, die Gewalt. Dass die Gewalt aber noch eine andre Rolle in der Geschichte spielt, eine revolutionäre Rolle, dass sie, in Marx' Worten, die Geburtshelferin jeder alten Gesellschaft ist, die mit einer neuen schwanger geht, dass sie das Werkzeug ist, womit sich die gesellschaftliche Bewegung durchsetzt und erstarrte, abgestorbne politische Formen zerbricht - davon kein Wort bei Herrn Dühring. Nur unter Seufzen und Stöhnen gibt er die Möglichkeit zu, dass zum Sturz der Ausbeutungswirtschaft vielleicht Gewalt nötig sein werde - leider!" (MEW 20, S. 171) - Nun, dass dem leider so ist, dem ist schon zuzustimmen. Dass es jedoch nichts nützt, sich in ein verschrecktpazifistisches Schneckenhaus zu verkriechen, ist aber ebenso klar, denn der Stiefel des Faschismus kann dieses erstrecht mit einem einzigen gezielten Tritt zertrümmern. Für die revolutionär-marxistische ArbeiterInnenbewegung ist die gewaltsame Verteidigung der Revolution also immer noch ultima ratio, aber unter den Bedingungen des Imperialismus, wie ihn eben selbst die SDAP im ersten Abschnitt des "Linzer Programms" ja richtig charakterisiert, wohl oder übel unumgänglich. Denn historisch ist es immer die Bourgeoisie, die zwingend ihre eigene bürgerliche Demokratie aufhebt und die Ausflucht der faschistischen Diktatur benötigt. Diese bittere Erfahrung musste nicht nur die österreichische Sozialdemokratie machen, sondern z.B. auch die republikanische Volksfront-Regierung Spaniens in den 30er Jahren oder jene der Unidad Popular unter Salvador Allende in Chile 1973. Und eine realistische Einschätzung ist daher, dass mit einem notwendigen antifaschistischen Abwehrkampf einer sozialistischen Bewegung erstens nicht nur vielleicht, sondern mit sehr großer Sicherheit, und zweitens eventuell in einer recht frühen Phase ihres Vorwärtsschreitens zu rechnen ist. Im Linzer Programm ist mit dem defensiven Konzept jedoch das Fundament für das ständige Zurückweichen der SDAP gegenüber der faschistischen Bedrohung gelegt, wodurch jede reale Verteidigungsmöglichkeit des Proletariats minimiert wurde und die endgültige Niederlage des Austromarxismus im Jahre 1934 vorprogrammiert war.

Wir sehen also längst, die Verwirklichung des "demokratischen Sozialismus" Bauerscher Prägung hat nichts mit einer sozialistischen Revolution und Umgestaltung, die das "als herrschende Klasse organisierte Proletariat" (MEW 4, S. 481) gegen den logischen Widerstand der Bourgeoisie durchführen muss, zu tun, sondern orientiert auf einen radikalen Reformismus und eine Transformation des bürgerlichen Staates. Das ist etwas, was Marx in aller Deutlichkeit jedoch für unmöglich erklärt hat, er schreibt, "die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen" (MEW 17, S. 336). Eine "Revolution mit dem Stimmzettel", d.h. durch Erreichung von 50% und einer Stimme durch die Sozialdemokratische Partei, ist eine Konzeption, der Marx, Engels ("Das allgemeine Stimmrecht ist so der Gradmesser der Reife der Arbeiterklasse. Mehr kann und wird es nie sein im heutigen Staat." - MEW 21, S. 168) oder auch zu Lebzeiten Bauers Clara Zetkin eine klare Absage erteilt haben: "Das allgemeine, gleiche, geheime, direkte, aktive und passive Wahlrecht für alle Erwachsenen bedeutet nur die letzte Entwicklungsstufe der bürgerlichen Demokratie und wird zur Grundlage und zum Deckmantel für die vollkommenste politische Form der Klassenherrschaft der Besitzenden und Ausbeutenden." (Zetkin, Schriften zur proletarischen Frauenbewegung, Wien 1979, S. 69) - Dennoch hielt Otto Bauer die Einschätzung von Marx - allemal für Westeuropa - für überholt. Wir sehen also, Bauer stand hier durchaus in einem gewissen theoretischen Widerspruch zu den von Marx und Engels geschaffenen Grundlagen des wissenschaftlichen Sozialismus, aber den Marxismus nicht als Dogma zu begreifen und Marx und Engels nicht für unfehlbar zu halten, das ist ja weder ein Verbrechen noch unbedingt falsch. Daher gilt auch für Bauers Ideen: "Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, d. h. die Wirklichkeit und Macht, die Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit eines Denkens, das sich von der Praxis isoliert, ist eine rein scholastische Frage." (MEW 3, S. 533) - Diesbezüglich werden wir Bauers Einschätzungen also noch genauer anhand der Praxis zu untersuchen haben, zunächst wollen wir sein Konzept noch in seiner Gesamtheit darlegen.

Wenn Otto Bauer also auf eine "Revolution" mit dem Stimmzettel setzt, so erklärt sich daraus natürlich auch sein Gedanke, es müsse die Mehrheit der Köpfe für den "demokratischen Sozialismus" gewonnen werden. Dieser Kampf um das Bewusstsein nicht nur des Proletariats, sondern eben der Mittelschichten, des Kleinbürgertums, der bäuerlichen Bevölkerung ist für Bauers Ideen von immenser Bedeutung. Wer jedoch glaubt, hier Antonio Gramscis Konzept des Kampfes um die kulturelle Hegemonie in der Zivilgesellschaft wiederzuerkennen, täuscht sich. Während Bauer danach trachtet, eine Mehrheit für die Übernahme der bürgerlichen Demokratie und ihre Transformation zu erlangen, gibt sich Gramsci keinen Illusionen hin, seine Vorstellung ist eine wesentlich andere, nämlich eine revolutionäre im Sinne von Marx und Lenin. Gramsci will den bürgerlichen Staat überwinden, d.h. abschaffen und an die Stelle der bürgerlichen Demokratie die sozialistische Demokratie (die Diktatur des Proletariats) setzen: "Der sozialistische Staat ... ist ein Übergangsstaat, der die Aufgabe hat, den kapitalistischen Wettbewerb abzuschaffen, indem das Privateigentum, die Klassen und die nationalen Ökonomien abgeschafft werden. Diese Aufgabe ist nicht umsetzbar auf dem Boden des demokratischen Parlamentarismus. Die Formel der ‚Eroberung der Staatsmacht’ muss so verstanden werden, dass es um die Erschaffung eines neuen Typs von Staat geht, der generiert wird aus der gemeinsamen Erfahrung des Proletariats und den demokratisch-parlamentarischen Staat ersetzt" (La conquista dello stato, L’Ordine Nuovo, 12.7.1919). Diese Ansicht Gramscis steht in frontaler Opposition zu den Utopien des Linzer Programms.

Wie steht es nun mit der vom Marxismus geforderten Überprüfung der Theorie anhand der Praxis? Nun, Bauers Konzeption hätte kaum tragischer und eindrucksvoller von der Geschichte widerlegt werden können. Der Februar 1934 steht für den endgültigen Sieg des Austrofaschismus im Kampf gegen den angestrebten Weg des Austromarxismus. Georgi Dimitroff bringt es 1934 bei einer Rede vor österreichischen Schutzbündlern auf den Punkt: "Was kam, war das Ergebnis des Verrats, war die Folge der sozialdemokratischen Politik. Damals hat die sozialdemokratische Führung gepredigt: 'Auf friedlichem Wege kommen wir am sichersten zum Sozialismus... Jetzt haben wir schon die Gemeinden in unseren Händen, morgen werden wir die Regierung leiten. Schon haben wir 40 Prozent der Stimmen, morgen bekommen wir 50 Prozent, und wenn wir 51 Prozent haben, sind wir die Mehrheit und - der Sozialismus ist da!' Wo dieser ‚friedliche Weg’ eingeschlagen wurde, dieser scheinbar billigere Weg, der scheinbar weniger Opfer, Blut und Leiden kostete, dort regieren heute die Herren Dollfuß und Fey, Hitler und Göring." (Dimitroff, Ausgewählte Schriften, Berlin 1958, Bd. 2, S. 463 ff.) - Und die faschistische Konterrevolution setzte nicht etwa ein, als eine SP-Regierung konkrete sozialistische Maßnahmen setzte, wie es Bauer geplant hatte, sondern unter einem (und durch einen) amtierenden christlichsozialen Bundeskanzler und bereits angesichts einer Entwicklung der SDAP-Wahlergebnisse von knapp 36% und damit 69 von 183 Nationalratsmandaten (1920) zu einem Stimmenanteil im Jahre 1930 von 41% und 72 von 165 Mandaten. Was bedeutet dies nun? Es bedeutet, dass das, was in der Theorie "vorstellbar" - wie es Engels formulierte - war, in der Praxis des real existierenden Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium höchst unwahrscheinlich sein dürfte. Wir müssen erkennen: Der Imperialismus geht global gegen jede progressive Volksbewegung mit Gewalt vor - und nicht erst gegen amtierende sozialistische Regierungen. Im Sinne der notwendigen ständigen Revision marxistischer Theorien bedeutet das alles, dass das Konzept Bauers insofern zu "verbessern" wäre, dass die Möglichkeit der friedlichen Verwirklichung des Sozialismus, d.h. ein Hineinwachsen der bürgerlichen Demokratie in diesen - wir können durchaus hinzufügen: leider - fürderhin eher auszuschließen ist unter den Gegebenheiten des Imperialismus. Ein Schluss, zu dem Otto Bauer im tschechoslowakischen Exil 1936 nach der faschistischen Machtergreifung in Österreich, Deutschland und Italien daher selbst kommen muss: "Diese Erfahrung zerstört die Illusion des reformistischen Sozialismus, dass die Arbeiterklasse friedlich und allmählich durch bloße Ausnützung der demokratischen Institutionen, ohne revolutionären Sprung die Formen der Demokratie mit sozialistischem Inhalt erfüllen, die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu einer sozialistischen entwickeln könne. Hat die Arbeiterklasse erlebt, dass die Schärfe der Klassengegensätze die Demokratie sprengt, um die faschistische Diktatur des Kapitals aufzurichten, so muss sie erkennen, dass eine vollkommene und dauerhafte Volksfreiheit erst gesichert sein wird, wenn die Klassen selbst und damit die Klassengegensätze der kapitalistischen Gesellschaftsordnung aufgehoben sein werden. Hat sie gehofft, durch Ausnützung der Demokratie eine sozialistische Gesellschaftsordnung erringen zu können, so muss sie jetzt erkennen, dass sie zuerst ihre eigene Herrschaft erkämpfen und durch sie eine sozialistische Gesellschaftsordnung aufbauen muss, ehe eine vollkommene und dauerhafte Demokratie möglich wird." (Werkausgabe, Wien 1976, Band 4, S. 159) - Hier erweist sich Bauer also doch zweifellos als Marxist, der selbstkritisch und schonungslos die Unzulänglichkeit und die Utopien des Austromarxismus eingesteht. Es kann Bauer durchaus zugestanden werden, dass er sich "nach links" entwickelt hat - ein Sonderfall in der Sozialdemokratie, wenn wir an Gesinnungsfreunde wie Hilferding oder Kautsky denken...

In negativer Hinsicht - dies sei noch angemerkt - kommt die Staatsauffassung und die Haltung zur Revolution, wie sie sich im Linzer Programm finden, durchaus aus der Praxis, nämlich aus der konterrevolutionär Praxis der Sozialdemokratie rund um das Ende des Ersten Weltkrieges. Damals verhinderte sie die von den Massen geforderte sozialistische Revolution in Österreich, rettete die Macht der Bourgeoisie und beging selbst quasi-weißgardistische Verbrechen gegen ArbeiterInnen. - Mit dem Linzer Programm wurde diese gegenrevolutionäre Praxis im Nachhinein theoretisch unterlegt und "gerechtfertigt".

Vierter und fünfter Abschnitt: Reformen, Übergangsprogramm

Im vierten Abschnitt des "Linzer Programms" werden die "nächsten Aufgaben der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei" präsentiert. Mit diesen Programmpunkten müssen wir uns nicht länger aufhalten, es sind dies zum damaligen Zeitpunkt logische Forderungen nach Reformen in verschiedenen Bereichen. Manches wurde sogar in der einen oder anderen Form umgesetzt, manches ist jedoch bis heute aktuell geblieben. Es sind hier sogar konkretere antimonopolistische Maßnahmen enthalten, es geht um die Demokratisierung der Verwaltung, der Justiz, aber auch der Betriebe. Gefordert werden darüber hinaus z.B. die Ausweitung der sozialen Fürsorge und des Wohnungsbaus, der freie Bildungszugang, die strikte Trennung von Staat und Kirche sowie die Erklärung der Religion zur Privatsachen bei Gewährleistung ihrer freien Ausübung. Und nicht zuletzt fordert die SDAP in diesem Abschnitt konkrete Maßnahmen und Schritte zur Gleichstellung der Geschlechter und für Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Frau. Insgesamt durchwegs vernünftige Punkte, die (neben einer revolutionären Orientierung) für jede marxistische Partei als unmittelbare Forderungspunkte im politischen Tagesgeschehen als zweckmäßige Reformschritte zu sehen waren (und zum Teil noch sind).

Der fünfte Abschnitt behandelt den "Übergang von der kapitalistischen zur sozialistischen Gesellschaftsordnung". Wir ersparen es uns, nochmals umfassender darauf hinzuweisen, dass diese Übergangsperiode von Marx als notwendige "Diktatur des Proletariats" charakterisiert wurde, die die SDAP jedoch ablehnte - wir haben diesen schweren Fehler im Linzer Programm wohl schon zur Genüge dargelegt. Wir wollen uns ungeachtet dieser fehlenden unabdingbaren Grundvoraussetzung dennoch kurz mit den konkreteren geforderten Maßnahmen beschäftigen. Bevor das Programm zu diesen kommt, wird noch Folgendes festgehalten: "Die sozialistische Gesellschaftsordnung kann aber nicht in einem einzelnen kleinen, von den kapitalistischen Weltmächten abhängigen Lande aufgebaut werden, sondern nur in großen, zusammenhängenden Gebieten, die die Voraussetzungen sozialistischer Planwirtschaft in sich schließen. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei wird daher nach der Eroberung der Staatsmacht im eigenen Lande die Vergesellschaftung der im Eigentum der Kapitalisten und der Großgrundbesitzer konzentrierten Produktionsmittel immer nur in dem Maße durchführen können, in dem die Entwicklung in den anderen Staaten bereits die Voraussetzungen dafür geschaffen haben wird." - Die SDAP entledigt sich hier bis zu einem gewissen Grad der Eigenverantwortung mit dem Hinweis, in einem Land wie Österreich alleine seien keine sozialistischen Maßnahmen durchführbar (wir werden später noch sehen, worauf das in diesem Programm konkret abzielt). Das Warten auf die Weltrevolution ist jedenfalls ein äußerst nützliches Konzept: für die Bourgeoisie... - Die konkreten Maßnahmen sind nun relativ auf der Hand liegend: "Der private und der kirchliche forst- und landwirtschaftliche Großgrundbesitz, das großstädtische Baugelände, der Bergbau, die großen Unternehmungen der Industrie und des Verkehrswesens sind in das Eigentum des Gemeinwesens zu überführen, der kapitalistische Handel, das kapitalistische Bankwesen und Versicherungswesen sind teils durch Einrichtungen des Gemeinwesens, teils durch genossenschaftliche Institutionen zu ersetzen. (...) Die vergesellschafteten Großbetriebe werden je nach ihrer Eigenart als Staats-, Landes- oder Gemeindebetriebe geführt oder gemeinwirtschaftlichen Anstalten, autonomen Wirtschaftskörpern oder Genossenschaften zur Führung übertragen. (...) In der Zeit des Überganges werden vergesellschaftete und kapitalistische Betriebe nebeneinander bestehen. In dieser Entwicklungsphase wird die Arbeiterklasse das Wachstum der vergesellschafteten auf Kosten der kapitalistischen Betriebe planmäßig fördern müssen. Sowohl die Leiter der vergesellschafteten Betriebe als auch die Arbeiter und Angestellten, die in Betrieben arbeiten, welche bereits von einem von der Arbeiterklasse beherrschten Gemeinwesen, von einer gemeinwirtschaftlichen Anstalt oder von einer Genossenschaft der Arbeiter geleitet werden, müssen ihre Arbeit als Dienst für die Gesamtheit der Arbeiterklasse ansehen, im Interesse der Gesamtheit der Arbeiterklasse die Wachstumsenergie ihrer Betriebe stärken. Zu diesem Zwecke müssen einerseits die Gemeinwesen und die Genossenschaften die in ihren Betrieben tätigen Arbeiter und Angestellten zu breiter Mitbestimmung und Mitverwaltung der vergesellschafteten Betriebe heranziehen. (...) Der Sozialismus wird das Ausbeutungseigentum der Kapitalisten und der Großgrundbesitzer aufheben, nicht das Arbeitseigentum der Kleingewerbetreibenden und der Bauern. Aber er wird die Entwicklung der Genossenschaften der Kleingewerbetreibenden und der Bauern, die allmähliche freiwillige Vergenossenschaftung geeigneter Zweige ihrer Produktion und des Vertriebes ihrer Erzeugnisse tatkräftig fördern und sie dadurch der sich entwickelnden sozialistischen Gesellschaft eingliedern. (...) In dem Maße, als die Kapitalistenklasse enteignet wird, muss das Gemeinwesen die Funktionen übernehmen, die bisher die Kapitalistenklasse ausgeübt hat. An die Stelle der Anhäufung des Kapitals tritt die planmäßige Vergrößerung und Vervollkommnung des gesellschaftlichen Produktionsapparats durch das Gemeinwesen. (...) Mit der Vergesellschaftung der Großbetriebe und der Vergenossenschaftung der Kleinbetriebe verwandelt sich die Entwicklung der Produktivkräfte aus einem Mittel der Bereicherung der Kapitalisten- und der Grundherrenklasse in das Mittel, die Lebenshaltung, die Gesundheit, das Kulturniveau der breiten Volksmassen zu heben. Mit der Überwindung der Planlosigkeit der kapitalistischen Produktionsweise erlangt das Gemeinwesen erst die Möglichkeit, jedem Arbeitenden ein festes Recht auf seine Arbeitsstelle zu sichern. Sobald die Arbeiter und Angestellten selbst ihre Arbeitsprozesse bestimmen und über ihre Arbeitserträge verfügen, sobald die Früchte ihrer Anstrengungen ihnen und ihren Nachkommen eine höhere Lebenshaltung sichern, erlangt die Lebensarbeit des Arbeiters erst Sinn und Würde. Mit den Schrecken des Proletarierdaseins schwinden die Ursachen der Überkonkurrenz im Kleingewerbe und der Überschuldung der Bauernschaft. Mit der Scheidung der Gesellschaft in ausbeutende und ausgebeutete Klassen werden Klassenherrschaft und Klassenkampf überwunden; das ganze Volk wird zu einer die Früchte der gemeinsamen Arbeit gemeinsam genießenden Volkswirtschaft." - Hauptsächlich (nichtsdestoweniger richtige) Allgemeinplätze, über Einzelnes ließe sich diskutieren (wir haben hier nicht alles zitiert), aber im Großen und Ganzen sind die Maßnahmen logisch. Wir wollen sie mal so stehen lassen.

Sechster Abschnitt: Internationales

Wir kommen zum sechsten und letzten Abschnitt des "Linzer Programms", der gewissermaßen den Bereich "Internationales" behandelt. Aufgrund einer weitgehend richtigen Imperialismusanalyse (siehe erster Abschnitt) werden hier sehr wichtige Punkte angesprochen: "Die nächste Aufgabe der Internationale, zu der sich die Arbeiter aller Länder zusammenschließen, ist der Kampf gegen die aus dem Kapitalismus hervorgehenden Kriegsgefahren. (...) Die Sozialdemokratie fordert die planmäßige Erziehung der Jugend zum Völkerfrieden und zur Achtung vor dem Recht und der Würde fremder Völker. Sie bekämpft jede Politik, die Hass zwischen den Völkern hervorruft; sie bekämpft daher insbesondere jede Entrechtung und Vergewaltigung nationaler Minderheiten. (...) Die Sozialdemokratie fordert die Pflege friedlicher Beziehungen zu allen Staaten. Sie wird sich jedem Versuch widersetzen, die Republik in einen Krieg hineinzuzerren. Sie wird sich gegen jeden imperialistischen oder nationalistischen Krieg mit aller ihrer Macht zur Wehr setzen. (...) Die Sozialdemokratie ist sich dessen bewusst, dass dauernder Friede nur auf die Freiheit und Gleichberechtigung der Völker gegründet werden kann. Sie tritt für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker ein. (...) Sie unterstützt die Freiheitskämpfe aller Völker gegen imperialistische Fremdherrschaft und gegen gegenrevolutionäre Einmengung in ihre Revolutionen. (...) Die Sozialdemokratie erstrebt den Aufbau einer internationalen Rechtsordnung, welche es ermöglicht, alle Streitigkeiten zwischen den Völkern friedlich zu schlichten, die schwachen Völker gegen die starken zu beschützen, die internationale Abrüstung durchzuführen und die imperialistischen Verträge von 1919 auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu revidieren. Den gegenwärtigen Völkerbund betrachtet die Sozialdemokratie als einen Kampfboden des Klassenkampfes. Sie bekämpft die kapitalistischen und imperialistischen Mächte, die den Völkerbund zu einem Werkzeug der Verteidigung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und der durch die imperialistischen Verträge von 1919 begründeten Staatenordnung machen. Sie betrachtet es als Aufgabe der internationalen Arbeiterklasse, den Völkerbund unter ihren Druck zu stellen, die Vorbedingungen für den Eintritt aller Völker in den Völkerbund zu erkämpfen, seine Organisation zu demokratisieren, um schließlich mit der Staatsmacht in den einzelnen Ländern auch den Völkerbund zu erobern, ihn damit erst zum wirklichen Hüter des Friedens und der Freiheit der Völker umzugestalten. Die Sozialdemokratie ordnet alle ihre Gegenwartskämpfe dem Kampf um ihr Endziel unter: um die dauernde Sicherung des Völkerfriedens und der Völkerfreiheit durch die internationale Föderation der nationalen sozialistischen Gemeinwesen." - Das sind im Wesentlichen vernünftige Forderungspunkte, die einer internationalistisch ausgerichteten, antiimperialistischen und antimilitaristischen Partei der ArbeiterInnenklasse durchaus zur Ehre reichen, wenngleich man sicherlich darüber diskutieren kann, inwieweit der Völkerbund (oder eben heute die UNO) tatsächlich demokratisierbar ist.

Wir haben in obigem Zitat bewusst den Punkt 4 ausgelassen, auf den wir abschließend noch gesondert eingehen wollen. Er lautet: "Die Sozialdemokratie betrachtet den Anschluss Deutschösterreichs an das Deutsche Reich als notwendigen Abschluss der nationalen Revolutionen von 1918. Sie erstrebt mit friedlichen Mitteln den Anschluss an die Deutsche Republik." Dieser Forderungspunkt, der aus heutiger Sicht für viele unverständlich erscheinen muss, gründet sich auf das völlig falsche Verständnis der österreichischen Sozialdemokratie zur nationalen Frage, die Existenz einer österreichischen Nation zu verneinen und die deutschsprachigen ÖsterreicherInnen als Teil der deutschen Nation zu definieren. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Sichtweise (eher notgedrungen) endgültig fallengelassen, wenngleich z.B. Friedrich Adler bis zu seinem Tod 1960 Anhänger dieser großdeutschen Idee blieb. Das von der SDAP getragene Bekenntnis zur deutschen Nation war aber bereits vor dem Anschluss 1938 keineswegs in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung unumstritten, so ist es vor allem das Verdienst von Alfred Klahr (ZK-Mitglied der KPÖ), den Grundstein für eine marxistische Theorie der österreichischen Nation gelegt zu haben. Klahrs Analyse gründet kurz gesagt darauf, dass sich nach der gescheiterten "gesamtdeutschen" Revolution von 1848, besonders nach dem preußisch-österreichischen Krieg 1866 und auch mit den Jahren nach 1918 die ÖsterreicherInnen zu einer eigenen Nation entwickelt haben: "Die Österreicher haben auf der Grundlage der jahrzehntelangen staatlichen Selbständigkeit eine eigene nationale, von der deutschten Nation verschiedene Entwicklung durchgemacht. Ihr Kampf um die Aufrechterhaltung der staatlichen Selbständigkeit bedeutet den Kampf um die Erhaltung der Grundlage der selbständigen nationalen Entwicklung, um die Erhaltung der nationalen Unabhängigkeit Österreichs. Er ist ein nationaler Kampf, ein Kampf für die nationale Selbstbestimmung des österreichischen Volkes." (Weg und Ziel, April 1937) - Ebenso stellte im Juli 1938 das ZK der KPÖ fest: "Niemals bisher in der Geschichte lebten die Österreicher mit den übrigen deutschen Stämmen in einem Staat zusammen. Das österreichische Volk hat eine staatliche, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung abseits vom Deutschen Reich vollzogen. Kraft seiner eigenen selbständigen Geschichte, kraft seines Willens zur Unabhängigkeit war und ist das österreichische Volk nicht irgendein abgesplitterter Teil, sondern ein selbständiges Ganzes geworden, ein aus eigener Kraft - in der Familie der übrigen mitteleuropäischen Völker - lebensfähiges selbständiges Volk." Diese Sichtweise der KPÖ wurde auch von wichtigen Marxisten wie z.B. Georgi Dimitroff, aber auch explizit von der KPD und der KPdSU unterstützt. Sie war - verbunden mit dem eigenständigen Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung von der NS-Herrschaft v.a. durch AntifaschistInnen (darunter auch viele sozialdemokratische) in der illegalen Organisation der KPÖ sowie durch die österreichischen Freiheitsbataillone im Rahmen der jugoslawischen Partisanenarmee - Grundlage für die Moskauer Deklaration der Alliierten von 1943, für den Staatsvertrag von 1955 und somit für die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität Österreichs.

Austromarxismus heute

Was bleibt vom "Austromarxismus"? Wenig schmeichelhaft könnte zusammengefasst werden: neben einer falsche Faschismustheorie und einer falschen Theorie über die Nationalitätenfrage, was wir hier nicht eingehender behandelt haben, vorrangig eine falsche Staatstheorie, eine falsche Theorie über Strategie und Taktik der ArbeiterInnenbewegung sowie eine verheerende Niederlage im Klassenkampf. Die Ansichten von Otto Bauer, Karl Renner & Co. wurden auf der gesamten Linie von der Geschichte leider äußerst eindrucksvoll widerlegt. Zu Recht spielen diese Ansichten als theoretische Basis heute keine ernstzunehmende Rolle mehr im marxistischen Diskurs. Bauers gesammelte Werke taugen für manche traditionsbewusste SozialdemokratInnen, die sich mit einer ideologischen Aura umgeben wollen, bisweilen zwar als Zitatesteinbruch, aber sie haben weder als analytisches noch als methodisches Werkzeug Relevanz. Dies gilt in zweierlei Hinsicht: einerseits verwerfen MarxistInnen den "Austromarxismus" aufgrund seiner fatalen inhaltlichen Fehler, andererseits möchten diejenigen politisch tätigen Menschen in Sozialdemokratie und Gewerkschaft, die keinerlei systemtranszendente Perspektiven verfolgen, nicht einmal mit diesem harmlosen "Halb-Marxismus" in Berührung kommen. Werden Otto Bauer oder Max Adler von österreichischen MarxistInnen oder solchen, die sich dafür halten möchten, dennoch ins Spiel gebracht, so steht dahinter in der Regel nur ein besonders bizarrer Nationalismus, der inhaltliche Schwächen großzügig ausblendet.

Das heißt nun nicht, dass Bauers Werkausgabe ein Fall für den Altpapiercontainer wäre, denn einzelne Lehrschriften, die sich im Rahmen der Erkenntnisse von Marx und Engels bewegen, mögen brauchbar sein, genauso wie viele Texte als historische Dokumente von Interessen sein können und lehrreich zeigen, wie es nicht geht. Verworfen werden muss jedoch in jedem Fall das eigenständige revisionistische Kernstück des "Austromarxismus", d.h. die Auffassungen über den Staat und die bürgerliche Demokratie inklusive der damit verbundenen strategischen Implikationen und Orientierungen - denn diese basieren, wie die Realität gezeigt hat, auf schlimmen Fehleinschätzungen.

Diesbezüglich entbehrt es zweifellos nicht einer gewissen Komik (und leider auch einer ebensolchen Tragik), dass diese Fehleinschätzungen genau das sind, was sich die SPÖ nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Repertoire des "Austromarxismus" zwischenzeitlich angeeignet hatte. Bis 1998 bekannte sich die SPÖ zur Utopie des "demokratischen Sozialismus", den sie sodann im gegenwärtig gültigen Parteiprogramm durch die "soziale Demokratie" ersetzte. Dahinter steht - wir haben das bereits ausführlich besprochen - die fatale Illusion eines klassenindifferenten Demokratiebegriffs. Und es steckt schon eine ganz außergewöhnliche Ironie dahinter, dass diejenigen, die sich diesbezüglich zu guter letzt dann doch auf den "Austromarxismus" berufen wollen, Otto Bauers Vermächtnis ignorieren, nämlich seine durchaus kritische Selbstrevision nach dem Scheitern des "dritten Weges" der SDAP, seine Warnung vor dem Wiederholen derselben Fehler (wir haben diese Passage weiter oben schon angeführt).

Nun ist die heutige SPÖ ohnedies weit davon entfernt, auch nur ansatzweise sozialistische Positionen zu beziehen, wie sie das "Linzer Programm" trotz aller Mängel beinhaltete. Wenn heute in der Sozialdemokratie von einem "dritten Weg" die Rede ist, dann ist nicht jener des "Austromarxismus", sondern der von Tony Blair und Gerhard Schröder gemeint, d.h. neoliberale Politik, Sozialabbau, Privatisierungen und Militarisierung durch die "neue Mitte" bzw. "New Labour". Hier gibt es keinen "Mittelweg" mehr zwischen Reformismus und Revolution, sondern bestenfalls einen zwischen radikalem Konterreformismus und Stillstand: also neoliberaler Konterreformismus der kleinen Schritte. Der frühere SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas formulierte treffend: "Nicht links, nicht rechts, sondern vorwärts!" - Vorwärts, Hand in Hand mit dem Kapital, um den reformistischen Schutt aus der Kreisky-Ära endgültig zu beseitigen. - Es ist nicht zu erwarten, dass im Falle einer SPÖ-geführten Regierung unter Alfred Gusenbauer, in seiner Zeit in der SJ selbst "Austromarxist", abgesehen von kosmetischen Maßnahmen dieser Weg verlassen werden würde. Insofern könnte von einem gewissen Fortschritt gesprochen werden, wenn wenigstens die "radikal-reformistischen" Positionen des "Austromarxismus" in der SPÖ Gewicht hätten.

Die Ironie der Geschichte besteht weiters darin, dass in der "Linken" nur ein bestimmter Teil heute den "Austromarxismus" für sich wieder entdeckt, nämlich die revisionistischen Teile der kommunistischen oder ehemals kommunistischen Parteien, d.h. insbesondere PDS/Linkspartei, die Führung der Rifondazione Comunista, ja gar die KPÖ. Betrachtet man das Konstrukt der so genannten "Europäischen Linkpartei", so haben deren Ausrichtungen durchaus manches mit alten "austromarxistischen" Irrwegen gemein, wie es bereits im Rahmen des Eurokommunismus der Fall war. Diese Wege führen nicht nur zum endgültigen Revisionismus und Opportunismus, sondern auch zur Integration in die bürgerlichen Institutionen. Böse, aber vielleicht gar nicht so falsch denkt, wer meint, dies könnte auch das tatsächliche Ziel dahinter sein...

Dem Revisionismus ist Antirevisionismus entgegenzustellen, dem Opportunismus ist mit klaren marxistischen Positionen zu begegnen. Auf "austromarxistischer" Basis wird beides nicht möglich sein, notwendig ist letztlich der Marxismus-Leninismus als Kompass jeder revolutionären ArbeiterInnenorganisation, die als solche Bestand haben will.

So bleibt das Linzer Programm, wie eingangs formuliert, ein historisches Dokument von Interesse - für die Gegenwart und Zukunft taugt es nicht, es sei denn als warnendes Beispiel.

"Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben", meinte Lenin - und mit einem im Kern revisionistischen Programm wird es eben auch nur eine revisionistische Partei geben.

Dies ist die Lehre.

Tibor Zenker.
Wien, Österreich

Polen

Zbigniew Wiktor

Die Geschichte der kommunistischen Bewegung in Polen – als Beispiel für die Länder Osteuropas;
Teil 2: Fehlentwicklungen und Stagnation

5. Die weiteren Umgestaltungen in den 60er und 70er Jahren

Die weitere Entwicklung Volkspolens lässt sich an der Realisierung der neuen Fünf-Jahres-Pläne beobachten:

1956 – 1960: die Periode der mehr proportionalen Entwicklung sowie der nachträglichen Erfüllung der noch nicht realisierten Aufgaben des Sechs-Jahres-Planes;

1961 – 1965: die weitere Industrialisierung des Landes;

1966 – 1970: eine eher selektive Entwicklung und die Suche nach neuen Triebkräften, die im Zusammenhang mit der wissenschaftlich-technischen Revolution gesucht wurden, Stichwort „moderne Wirtschaft“;

1971 – 1975: eine rapide Entwicklung durch fremde Kapitalien;

1976 – 1980: die Fortsetzung des vorherigen Fünf-Jahres-Plans und am Ende die ersten Symptome des Niedergangs und die Vorboten des Zusammenbruchs.

Die Entwicklungen während dieser Periode (25 Jahre) hatten innere und äußere Bedingungen.

Die Hauptaufgabe war zunächst die Bewältigung des großen und weiter wachsenden Arbeitskräftereservoirs. Von 1955 bis 1965 wuchs die polnische Bevölkerung um 4 Millionen, der Hauptzuwachs lag in den Städten (3,4 Millionen), die Landbevölkerung wuchs nur um 0,4 Millionen Menschen.

Das Nationalprodukt wuchs um durchschnittlich 7 % jährlich, so z.B. in der Periode von 1966 – 1970 um 34 %, die Industrieproduktion des gesellschaftlichen Sektors wuchs im gleichen Zeitraum um 49 %. In den Jahren von 1971 – 1980 wuchs die Industrieproduktion um 230 %, die landwirtschaftliche Produktion um 60 %. Die Städte verzeichneten in diesem Zeitraum einen Zuwachs der Bevölkerung um rund 4 Millionen Menschen.

Die innere Struktur der polnischen Bevölkerung, die Struktur der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen wurde dadurch stark verändert. Bis 1965 hatte sich die Zahl der Arbeiter im Vergleich mit dem Jahr 1939 verdoppelt. Der Zuwachs entstand vor allem in der Großindustrie. Hier sei daran erinnert, dass im Vorkriegspolen nur rund 800.000 Arbeiter in Betrieben mit mehr als 50 Mitarbeitern beschäftigt waren, die Mehrheit der polnischen Arbeiter also in Kleinbetrieben, als Handwerker und als Landarbeiter lebte.

Nach der revolutionären Umgestaltung wuchsen Bildung, Kultur und politisches Bewusstsein der Arbeiterklasse, die Reste des Analphabetismus wurden bereits Ende der 40er Jahre beseitigt. Alle Kinder gingen zur Schule, das Schulwesen wurde über die Grundschulen, die Berufsschulen, die technischen Schulen und die Schulen mit Abitur ausgebaut, es entstanden viele Hochschulen und neue Universitäten. In den Jahren von 1970 – 1980 haben 6 Millionen junge Leute Arbeit in der nationalen Wirtschaft gefunden, davon rund 2,5 Millionen durch neu geschaffene Arbeitsplätze in der Industrie. Neue Industriezweige und neuartige Betriebe entstanden mit einem hohen Anteil an technischer und Ingenieurskraft.

Damit wurden große soziale Errungenschaften erreicht für die Menschen, die Familien, die Frauen, die Kinder. Breiter Aufbau von Kinderkrippen, Kindergärten, unterschiedliche Formen der Unterstützung für die Familien, Erholungswesen, kostenloses Gesundheitssystem, Sportanlagen usw. wurden realisiert. Die Frauen wurden besonders unterstützt.

In den Jahren von 1970 – 1980 entstand eine breite Wohnungsbauwirtschaft. Zum Vergleich: in den 50er Jahren wurden rund 60.000 bis 100.000 Wohnungen jährlich gebaut, in den 70er Jahren waren es etwa 200.000 bis 270.000 Wohnungen jährlich.

Im Resultat dieser rapiden und allseitigen Umgestaltung Polens hat das Land die industrielle Produktion von 1938 20-fach überschritten und lag auf Rang 10 der Rangfolge der industriellen Länder der Welt, obwohl es territorial gemessen nur auf Rang 62 steht.

Diese Entwicklung eröffnete neue Möglichkeiten in der für die Verbesserung der materiellen Grundlagen der Gesellschaft und der sozialen Errungenschaften der Werktätigen, insbesondere im Arbeitsrecht, beim Wohnungsbau, bei der kostenlosen Ausbildung und im Wissenschaftssystem, beim kostenlosen Gesundheitssystem, bei der breiten Subventionierung der Medikamente durch den Staat sowie bei den Pensionen.

Alle diese Veränderungen haben bei den Werktätigen zu einer hohen sozialen Stabilität geführt, haben eine gute Zukunftsperspektive eröffnet. Die Arbeiter der jüngeren polnischen Generation kannten weder Arbeitslosigkeit noch andere Plagen des Kapitalismus, weder Obdachlosigkeit noch Abhängigkeit und Unterdrückung durch so genannte Arbeitgeber.

Die noch lebendigen Erinnerungen der älteren Generation der Arbeiter an die „bösen“ Seiten des Kapitalismus und die Warnungen vor der Gefahr eines Wiederentstehens des Kapitalismus wurden abgetan oder bagatellisiert. Die Leitung der PVAP, unter starkem Einfluss der KPdSU stehend, vertrat die These, dass der „reale Sozialismus“ sicher, unbesiegbar und damit ewig sei. Dementsprechend wurden nach 1956, verstärkt aber nach 1970 auch die Klassenwidersprüche bagatellisiert.

Die PVAP wuchs zahlenmäßig an. Nach der Vereinigung 1948 hatte sie rund 1,3 Millionen Mitglieder, davon 57 % Arbeiter, 14,3 % Bauern und 26,1 % Angehörige der Intelligenz. Nach der Krise 1956 schrumpfte die Partei und nach der Parteireinigung Ende 1959 zählte sie noch rund 1 Million Mitglieder. Ende 1968 war die Partei auf 2,1 Millionen Mitglieder angewachsen, bis Mitte der 70-er Jahre gar auf über 3 Millionen. Dabei wuchs der Anteil der mittleren Schichten an der Parteimitgliedschaft stark an, am Ende dieser Periode lag der Prozentsatz der Arbeiter in der Parteimitgliedschaft nur noch bei rund 40 %, gewiss ein Alarmsignal für die weitere Entwicklung der PVAP.

Außenpolitisch war Polen zu dieser Zeit ein stabiler Staat, hatte anerkannte Grenzen, friedliche Beziehungen zu den Nachbarstaaten und eine feste Position in der sozialistischen Gemeinschaft. Polen normalisierte die Beziehungen zu den kapitalistischen Ländern, nahm mit Erfolg am UNO-Prozess teil und unterstützte politisch, ökonomisch und moralisch die fortschrittlichen Kräfte der Welt. Die Grundlage dieser Politik war das feste und stabile Bündnis mit den sozialistischen Ländern, insbesondere mit der Sowjetunion, der DDR, der CSSR sowie den anderen volksdemokratischen Länder Europas. Polen distanzierte sich von der nach Osten gerichteten Eroberungs- und früheren polnischen Ausbeuterklasse und erkannte das Selbstbestimmungsrecht der Westukraine, Westweißrusslands sowie der Wilna-Gebiete an. Gleichzeitig kehrte Volkspolen territorial in die altpolnischen Piastengebiete an Oder, Lausitzer Neiße und Ostseeküste zurück. Diese neuen Gebiete verstärkten die Wirtschaftskraft Polens erheblich und schufen die Möglichkeit, den Landhunger der polnischen Bauern zu befriedigen. Polen öffnete sich zum Baltikum, was neue Möglichkeiten der Seewirtschaft und des Außenhandels eröffnete.

Innenpolitisch wurde Polen nach dem Zweiten Weltkrieg ein weitgehend homogenes Land ohne ethnische Unruhen oder Konflikte.

Die Analyse der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung Polens bis 1980 beweist, dass das strategische Ziel der führenden ideologischen Kraft, der PVAP, richtig war und eine breite Unterstützung durch die Arbeiterklasse und die sonstigen Werktätigen erfuhr. Wenn man diese Zeit mit der Situation Polens vor dem Zweiten Weltkrieg vergleicht, sieht man die klaren Fortschritte. Diese positive Bilanz wird noch klarer, wenn man Volkspolen vergleicht mit dem Polen der neokapitalistischen Transformation der letzten 17 Jahre seit 1989.

Aber die Analyse Volkspolens beweist auch, dass seine Entwicklung nicht ohne tiefe politische Krisen stattfand. Die erste erlebten wir schon 1956, als die revisionistischen Kräfte in Polen mit Unterstützung der Chruschtschow. Gruppe in der KPdSU das Rad der Geschichte zurückdrehen wollten. Die zweite Krise entwickelte sich 1968/1970, als antisozialistische Kräfte große Massendemonstrationen organisierten und Proteste provozierten. Noch schlimmer kam es 1980/81, als durch Fehler der PVAP-Leitung insbesondere während der zweiten Hälfte der 70er Jahre eine große Unzufriedenheit entstand, die schnell von „Solidarnocs“ und anderen konterrevolutionären Kräften ausgenutzt wurde. Gleichzeitig hatte der Imperialismus zu der Zeit ein strategisches Übergewicht gegenüber dem sozialistischen Lager entwickelt, die Kräfteverhältnisse verschoben sich in Polen wie überall auf der Welt.

6. Die Quellen und die Ursachen der Erosion und der Niederlage Volkspolens

Bei der Analyse der historischen Entwicklung Volkspolens müssen wir den Blick auch auf Fehler und Deformationen lenken, deren Folgen die Wiedergeburt und der wachsende Einfluss kapitalistischer Verhältnisse in Polen waren.

Die ersten Fehler wurden in der Periode von 1952/1953 gemacht. Man versuchte, die Bedeutung der bürgerlichen Einflüsse in Polen dadurch zu verringern, dass man die bürgerliche Opposition und die bewaffnete konterrevolutionäre Widerstandsbewegung liquidierte und meinte, dass das Problem damit gelöst sei und somit der Geschichte angehöre. Übersehen wurde, dass es sich bei den bürgerlichen Einflüssen um ein gesellschaftliches Problem, um eine in den gesellschaftlichen Verhältnissen der Übergangsperiode wurzelnde und von ihnen hervorgebrachte Tendenz handelte und dass deshalb bürgerliche Tendenzen auch nach der körperlichen Liquidierung des Widerstandes der Bourgeoisie weiterhin Einfluss hatten auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Hauptrolle im Kampf dagegen spielte die politische Macht und die Verwaltung. So kam es zur Überschätzung der Repression als Mittel zur Stabilisierung der sozialistischen Verhältnisse. Dadurch entstanden Unzufriedenheit und leiser Widerstand in unterschiedlichen Milieus, das verbreiterte die Basis für antisozialistische Aktivitäten. Die damals durchgeführte Repressionspolitik verlor teilweise die konkreten gesellschaftlichen Umstände aus dem Blick und wirkte nicht selten willkürlich. Bei den Massen entwickelten sich erste Tendenzen der Schwächung des Vertrauens in die sozialistischen Machtorgane und der Entfremdung von ihnen.

Als ein Beispiel aus dem Bereich der Ökonomie sei hier die schnelle und massenhafte Vergesellschaftung der kleinen Industrie, der Handwerker und des Handels genannt, die ohne Rücksicht auf die historische Situation, nämlich ohne die Möglichkeit, diese Leistungen in ausreichendem Maße gesellschaftlich zu garantieren, durchgeführt wurde. Die ökonomischen Bedingungen waren für diese Maßnahmen noch nicht reif, so dass sie ökonomisch und politisch Schaden anrichteten. Im Resultat rückte das polnische Kleinbürgertum ins Lager der Großbourgeoisie, warf sich also in die Arme der konterrevolutionären Kräfte, und weite Teile des Volkes waren unzufrieden, weil die Versorgungssysteme nur noch unzureichend funktionierten. Diese Schwierigkeiten führten dazu, dass die Überzeugung, eine angemessene Versorgung sei nur auf der Grundlage des Privateigentums zu garantieren, in der Gesellschaft anwuchs.

Ein weiteres Beispiel waren die manchmal abenteuerlichen Versuche der schnellen und abrupten Vergesellschaftung der Landwirtschaft. Natürlich schuf die Kollektivierung der Landwirtschaft erst die Bedingungen für den sozialistischen Aufbau. Sie wurde aber 1948 bei Fehlen der notwendigen gesellschaftlichen Voraussetzungen, der industriellen Basis und der materiellen Bedingungen, gegen den Widerstand  der großen und mittleren Bauern und der Katholischen Kirche bei gleichzeitig nur sehr gering entwickeltem Selbstbewusstsein der neu entstehenden Arbeiterklasse durchgeführt. Bei diesen schlechten Bedingungen musste dieser Versuch in die Niederlage führen. 1955 waren zwar 9790 LPG’s entstanden, sie erfassten aber nur 6 % der Bauernfamilien und 8 % der landwirtschaftlichen Fläche Polens. Gleichzeitig wuchsen die Versorgungsschwierigkeiten. Diese Situation kompromittierte die gesamte Idee der sozialistischen Vergesellschaftung. So entstand die Idealisierung der privaten Kleinwirtschaft.

Diese Niederlage, die 1956 auch zu einem Kurswechsel der Partei führte, war der entscheidende Faktor dafür, dass in Volkspolen später die kleinbürgerliche Landwirtschaft die massenhafte Basis für die Wiedergeburt und die Entwicklung bürgerlicher Einflüsse auf allen Seiten der gesellschaftlichen Beziehungen wurde.

Diese Beispiele sind Ausdruck einer kleinbürgerlich-radikalen Anschauung, die einen tiefgreifenden Systemwandel durch formales und technokratisches Vorgehen herbeiführen will, als könne man eine Revolution durch Verwaltungsakte vollbringen. Hier zeigt sich die Tendenz zu einem dogmatischen Opportunismus. Die Herausbildung dieses eigenartigen revolutionären Idealismus, der in grundsätzlichem Widerspruch zum materialistischen Wesen der Theorie der Arbeiterbewegung steht, ist nur zu verstehen als Resultat besonderer Interessen eines Teils der Leitungskader, für die der Sozialismus kein gesellschaftliches Ziel war, sondern Vehikel zur Befriedigung egoistischer und partikularer Interessen. Sie stellten die Realisierung dieser Privatinteressen und Lebensambitionen über die Sache des Sozialismus und verfolgten sie auch auf Kosten der Deformation des sozialistischen Systems. Besonders schädlich daran war, dass diese Fehler sowohl in Hinblick auf die Theorie als auch im Hinblick auf die Praxis einen bürgerlichen, weil individualistischen und partikulären Charakter zeigen. Sie führten zur Kompromittierung des Sozialismus und machten den Weg frei für die Verbreitung bürgerlicher Denkformen und kleinbürgerlicher Verhältnisse.

Trotz dieser Hypothek muss aber festgestellt werden, dass das größte Hemmnis für den erfolgreichen Aufbau des Sozialismus die antisozialistische Offensiv des Imperialismus seit Anfang der 50er Jahre war, die nicht nur den Kalten Krieg mit einer neuen Welle der Militarisierung und militärischen Aufrüstung anheizte, sondern auch zum offenen Krieg in Korea und später in Vietnam überging.

Dadurch wurde für den Sozialismus ein großes militärisches Aufrüstungsprogramm notwendig. Das führte zu Einschränkungen beim Konsum. Der soziale Lebensstandard der Werktätigen stagnierte, ja wurde zum Teil sogar verschlechtert durch diesen äußeren Zwang. Leider führten diese Verhältnisse zu weiterer Unzufriedenheit und zum Schwinden des Vertrauens der Werktätigen in die PVAP.

Im Kaderstamm zeigten sich erste bedenkliche Tendenzen des Opportunismus und des Kapitulantentums. In der öffentlichen Diskussion wurden bürgerliche Tendenzen gefördert, stark unterstützt von den antisozialistischen Zentren, den bürgerlichen Klassenkräften und der Katholischen Kirche.

7. Der Verzicht auf weitere sozialistische Umgestaltungen.

1956 entstand in Volkspolen eine neue politische Situation, die in den Oktoberereignissen kumulierte. Nach dem Tod von Boleslaw Bierut im März 1956 und der kurzen Zwischenepoche mit Edward Ochab kam Wladyslaw Gomulka mit den ihn unterstützenden Kräften der Partei wieder an die Macht. In dieser Zeit wurde die Ebene der Verwaltungskräfte zur entscheidenden Kraft, sie vergrößerte ihre ökonomischen und politischen Privilegien und gewann neue hinzu und drängte die organisierte Kontrolle durch die Werktätigen im Produktions- und Verteilungsprozess zurück.

Es entbrannte ein harter Kampf zwischen diesen im Wesen probürgerlichen Kräften und den revolutionären, aber schlecht organisierten Kräften, die Schritt für Schritt aus den wirtschaftlichen, staatlichen und gesellschaftlichen Entscheidungszentren hinausgedrängt wurden. Die opportunistischen und in Wirklichkeit antisozialistischen Kräfte nutzten ihre Positionen in Staat und Wirtschaft auch zu großen Provokationen (z.B. der Poznan-Aufstand im Juni1956), um ihre Position zu festigen und die von ihnen als dogmatisch und konservativ verunglimpften revolutionären Kräfte zu schwächen.

So wurden diese Leute auf die Dauer zur uneingeschränkt führenden und bestimmenden Macht, die ihre egoistischen und partiellen Ziele, ihre individuellen Bedürfnisse und Interessen als das Sozialismusprogramm und als die Bedürfnisse und Interessen der ganzen Gesellschaft ausgaben.

Unter diesen Bedingungen wurden nach 1956 unter dem Etikett „Erneuerung“ und „Demokratisierungsprozess“ und mit der Losung der Bewältigung der „Fehler der Vergangenheit“ und des „Stalinismus“ nur der Prozess der Festigung der Privilegien der Verwaltungsschicht betrieben, den ideologischen Einflüssen der Bourgeoisie Tür und Tor geöffnet und der revolutionäre Aufbau gehemmt. Das Wachstum der Produktion verlangsamte sich, die Wirtschaft stagnierte, die Arbeitsproduktivität stieg nicht mehr an und die landwirtschaftliche Produktion fiel hinter die Nachfrage zurück.

Die Probleme und Widersprüche beim Aufbau der Grundlagen des Sozialismus zeigten sich nun in der Periode von 1956 bis 1970 sehr deutlich und die veränderten Kräfteverhältnisse in Polen nach 1956 taten das Ihrige dazu.

Alle nicht aufgelösten sozialen Widersprüche verschärften sich, es kam zur Verminderung des Lebensniveaus der Werktätigen und vor allem der Arbeiterklasse. Weiter oben habe ich schon erwähnt, dass die neue (alte) PVAP-Führung unter W. Gomulka Ende 1956 die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften aufgelöst hatte. Auch andere sozialistische Aufbauprojekte wurden behindert oder gestoppt, was zielstrebig zur Entwicklung und Verstärkung der Elemente kapitalistischer Entwicklung im vergesellschafteten Sektor der Wirtschaft und in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens führte.

Mit entscheidend für den späteren Sieg der Konterrevolution war, dass W. Gomulka zur Realisierung seiner Politik die Unterstützung der Katholischen Kirche und insbesondere ihrer Hierarchie brauchte und sie zum Preis breiter materieller Privilegien der Kirche und der Verankerung der kirchlichen Positionen im öffentlichen Leben auch bekam.

Während dieser Prozesse kam es zu Verbindungen der leitenden Gruppen der Verwaltungsschicht mit den Zentren der internationalen Konterrevolution, mit den oppositionellen Zentren im sozialistischen Lager und mit der antisozialistischen Opposition im eigenen Lande. Die konterrevolutionären Kräfte hatten ihre antisozialistischen Ziele nie aufgegeben und nutzten nun die verbesserten Bedingungen für eine neue Offensive.

Nach den Blutereignissen im Dezember 1970 in Gdansk und in anderen polnischen Küstenstädten an der Ostsee zog die leitende Schicht ihre Unterstützung von W. Gomulka ab, der in ihren Augen die prokapitalistischen Veränderungen nur halbherzig und zu zögerlich zugelassen hatte und setzte auf die Gruppe um Edward Gierek, der die Ziele und Interessen dieser Schicht von Anfang an vertreten hat und sie nun drängte, die Zusammenarbeit mit den sozialistischen Kräften weiter aufzuweichen und dafür die Zusammenarbeit mit den kapitalistischen Ländern zu vertiefen und zu verfestigen.

Damit wurde die weitere Entwicklung des Landes zu einem bedeutenden Teil auf westliche Kredite aufgebaut. Das brachte nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine staatspolitische und staatsfinanzielle Abhängigkeit vom internationalen Finanzkapital mit sich, die sich auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auswirkte. Das zeigte sich u.a. in einer voluntaristischen Investitionspolitik, im unverhältnismäßigen Import von Produktionsmitteln und vor allem Konsumgütern, außerdem von Futtermitteln für die Landwirtschaft, was zu einem Anwachsen der Schulden und einem Verkümmern einiger Sparten der eigenen Produktion führte.

Das Ergebnis war, dass der Lebensstandard, begründet auf ausländischen Krediten, zunächst spektakulär anwuchs, es aber 1976 zum Zusammenbruch dieser abenteuerlichen Wirtschaftspolitik kam. Die Kreditfinanzierung hatte in die Sackgasse geführt und die Arbeiterklasse und die übrigen Werktätigen mussten in der folgenden Periode hart für diese voluntaristische Politik bezahlen.

Es kam natürlich zur Schwächung der Planwirtschaft und zu einer Vergrößerung der Spontaneität und Unplanbarkeit der Wirtschaftsprozesse, die Arbeitsproduktivität in der eigenen Industrie und in der Bauwirtschaft sank, die Schwierigkeiten der Energieproduktion vergrößerten sich, es kam zu wachsenden Mängeln in der landwirtschaftlichen Produktion, die Schere zwischen Angebot und Nachfrage vergrößerte sich, Spekulation und Inflation entwickelten sich, die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten nahm riesige Ausmaße an. Dazu verschärften sich die Disproportionen in allen Wirtschaftsbereichen.

Offiziell hielt man an der Deklaration der Planwirtschaft fest, tatsächlich aber wurde sie zu einem System des „offenen Plans“ umgestaltet, was zu einem Zurücktreten der Gesetze der sozialistischen Ökonomie führte.

Anfang 1980 war das Land mit ca. 20 Mrd. US-Dollar verschuldet.

Alles dies führte zu einer Vergrößerung der Unzufriedenheit bei den Arbeitern und den anderen Werktätigen, was sich in den Massenstreiks 1976 und vor allem 1980 zeigte. Diese Proteste sind leider – wegen des Mangels einer wirklich revolutionären Kraft in Polen – nicht in eine prosozialistische, sondern in eine prokapitalistische Richtung gesteuert worden.

Die Politik Edward Giereks führte zu schnellerer und tieferer sozialer und ökonomischer Differenzierung. Die privilegierten leitenden Schichten festigten ihre Position, wurden, indem sie den sozialistischen Sektor der Wirtschaft zu ihrem Hauptmacht- und Ausbeutungsinstrument machten, zum kollektiven Ausbeuter der arbeitenden Mehrheit der Gesellschaft. Gleichzeitig wurde der Einfluss der Werktätigen in den Volksvertretungen, den Gewerkschaften und den Betrieben zurückgedrängt.

Die leitende privilegierte Schicht entwickelte sich Schritt für Schritt zu einer Parasitenschicht, die kein Interesse mehr an der Egalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, der Steigerung der Arbeitsproduktivität und dem Ausbau des sozialistischen Sektors hatte. Diese Entwicklung war die wichtigste Grundlage für die wachsende Kluft zwischen dieser Schicht und der Mehrheit der Werktätigen. Und die weiteren wirtschaftlichen „Reformen“ vergrößerten diese Kluft nur noch.

Alle diese Prozesse der Entwicklung von kapitalistischen Verhältnissen im Schoß des sozialistischen Sektors unterstützten die Entwicklung und die Aktivitäten der antisozialistischen Kräfte, was sich auch in den verstärkten Aktivitäten der Katholischen Kirche zeigte. In den 70er Jahren entstanden Tausende neue und prächtige Kirchen und Kapellen sowie andere Kirchenobjekte - auch in den aktuellen Neubauprojekten. Im Oktober 1978 wurde Kardinal Karol Wojtyla aus Krakau als Papst gewählt, was das Gewicht der Katholischen Kirche in Polen radikal vergrößerte und es ihr möglich machte, in die offene Konfrontation mit dem (noch) sozialistischen Staat zu gehen.

Das alles begünstigte natürlich die weitere Ausbreitung der (klein-)bürgerlichen Ideologie. Die oberste Parteileitung ignorierte die Gefahren, die von der antisozialistischen Opposition ausgingen. Teile der Parteileitung arbeiteten eng mit der parasitären leitenden Schicht zusammen bzw. waren mit ihr identisch, dies gesamte Milieu hatte enge Verbindungen zu den politischen Zentren des internationalen Kapitals. Die Repräsentanten dieser Politik verhielten sich zunehmend nationalistisch, antisowjetisch und antisozialistisch.

Die Folgen dieser Politik lasteten schwer auf den Schultern der Werktätigen. Ende der 70er Jahre war die Situation krisenhaft zugespitzt und die leitende Schicht unternahm nichts mehr zur Verteidigung der sozialistischen Verhältnisse, stattdessen bemühten sich leitende Repräsentanten dieser Gruppe um direkte Kooperation mit dem antisozialistischen Lager. Sie wollten den Sozialismus nicht mehr verteidigen, weil sie ihn inzwischen schon nicht mehr als eigenständiges und schon gar nicht mehr als ihr System betrachteten.

So waren Ende der 70er Jahre Bedingungen entstanden, die den offenen Versuch der Liquidierung der Grundlagen des Sozialismus, wie sie in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen worden waren, möglich machte.

Diese Entwicklung wurde sehr begünstigt durch die Verschiebung der weltweiten Kräfteverhältnisse zwischen Sozialismus und Kapitalismus. In den USA und in Großbritannien waren die Kräfte des Neoliberalismus und des Neokonservatismus an die Macht gelangt und drängten zur offenen Konfrontation mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern.

Damit hatte die letzte Etappe des Kampfes um den Sozialismus nicht nur in Polen, sondern auch in der Sowjetunion und den anderen osteuropäischen Ländern angefangen.

Zbigniew Wiktor,
Wroclaw, Polen

(Der Artikel wird im nächsten Heft fortgesetzt; dann: „Verdeckte und offene Konterrevolution, Wiederherstellen der bürgerlichen Ordnung, Resümee“. Red. Offensiv)

Der konterrevolutionäre Putsch in Ungarn 1956

Redaktion Offensiv

Ungarn 1956 - ein konterrevolutionärer, faschistischer Putschversuch scheiterte

In diesem Jahr gab es wieder einmal einen Jahrestag, der ausgiebig von der bürgerlichen Presse – in Filmbeiträgen, Zeitungsartikeln, Büchern und anderen Publikationen – ausgewalzt wurde: der konterrevolutionäre, faschistische Putschversuch gegen die demokratische, sozialistische Volksmacht in Ungarn 1956. Kern dieser Veröffentlichungen, die eindeutig den Charakter einer plumpen, antikommunistischen Propagandakampagne angenommen haben, ist die Aussage, bei dem so genannten „Volksaufstand“ in Ungarn 1956 habe es sich um einen „Freiheitskampf“ gegen ein diktatorisches Regime gehandelt, der blutig und brutal unterdrückt worden sei, jedoch den Weg für die „Befreiung“ Osteuropas vom Kommunismus vorbereitet habe. Verwunderlich ist nicht, dass die konterrevolutionären Trotzkisten dasselbe behaupten, wenn auch mit „revolutionärem“ Wortgeklingel etwas verkleistert: „Ungarn 1956: (…) In der ungarischen Revolution vor 50 Jahren kämpften ArbeiterInnen und Jugendliche für eine sozialistische Demokratie“ (zitiert aus: „Solidarität“, dem Organ der trotzkistischen SAV, die im übrigen eine bedeutende Rolle in der Berliner WASG spielt). Imperialisten und Trotzkisten auf der Seite der Arbeiter – was für eine plumpe Verhöhnung der Arbeiterklasse….

Doch auch in der „jungen Welt“ findet sich leider die Mär von revolutionären Arbeitern, die angeblich 1956 in Ungarn eine Rolle gespielt hätten. So schreibt Werner Pirker am  23. Oktober 2006: „Das linke Antlitz des Massenaufstandes bildeten die Arbeiterräte.“

Deshalb haben wir uns entschlossen, etwas genauer auf die Ereignisse in Ungarn einzugehen und Fakten zu liefern, die belegen, dass es sich um einen konterrevolutionären, faschistischen Putschversuch handelte, der das Ziel hatte, die alte kapitalistische Ordnung in Ungarn wiederherzustellen. Wir stützen uns dabei auf Originaldokumente aus jeder Zeit, die sich in unserem Besitz befinden. Dabei handelt es sich – aus Platzgründen (!) – jedoch nur um Bruchteile des vorhandenen Materials.

Der Versuch der Konterrevolution in Ungarn 1956 hatte sowohl einen Vorlauf, als auch ein Umfeld. Zunächst ist in diesem Zusammenhang der XX. Parteitag der KPdSU zu nennen (einschließlich der Entwicklungen, die diesen seit dem Tod des Genossen Stalin 1953 vorbereiteten), der als Wendepunkt hin zu einer revisionistischen Entwicklung der KPdSU und in ihrem Gefolge der kommunistischen Weltbewegung (einschließlich der Spaltung derselben) angesehen werden muss.

Besonders in Ungarn hatte dies schon im Vorfeld von 1956 zu deutlich erkennbaren Zersetzungserscheinungen der kommunistischen Partei geführt: „Drei Jahre der innenpolitischen Gärung im Zeichen der politischen und moralischen Krise haben den Boden für den Aufstand vorbereitet. Nur in Ungarn erfolgte bereits vier Monate nach dem Tod Stalins – damals auf Moskauer Initiative – die offene Verurteilung des Stalinismus und die Proklamierung eines neuen Reformkurses; nur hier stritten zwei Fraktionen, zwei grundverschiedene Konzepte in der Partei zwischen Juni 1953 und Oktober 1956 um den künftigen Weg. Der Volksaufstand wurde erst möglich, als sich die Partei, in erster Linie ihr Führungskader, in der Frage der Entstalinisierung so gespalten hatte, dass sie die Fähigkeiten zur Selbstbehauptung verlor“ (zit. nach: Paul Lendvai: „Der Ungarn-Aufstand und seine Folgen – eine Revolution und ihre Folgen“, München 2006, S. 47. Der ungarische Autor und Zeitzeuge war als Konterrevolutionär damals publizistisch vor Ort tätig). Wie könnte man – hier von bürgerlicher Seite – den Zusammenhang von Revisionismus und Konterrevolution deutlicher ausdrücken?

Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Aspekt der konterrevolutionären Entwicklung in Ungarn ist die offene sowie verdeckte Einmischung des Imperialismus, hier besonders des US-Imperialismus und seiner Agenten vor Ort, die seit der Etablierung der Volksmacht ständig eskalierte und ihren (vorläufigen) Höhepunkt während des Putschversuches fand. Auch hier wird der Leser eine Reihe von Fakten in den von uns wiedergegebenen Dokumenten finden.

Im Anschluss an diesen Dokumententeil bringen wir einen Auszug aus dem Referat von Kurt Gossweiler, das er anlässlich unserer Konferenz „Auferstanden aus Ruinen – Konferenz zur Verteidigung des revolutionären Erbes der DDR“ in Berlin im Jahr 1999 hielt. Es handelt sich dabei um den Teil des Referates, in dem es um die Ereignisse in Ungarn geht.

Redaktion Offensiv,
Hannover


Der Vorlauf:

Dokumente über die feindliche Tätigkeit der Regierung der Vereinigten Staaten  gegen die Ungarische Volksrepublik

(aus dem gleichnamigen Dokumentenband, veröffentlicht im Dietz-Verlag, Berlin, Hauptstadt der DDR, 1953, S. 153 ff)

Die von den amerikanischen Imperialisten geleitete Rajk-Verschwörung war eines der wichtigsten Glieder in der Kette der von amtlichen Kreisen der Vereinigten Staaten veranlassten Versuche, die Ungarische Volksrepublik zu stürzen und Ungarn von dem Lager der den Sozialismus aufbauenden unabhängigen Länder zu trennen. Die Voraussetzung dafür sollte die Liquidierung der bestehenden demokratischen Ordnung schaffen. Nachdem die Verschwörung der von Ferenc Nagy und später von Mindszenty geführten reaktionären Kräfte aufgedeckt und vereitelt worden war, rückte in den Plänen der Amerikaner die Benutzung der Bande von Verschwörern, Mördern und Spionen um Rajk, die in verantwortliche Stellungen in der Partei der Ungarischen Werktätigen und in Regierungsinstitutionen geschoben worden waren, in den Vordergrund.

Die Intensivierung der Tätigkeit der Rajk-·Bande setzte im Frühjahr 1948 ein, das heißt zu dem Zeitpunkt, als John Foster Dulles die Existenz des als "Operation X" bezeichneten Planes der amerikanischen Imperialisten bezüglich der Organisierung einer von den USA geleiteten Untergrundbewegung in den volksdemokratischen Ländern bekannt gab. Über das Wesen dieses geheimen Planes wurde an Hand der Äußerungen John Foster Dulles' in der westlichen Presse berichtet, unter anderem in der Schweizer Zeitung "Die Tat" vom 26. April 1949.

Im Mai 1949 deckten die ungarischen Behörden ein Unternehmen zur praktischen Verwirklichung der "Operation X" in Ungarn auf und machten ihm ein Ende. Im Verlauf des im September 1949 stattfindenden Prozesses ergab sich aus den Aussagen der Angeklagten Lázló Rajk und Tibor Szönyi, die sie in öffentlicher, auch vom Rundfunk übertragener Verhandlung in Anwesenheit von Vertretern der ausländischen Presse machten, dass Rajk und seine Komplizen Agenten des amerikanischen Geheimdienstes waren. Die Hauptaufgabe der Rajk-Bande bestand darin, die Kommunistische Partei Ungarns und später die Partei der Ungarischen Werktätigen zu desorganisieren und zu spalten, die Zusammenarbeit der demokratischen Kräfte in Ungarn zu vereiteln und allerlei amerikanische Spione in verantwortliche Stellungen einzubauen.

Später erhielten sie durch Vermittlung Titos vom amerikanischen Spionagedienst die Anweisung, eine Verschwörung zum gewaltsamen Sturz der volksdemokratischen Ordnung in Ungarn zu organisieren, deren Führer zu ermorden und Ungarn durch einen Staatsstreich vom Friedenslager zu trennen.

Die amerikanische Spionage verwies den amerikanischen Agenten Rajk an Rankovic, den berüchtigten Innenminister der Tito-Clique, dem er von dieser Zeit an unterstellt war. Von nun an war die Zentrale zur Organisierung und unmittelbaren Leitung der Verschwörung der Rajk-Bande, deren Ziel der Sturz der Ungarischen Volksrepublik war, die Hauptagentur Nr. 1 des amerikanischen Imperialismus in Südosteuropa, die· Tito-Clique.

Es ist charakteristisch für die internationalen Verbindungen der Rajk-Bande, dass der Gesandte der Vereinigten Staaten von Amerika in Budapest, Chapin, im Frühjahr 1948 in einer Unterredung mit Laszo Rajk das Versprechen bestätigte, das Rankovic gemacht hatte, dass nämlich »die Vereinigten Staaten, wenn die Stunde der Tat gekommen sei, bestrebt sein würden, die Sowjetunion zeitgerecht zu engagieren, damit diese sich bei der Machtübernahme in Ungarn nicht einmischen könne". Durch die Entlarvung der Verschwörerbande um Rajk bewahrten die Staatsorgane der Ungarischen Volksrepublik nicht nur das ungarische Volk vor schlimmeren Leiden, als es sie je erduldet hatte, ähnlich denen des verratenen und versklavten jugoslawischen Volkes, sondern deckten überdies eine der gefährlichsten Verschwörungen der amerikanischen Imperialisten gegen die Völker im internationalen Maßstabe auf.

Die Aufdeckung der amerikanischen "Operation X". Aus dem am 26. April 1949 in der Zeitung "Die Tat" erschienenen Artikel "Die Befreiung des Ostens"

Die Theorie, dass das russische, polnische, tschechische, ungarische und jugoslawische Volk im Grunde genommen auf der Seite des Westens stehen und sich nach Befreiung sehnen, ist nunmehr die Grundlage für praktische Beschlüsse in Washington geworden. Es ist heute bereits Tatsache, daß die Amerikaner die Kirchen und die nichtkommunistischen illegalen Gewerk-schafter in allen Ländern hinter dem eisernen Vorhang aktiv unterstützen. Die sehr aktive antikommunistische Beeinflussung der Kongressabgeordneten in Washington, die die östlichen Emigranten natürlich besonders eifrig betreiben, stößt heute nicht mehr auf taube Ohren. Geld und Waffen werden auf zahlreichen Wegen in die totalitären Staaten nach dem Osten geschmuggelt. Der eiserne Vorhang (ein Ausdruck, an dessen Richtigkeit immer Zweifel bestanden haben) gleicht heute eher einem Netz mit unzähligen größeren oder kleineren Maschen. Heute haben nicht nur die Kommunisten ihre "fünfte Kolonne". Seit John Foster Dulles vor etwa einem Jahr die Anfänge der als "Operation X" bezeichneten und vom Westen unterstützten Untergrundbewegung bekannt gab, ist auf diesem Gebiet vieles geschehen. In erster Linie hat der Westen nach kommunistischem Muster den Versuch gemacht, in die herrschenden Schichten, die Kader, die Elite der volksdemokratischen Länder einzudringen, und dies soll über Erwarten gelungen sein.

Aus dem Verhör Lázló Rajks (September 1949)

Rajk: Dementsprechend erhielt ich gleich nach meiner Heimkehr eine wichtige Funktion in der Partei; ich wurde Sekretär der Parteiorganisation von Budapest. Kurz nachdem ich von der Parteileitung diesen Auftrag erhalten hatte, sprach ein Mann namens Kovách, ein Mitglied der amerikanischen Militärmission, bei mir vor. Dies dürfte sich im August oder September 1945 zugetragen haben. Er teilte mir mit, er habe von dem in der amerikanischen Zone befindlichen Sombor Schweinitzer(1) (Anmerkungen auf Seite 62; d.Red.) Nachricht erhalten, aus der ihm bekannt sei, dass ich für die Horthy-Polizei gearbeitet hatte. Im Besitz dieser Kenntnis forderte mich Schweinitzer auf, in den Dienst der amerikanischen Spionageorgane zu treten. Sollte ich dies verweigern, so wollte man mich vor der Leitung der Kommunistischen Partei entlarven. Natürlich erklärte ich mich dazu bereit. Kovách verlangte eine politische Übersicht über die ungarische innenpolitische Lage. Er sagte, er gedenke mich keineswegs mit kleinen Spionageaufgaben, irgendeiner gewöhnlichen Agententätigkeit zu betrauen; er wollte, dass ich, der ich ja den führenden politischen Kreisen nahe stehe, den Budapester Organen der Vereinigten Staaten Auskunft über politische Fragen erteile, von denen sie sonst aus keinerlei Quelle hätten Kenntnis erlangen können. Ich erteilte dem Kovách - ich glaube, er stand als Mitglied der Militärmission im Range eines Oberstleutnants - Auskunft über die innenpolitische Lage. Von besonderer Wichtigkeit waren für ihn meine Auskünfte über die Wahlen des Jahres 1945 ...

Ich informierte Kovách auch darüber, dass nach den Informationen und der Beurteilung der Kommunistischen Partei die verschiedenen rechtsstehenden Elemente in Ungarn, die Anhänger des Regimes Horthy-Szalasi, die Trotzkisten, die Gruppe Weiszhaus(2), die Rechtsparteien sowie die Partei der kleinen Landwirte und der rechte Flügel der Sozialdemokratischen Partei eine starke Organisierungsarbeit begannen und bestrebt waren, in Betrieben, Institutionen und Ämtern überall volksdemokratiefeindliche, nationalistische, chauvinistische, antisowjetische Elemente unterzubringen. Oberstleutnant Kovách sagte mir, er sei hierüber unterrichtet, geschehe dies doch nicht ohne Wissen der Vereinigten Staaten, vielmehr im Gegenteil - wenn auch nicht unmittelbar - unter Führung und Leitung der Vereinigten Staaten, deren Hauptstreben darauf gerichtet sei, in Ungarn die linksstehenden revolutionären sozialistischen Elemente zu liquidieren und einem rechtsstehenden Regime zur Herrschaft zu verhelfen. Gerade deshalb bestehe meine Aufgabe darin, ihn über alles, was von Seiten der Kommunistischen Partei zur Liquidierung dieser Elemente unternommen werde, zu informieren, andererseits kraft der von mir in der Partei innegehabten Würde dahin zu wirken, dass diese Elemente möglichst ungestört ihre schon erwähnte politische Tätigkeit entfalten könnten ...

Oberstleutnant Kovách, ein Mitglied der Budapester Militärmission der Vereinigten Staaten, brachte mich Ende 1945 oder 1946 - ich erinnere mich nicht mehr genau - mit Märton Himmler(3) in Verbindung ...

Himmler hatte die Vorstellung - und diese seine Vorstellung schien nicht seine persönliche zu sein, sondern entsprach der allgemeinen politischen Auffassung in den Vereinigten Staaten -, dass, wenn es gelingen sollte, durch die Propaganda die öffentliche Meinung nur dahin zu beeinflussen, dass innerhalb der Kommunistischen Partei keine Einigkeit bestehe, sondern auch eine starke antisowjetische und amerikanisch orientierte Fraktion unter meiner Führung, so könnte dies bereits eine derartige Desorientierung, eine derartige Aufgabe des Kurses und Chaos im Lager der linksstehenden Kräfte hervorrufen, dass dies die Überhandnahme der rechtsstehenden Kräfte wesentlich erleichtern würde ...

Märton Himmler teilte mir gleichzeitig auch mit, dass aller Wahrscheinlichkeit nach dies meine letzte Unterredung mit ihm oder überhaupt mit den Vertretern der amerikanischen Spionageorgane war, da diese ihr ganzes Netz den Jugoslawen übergeben und ich in der Zukunft jede weitere Weisung bezüglich meiner Tätigkeit über die Jugoslawen erhalten werde ... Mit den Amerikanern hatte ich noch eine Verbindung: den amerikanischen Gesandten Chapin, mit dem ich zwar nicht ständig, aber von Zeit zu Zeit heimlich verkehrte ...

Ich vergaß zu sagen, dass Märton Himmler Ende 1946, als ich mit ihm sprach, mir auch mitteilte, dass ich kraft meiner Stellung als Innenminister - denn damals war ich schon Innenminister - versuchen soll, in die leitenden Posten für sie verlässliche Leute, das heißt Leute, die entweder die Politik der Amerikaner betrieben oder aber dem amerikanischen Spionagedienst angehören, zu platzieren, und zwar nicht nur im Innenministerium, sondern mit Hilfe meiner Funktion in der Kommunistischen Partei und meiner Stellung in der Regierung auch auf anderen Gebieten des Staatsapparates ... Außerdem stellte Oberstleutnant Kovách bereits Anfang 1946  die Verbindung zwischen mir und Tibor Szonyi(4) her, der bei ihnen organisiert war ...

Davon, dass zwischen den führenden jugoslawischen Kreisen, den dortigen Regierungskreisen, zwischen Tito, Rankovic und anderen einerseits und den amerikanischen Spionageorganisationen andererseits ein enger Zusammenhang bestand, musste mich auch die Tatsache überzeugen, dass im Jahre 1945 die Amerikaner ihre Leute in überwiegender Zahl über Jugoslawien nach Ungarn sandten. Und zwar geschah das in der Weise, daß auch den Jugoslawen die Eigenschaft dieser Männer als amerikanische Agenten bekannt war. So gelangten zum Beispiel Tibor Szönyi und Konsorten und jene Schweizer trotzkistische Gruppe, welche ganz aus organisierten Spionen der Amerikaner bestand, über Jugoslawien nach Ungarn. Ich muss auch erwähnen, dass unter allen Tatsachen, die die Verbindungen der jugoslawischen führenden Staatsmänner, des Ministerpräsidenten Tito und des Innenministers Rankovic mit den Amerikanern bewiesen, die entscheidendste und offensichtlichste meine Unterredung mit Rankovic, meine Begegnung mit ihm im Sommer 1947 war, als ich meinen Urlaub in Jugoslawien, in Abbazia, verbrachte ...

Wenn ich den politischen Teil dessen, was mir Rankovic mitteilte, zusammenfasse, kann ich folgendes vorbringen:

Man muss dahin wirken, dass wir das volksdemokratische Regierungssystem der nach der Befreiung entstandenen volksdemokratischen Länder zu Fall bringen, ihre sozialistische Entwicklung hemmen, die demokratischen revolutionären Kräfte teils für uns gewinnen und der Sowjetunion abspenstig machen, teils aber, wo es nicht anders geht, vernichten. In allen diesen Ländern, das heißt in allen volksdemokratischen Ländern, müsse statt des volksdemokratischen Regierungssystems ein bürgerlich-demokratisches System errichtet werden, das heißt statt der Entwicklung in der Richtung des Sozialismus müsse der Kapitalismus wiederhergestellt werden. Diese bürgerlich-demokratischen Regierungen würden sich statt nach der Sowjetunion nach den Vereinigten Staaten orientieren, und zwar so, dass sie sich um Jugoslawien scharen und unter Führung Jugoslawiens beziehungsweise Titos, der jugoslawischen Regierung, einen zwischen-staatlichen Verband bilden würden, welcher Staatsverband sich dann auf die Vereinigten Staaten stützen würde. Dieser Staatsverband würde gleichzeitig einen militärischen Block auf der Seite der Vereinigten Staaten gegen die Sowjetunion bilden ...

Vorsitzender: Haben Sie nach der Zusammenkunft in Kelebia(5) mit offiziellen amerikanischen Faktoren hierüber gesprochen?

Rajk: Es war im Frühjahr 1948. Ich sprach darüber mit Chapin, dem Budapester Gesandten der Vereinigten Staaten. Ich teilte ihm mit, dass ich mit Rankovic eine solche Unterredung hatte, wobei Rankovic betont habe, dass die Vereinigten Staaten, wenn die Stunde der Tat gekommen sei, bestrebt sein würden, die Sowjetunion zeitgerecht zu engagieren, damit diese sich bei der Machtübernahme in Ungarn nicht einmischen könne.

Vorsitzender: Was sagte Chapin?

Rajk: Chapin zögerte ein wenig, ob er sich mir gegenüber äußern sollte, dann aber äußerte er sich und meinte, er sei über den Plan unterrichtet, und die Vereinigten Staaten würden der Durchführung der Politik Jugoslawiens keinerlei Hindernisse in den Weg legen. Hieraus wurde mir jedenfalls ganz klar, daß Tito nicht einfach aus persönlicher Eitelkeit Führer mehrerer Länder an der Spitze eines Staatenbundes sein wollte, sondern dass er seinen Plan den Amerikanern vorgelegt hatte und der Plan von diesen gutgeheißen oder gar gemeinsam mit ihnen ausgearbeitet worden war, Tito und seine Regierung aber einfach nur dessen Vollstrecker sein sollten ...

Das meinte Rankovic, als er sagte ... dass eine Übereinstimmung zwischen der Politik Titos und der Vereinigten Staaten, Englands, überhaupt der Großmächte des Westens und des Vatikans zum Sturze der demokratischen Regierungsmacht in den volksdemokratischen Ländern bestehe. Daneben betonte Rankovic, ebenfalls auf Grund der Botschaft Titos, dass es beim Sturz der Regierungsgewalt entscheidend auf die bewaffnete Macht ankomme. Hierbei solle ich nicht nur mit der bewaffneten Macht Ungarns rechnen, die im Lande vorhanden sei, sondern vor allen Dingen damit, dass Tito, vom Kelebia-Plan abweichend, bereit sei, mir schon am Anfang eine beträchtliche jugoslawische Einheit zum Sturz der Regierungsgewalt zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhange teilte mir Rankovic im Auftrag Titos folgendes mit:

Es werden entsprechende Leute ausgesucht und verschiedene Einheiten gebildet, die man an der ungarisch-jugoslawischen Grenze stationieren wird. Um deren Verwendung in Ungarn nicht auffallend erscheinen zu lassen, wird man trachten, diese Einheiten aus den Ungarn in Jugoslawien zu bilden, welche dann in ungarischer Honvéduniform über die Grenze gesetzt werden sollen ...

Neben dieser bewaffneten Kraft stellte Ministerpräsident Tito auch andere Waffenhilfe bei der Ausarbeitung seines Planes in Rechnung, und zwar die im Westen, in der angloamerikanischen Zone, befindlichen faschistischen Einheiten des ehemals unter Horthy und unter Szalasi gedienten Militärs, der Polizei und der Gendarmerie. Im Zusammenhange damit sagte er mir: Bevor er noch mit mir gesprochen hätte, sind von ihrer Seite, das heißt von Seiten des Ministerpräsidenten Tito und des Innenministers Rankovic, Maßnahmen getroffen worden, damit die Verbindung mit den Kommandanten dieser Einheiten aufgenommen werde. Da Ungarn von diesen Zonen längs der österreichischen Grenze durch einen sowjetischen Zonen-grenzstreifen getrennt ist, werden die Einheiten aus Österreich über Jugoslawien nach Ungarn heimkehren und zwar so, dass bei der Durchführung des Putsches diese Kräfte ebenfalls zur Verfügung gestellt werden.(6)

Aus dem Verhör Dr. Tibor Szonyis (September 1949)

Szonyi: Mit dem amerikanischen Geheimdienst knüpfte ich im Herbst 1944 in der Schweiz eine Verbindung an. Während des Krieges hielt ich mich als politischer Emigrant seit Ende 1938 in der Schweiz auf. In der Schweiz befand sich während des Krieges aus den mitteleuropäischen und osteuropäischen Ländern, beinahe aus jedem, eine große Anzahl von politischen Emigranten, unter ihnen auch links eingestellte kommunistische Gruppen. Unter den links eingestellten politischen Emigranten entfalteten die geheimen Kundschafterorgane Englands und besonders der Vereinigten Staaten bereits im ersten Jahre des Krieges eine sehr aktive Tätigkeit. In der Schweiz war während des Krieges die europäische Zentrale des amerikanischen militärstrategischen Kundschafterdienstes, das sogenannte Office of Strategie Services, dessen Leiter als europäischer Beauftragter Allen Dulles war. Offiziell war Allen Dulles Zugeteilter der Berner amerikanischen Gesandtschaft. Tatsächlich war er der europäische Leiter der OSS. Gegen Ende des Krieges, im letzten Jahr, als es im Sommer 1944 schon offenbar wurde, dass ein Teil der osteuropäischen und mitteleuropäischen Länder von den Sowjettruppen befreit wird, stellte der amerikanische Kundschafterdienst mit Allen Dulles an der Spitze in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit die Aufgabe, dass er aus den dortigen politischen Emigranten, besonders aus links eingestellten kommunistischen Gruppen, Spione eingliedere, mit der Zielsetzung, dass er diese in jenen Gebieten, die von den Sowjettruppen befreit werden, in die Minierarbeit gegen die kommunistischen Parteien einstelle. Im Laufe dieser Tätigkeit kam auch ich mit der amerikanischen Spionageorganisation in Verbindung. Der Hauptmithelfer und unmittelbare Mitarbeiter des Allen Dulles in dieser Arbeit, nämlich im Anwerben von Spionen unter den politischen Emigranten, war Noel H. Field, der in der Schweiz offiziell Leiter einer amerikanischen Hilfsorganisation, der unitarischen Hilfsorganisation, Unitarian Service Committee, tatsächlich aber unmittelbarer Mitarbeiter des Dulles in der Spionageorganisation war. Seine Aufgabe bestand darin, dass er als Leiter der Hilfsorganisation den politischen Emigranten wirtschaftliche Unterstützung und Hilfe zukommen lasse und dadurch mit letzteren eine Verbindung und Freundschaft ausbaue sowie eine Eingliederungstätigkeit für die amerikanischen Spionageorgane entfalte. Weitere Mithelfer und unmittelbare Mitarbeiter des Allen Dulles in dieser Tätigkeit waren die jugoslawischen Spione. Namentlich war Misa Lompar, der damals in Zürich offiziell als Leiter der dortigen jugoslawischen Emigrantengruppe figurierte, in Wirklichkeit schon damals amerikanischer Spion und direkter Mithelfer Dulles'.

Später wurde Misa Lompar Generalkonsul in Zürich, also Berufsdiplomat. Der Helfershelfer Dulles' war der jugoslawische Spion Latinovic, der zuerst in Genf, in der Schweiz, beschäftigt war, später aber in Marseille, in Frankreich, zum Generalkonsul ernannt wurde ... Ich war der Leiter einer ungarischen politischen Emigrantengruppe, welche Ende 1942, Anfang 1943 unter dem Namen Schweizer Gruppe der Ungarischen Unabhängigen Front ins Leben gerufen wurde. Diese Gruppe bestand aus Studenten und Intellektuellen, politisch schwankenden Elementen, die ich im Jahre 1944, gerade unter dem Einfluss Misa Lompars, unter dem Einfluss einer Organisationsarbeit, in chauvinistischem und amerikafreundlichem Geist erzog ... unsere Gruppe kam zur Ansicht, dass wir uns nach dem Krieg in Ungarn innerhalb der Kommunistischen Partei platzieren und im großen und ganzen die politische Richtlinie vertreten müssen, nach welcher Ungarn auf die Seite der Vereinigten Staaten Amerikas gestellt werden sollte. Lompar machte mir im September 1944 den Vorschlag, ich möge mich unmittelbar mit dem Leiter der OSS, Allen Dulles, in Verbindung setzen.

Lompar und Field beschäftigten sich in diesem Geiste nicht nur mit der ungarischen politischen Emigrantengruppe, sondern auch mit anderen Emigrantengruppen ... Ende September 1944 kam meine erste persönliche Zusammenkunft mit Allen Dulles in Bern zustande. Bis zu meiner Heimkehr, bis zum Januar 1945, traf ich mich regelmäßig mit Dulles. Meine formale Eingliederung für den amerikanischen Spionagedienst erfolgte im November 1944 in Bern. anlässlich dieses Zusammentreffens setzte Dulles seine politischen Anschauungen für die Zeit nach dem Krieg lang und breit auseinander. Er führte aus, es sei klar, dass in einer ganzen Reihe der osteuropäischen Länder, die von den Sowjettruppen befreit werden, die kommunistischen Parteien zu Regierungsparteien würden, und dass für die amerikanische Orientierung, für die Politik der amerikanischen Zusammenarbeit in erster Linie innerhalb der Kommunistischen Partei Arbeit geleistet werden müsse. Er fragte mich darüber aus, welche Möglichkeiten ich habe, mich in die Kommunistische Partei einzubauen. Als ich ihm darauf die entsprechende Aufklärung gab, beauftragte er mich mit Aufgaben. Obwohl zwischen uns bei dieser Zusammenkunft Ende November 1944 in der Frage der Zusammenarbeit keine Meinungsverschiedenheit bestand und ich den Standpunkt, den Dulles damals mir auseinander setzte, vollkommen zu meinem eigenen machte, zeigte er doch als Pressionsmittel gegen mich die Quittung, die ich Noel H. Field, dem Leiter der erwähnten Hilfsorganisation, anlässlich einer erhaltenen Geldhilfe im voraus persönlich unterschrieben hatte. Diese Quittung sah ich damals - im November 1944 - in der Hand des Dulles. Dann traf ich noch wiederholt mit Dulles zusammen. Ich einigte mich mit Dulles darauf, dass wir nach unserer Heimkehr in Verbindung miteinander bleiben würden, und zwar in der Weise, dass ich bei der Verbindung den Decknamen "Peter" verwenden und er unter dem Namen "Wagner" figurieren würde ...

Ende November 1944 gab Dulles die Weisung, dass ich mich mit meiner Gruppe zur Heimkehr bereitmachen sollte, dass er es in eigener Person organisieren würde, die Gruppe nach Ungarn hinüberzusetzen. Es machte sich jedoch nur ein Teil der Gruppe auf den Weg ...

Ich selbst wandte mich unmittelbar nach meiner Verhandlung mit Dulles an Misa Lompar, der uns - die sechsköpfige Gruppe - zur Reise mit falschen Papieren versah. Diese Legitimationen bescheinigten, dass wir jugoslawische Offiziere seien und als jugoslawische Offiziersdeputation nach Jugoslawien reisen. Außerdem gab uns Misa Lompar einen vertraulichen Brief an die Behörden des Innern in Belgrad, in dem er mitteilte, dass wir als Beauftragte des amerikanischen Geheimdienstes nach Ungarn reisen und dass man unsere Weiterreise von Belgrad unterstützen soll. Field wies vorher, auf Weisung von Dulles, 4000 Schweizer Franken als Reisekosten der Gruppe an, und er organisierte die illegale Übergabe derselben an der französischen Grenze der Schweiz ... Als ich Ende November und dann im Dezember 1944 meine zwei letzten Besprechungen, Verhandlungen mit Allen Dulles, dem Leiter der OSS, in Bern hatte, gab mir Allen Dulles zunächst einmal konkret die Weisungen, die Aufgaben bekannt, die bei unserer Rückkehr nach Ungarn und nachher auf uns warteten. Zugleich gab er auch den Weg der Nachrichtenbeförderung an ... In Ungarn war es Oberst Obrad Cicmil, der Leiter der jugoslawischen Militärmission, Mitglied der Interalliierten Kontroll-Kommission, mit dem die direkte Verbindung hier in Budapest das Mitglied meiner Gruppe András Kálmán unterhielt ...

Nach der Heimkehr führten wir gemeinsam die Aufgaben aus, die ich bei meinen zwei letzten Begegnungen in Bern von Allen Dulles, dem europäischen Leiter der OSS, erhalten hatte. In erster Linie verschwiegen wir natürlich die Tatsache, dass wir in Verbindung mit den amerikanischen Geheimorganen standen, und so gelang es mir durch Irreführung gleich anfangs einen überaus bedeutenden Arbeitsbereich, einen Posten innerhalb der ungarischen Kommunistischen Partei zu erhalten. Diesen Posten benutzte ich nun dazu, auch die anderen Mitglieder meiner Gruppe durch Empfehlung teils in der Partei, teils in anderen staatlichen oder wirtschaftlichen Funktionen in ernsten, einflussreichen Stellen unterzubringen ...

Mit László Rajk trat ich Ende November 1946 in Verbindung.

Als mich Lázló Rajk im Mai 1949 über den ausführlichen, konkreten Plan des Putsches anlässlich unseres erwähnten Gespräches im Erholungsheim der Parteizentrale erschöpfend unterrichtete, also in der ersten Maiwoche, ungefähr zwei Wochen vor meiner Verhaftung, sagte er unter anderem auch, dass der Plan - dies hätte er mit dem jugoslawischen Innenminister Rankovic besprochen - die "physische Vernichtung" der führenden ungarischen Staatsmänner, namentlich der Minister Rakosi, Farkas und Cera beinhalte ...

Rankovic versprach ihm, bei der Ausführung der schon erwähnten Terrorakte gegen ungarische Staatsmänner zu helfen ... Außer dieser bewaffneten Hilfe zur Ausführung des Putsches wurde auch von anderer Seite ausländische Hilfe versprochen. Wir erhielten ein konkretes Versprechen in Bezug auf eine wirtschaftliche, finanzielle Hilfe an Ungarn von Seiten der Vereinigten Staaten, nach Ausführung des Putsches; ferner - Rajk sagte mir das schon früher, schon seit 1948 hatte er das Versprechen erhalten, falls der Putsch gelänge und Rajk Ministerpräsident sei, würden die Vereinigten Staaten Ungarns Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen, in die UNO, unterstützen ...

Vorsitzender: Welche wesentliche Änderungen beabsichtigten Sie in Ungarns Außen- und Innenpolitik, falls die Verschwörung erfolgreich gewesen wäre?

Szonyi: In erster Reihe die Bildung einer neuen Regierung. Wir planten ferner die politische Struktur des Landes in dem Sinne zu ändern, wie das Rajk mit den führenden jugoslawischen Politikern besprochen hatte und wir hätten dazu die jugoslawische innenpolitische Lage als Vorbild genommen, das heißt eine Änderung, welche die Rolle der Parteien, in erster Linie der Partei der Ungarischen Werktätigen im politischen Leben des Landes in den Hintergrund hätte drängen sollen, und an Stelle dieser hätte eine Volksfront mit verbreiterter Grundlage treten müssen, als eine Organisation, die das politische Leben des Landes lenkt ... Ähnliche langsame, progressive Änderungen wurden auch in außenpolitischer Hinsicht geplant. Unsere Zielsetzung, Ungarn von der Seite der Sowjetunion und der befreundeten volksdemokratischen Länder an die Seite der Vereinigten Staaten zu stellen, wollten wir auch stufenweise, langsam ausführen. Dies war notwendig, weil wir uns im klaren darüber waren, dass in den Reihen des werktätigen ungarischen Volkes gewaltige Sympathien für die Sowjetunion vorhanden waren, während es an Sympathien für Amerika fast oder in sehr großem Ausmaße fehlte, und sich ein solcher Umschwung darum nur langsam, allmählich hätte vollziehen lassen.

Fußnoten:

(1) Sombor-Schweinitzer war Chef der politischen Polizei Horthys und steht heute noch im Dienste der Amerikaner.

(2) Parteifeindliche Fraktion im Dienste der Horthy-Polizei, die in der Kommunistischen Partei Fuß gefasst hatte.

(3) Märton Himmler ist amerikanischer Offizier ungarischer Herkunft, CIA-Agent.

(4) Tibor Szonyi, Komplize Rajks und zweiter Angeklagter im Rajk-Prozess, war ein amerikanischer Agent, der sich in die Kommunistische Partei eingeschlichen hatte und auf einen hohen Posten gelangt war.

(5) Geheime Unterredung zwischen Laszlo Rajk und Alexander Rankovic in dem Dorfe Kelebia an der ungarisch-jugoslawischen Grenze.

(6) „László Rajk und Komplizen vor dem Volksgericht", Dietz Verlag, Berlin 1950, S. 56-92

(7) Ebenda., S. 181-197

In Durchführung ihrer aggressiven Ziele verweigert die Regierung der Vereinigten Staaten die Auslieferung von Faschisten und Kriegsverbrechern; formiert, bewaffnet und unterstützt faschistische Organisationen

(aus dem bereits zitierten Dokumentenband, veröffentlicht im Dietz-Verlag, Berlin, Hauptstadt der DDR, 1953, S.301 ff)

In Verfolgung ihrer aggressiven Politik gegenüber der Unga­rischen Volksrepublik bietet die Regierung der Vereinigten Staaten mehreren hundert Kriegs- und sonstigen Verbrechern Zuflucht und Schutz vor Strafe, die Ungarn wegen ihrer Kriegs­verbrechen, ihrer Verbrechen gegen das Volk oder ihrer sonsti­gen Verbrechen zur Verantwortung ziehen wollte, denen es aber gelang, in amerikanisch verwaltete Gebiete zu entkommen.

Dieses Vorgehen der Regierung der Vereinigten Staaten ver­stößt gegen das zwischen den Vereinigten Staaten und der Un­garischen Volksrepublik bestehende Auslieferungsabkommen. Die Ablehnung der Auslieferung von Kriegsverbrechern ver­stößt darüber hinaus in gröbster Weise gegen das zwischen den vier Großmächten im Jahre 1945 abgeschlossene Londoner Ab­kommen, gegen die Moskauer Erklärung der Sowjetunion, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten von 1943, gegen die zahlreichen Erklärungen der Vereinten Nationen über die Registrierung der für ihre Verbrechen zur Verantwor­tung zu ziehenden Kriegsverbrecher, gegen die Resolution der Vereinten Nationen vom 11. Dezember 1946 und gegen andere internationale Abkommen.

Zum letzten Mal lieferte die Regierung der Vereinigten Staa­ten am 18. Januar 1946 Kriegsverbrecher an Ungarn aus. Seit­dem haben die amerikanischen Behörden keinen einzigen der von der ungarischen Regierung angeforderten Kriegsverbrecher mehr ausgeliefert, obwohl Generalmajor William S. Key, der Vertreter der USA in der Alliierten Kontrollkommission in Ungarn, am 12. Juni 1946 General W. P. Swiridow, dem Vor­sitzenden der Alliierten Kontrollkommission, mitteilte, sie wür­den 30 ungarische Kriegsverbrecher ausliefern, und obwohl Oberst John Stokes am 18. Dezember 1946 die Auslieferung von weiteren 20 Kriegsverbrechern versprach.

Die Regierung der Vereinigten Staaten entzog sich ihren Ver­pflichtungen unter den verschiedensten Ausreden. Sie verwei­gert die Auslieferung von notorischen Kriegsverbrechern (Gene­ralen, die des Massenmordes schuldig sind, Hitler-Agenten, rechtsradikalen Journalisten, die zum Kriege hetzten, Mördern und gemeinen Verbrechern) wie Henrik Werth, Graf Jözsef Pálffy-Daun, Lajos Marsdialkö und Ferenc Vajtha, die in der nachfolgenden Liste aufgeführt sind, und hindert sogar die öster­reichische Regierung daran, die auf österreichisches Gebiet ge­flüchteten Verbrecher auszuliefern.

Die amtlichen Kreise der USA verfolgten von Anfang an weiterreichende Pläne mit diesen Kriegsverbrechern, Mördern, ehemaligen Gestapoagenten und konterrevolutionären Ver­schwörern aller Art, die später auf ihre Seite traten und aus Ungarn geflohen waren. Aus diesem Grunde lieferten sie diese Verbrecher und entkommenen Verräter, obwohl sie rechtlich dazu verpflichtet waren, nicht an die ungarischen Behörden aus. Als die aggressive Politik der USA schärfere Formen annahm, begannen die ins Ausland entkommenen ungarischen SS-, Pfeilkreuzler- und Gendarmerieformationen, sich in der westdeut­schen Besatzungszone unter amerikanischer Leitung immer offener zu organisieren. Gleichzeitig begannen sich in den Vereinigten Staaten unter Förderung amerikanischer Regierungsstellen immer mehr konterrevolutionäre Organisationen mit hochtönenden und irreführenden Namen („Ungarische Nationalkommission", „Bund der Ungarn in Amerika" usw.) zu bilden. Ihre Führer sind sämtlich entweder Kriegsverbrecher oder entkommene Verräter, Leute, die ins Ausland flüchteten, um sich der Verantwortung vor ungarischen Gerichten zu entziehen.

In der amerikanischen Besatzungszone in Deutschland sind faschistische Militärorganisationen entstanden, an deren Spitze, dank dem Vertrauen der Besatzungsbehörden in sie, Kriegsverbrecher, ehemalige Pfeilkreuzler und Horthy-Generale, wie zum Beispiel Ferenc Farkas de Kisbarnak und Andras Zakö, stehen, die kein Hehl daraus machten, dass sie im Rahmen eines von den USA geplanten dritten Weltkrieges Seite an Seite mit der amerikanischen Armee das faschistische System in Ungarn wiederherstellen wollen.

Das diese Organisationen von amtlichen amerikanischen Stellen unterstützt werden, wird auch dadurch bewiesen, dass diese Stellen es ihnen ermöglicht haben, neben dem offiziellen Organ der „Bruderschaft ungarischer Kämpfer", der Zeitung „Hadak Útján" (Auf dem Kriegspfad), die kostenlos verteilt wird, die Wochenschrift „Hungaria" in der amerikanischen Zone Deutschlands mit Hilfe der Besatzungsbehörden heraus­zugeben. Diese Wochenschrift ist das wichtigste Propaganda­blatt dieser faschistischen Militärorganisationen. Einer ihrer wichtigsten Mitarbeiter, der Journalist Miklös Lazar, hat sich in einer von ihm selbst vor dem Unvereinbarkeitsausschuss der „Ungarischen Nationalkommission" abgegebenen Erklärung der obengenannten faschistischen Militärorganisation angeschlossen und arbeitet in ihr auf direkte Anweisung der amerikanischen Behörden aktiv mit.

Während die offiziell anerkannten ungarischen konterrevo­lutionären Organisationen in Westdeutschland faschistische Söldnerformationen aufstellen, verstärken sie gleichzeitig ihre Aktivität in den USA. Die Leitung dieser Organisationen wurde reaktionären Politikern übertragen, die vom ungarischen Volk entlarvt worden waren und alle ihre Hoffnungen auf die Kriegsabenteuer des amerikanischen Imperialismus gesetzt hat­ten. Diese faschistischen Organisationen wurden von verschie­denen maßgebenden amerikanischen Politikern offen unterstützt und in ihrem Treiben ermuntert, so zum Beispiel von dem Außenminister Acheson, von vielen Senatoren und bei mehr als einer Gelegenheit sogar von Präsident Truman selbst.

Neben der Leitung von Verschwörungen, von Spionage- und Sabotageumtrieben sowie der Unterstützung der verschieden­sten Kriegsverbrecher und entkommenen Faschisten betreibt die amerikanische Regierung seit Jahren über den Rundfunk eine zügellose und niederträchtige  Verleumdungskampagne gegen Ungarn. Das Hauptwerkzeug dieser Kampagne war lange Zeit eine Regierungseinrichtung, der offizielle Rundfunksender der Regierung der Vereinigten Staaten, die „Stimme Amerikas"(1) (Anmerkung auf S.65; d.Red.)

Der Regierung der Vereinigten Staaten genügten jedoch nicht die Sendungen der „Stimme Amerikas" in ungarischer Sprache, in denen vierzehnmal täglich von mehreren europäischen und überseeischen (afrikanischen) Zweigsendern aus gegen die Frei­heit und Unabhängigkeit des ungarischen Volkes gehetzt wird. Daher setzte sie im Februar 1951 einen Sender in Betrieb, der im Widerspruch zu den Tatsachen als privater Sender ausgegeben wurde. Es ist der Sender „Radio freies Europa", der von München aus sendet. Auszüge aus der amerikanischen Presse lassen klar erkennen, dass der Sender „Radio freies Europa" ebenfalls ein Propagandaorgan der amerikanischen Regierung ist, das sich als Privatunternehmen tarnt, um so noch hem­mungsloser zum Kriege gegen Ungarn hetzen zu können. Zwölf Stunden täglich verbreitet dieser Sender Verleumdungen über die Ungarische Volksrepublik und hetzt gegen sie.

Es ist bezeichnend, daß die reorganisierten Übertragungen des Senders „Radio freies Europa" in ungarischer Sprache am 6. Ok­tober 1951 unter dem Titel „Stimme des freien Ungarn" von Graf Gyula Dessewffy eröffnet wurden, der im zweiten Welt­kriege Artikel schrieb, in denen er Hitlers Siege verherrlichte und das besiegte französische Volk in den Schmutz zog („Kis Ujság" vom 21. bis 24. Juni 1940), und der dann nach der Be­freiung Ungarns mit amerikanischer Hilfe aus dem Lande floh, weil bewiesen war, dass er an der Verschwörung gegen die Repu­blik teilgenommen hatte.

Infolge der ungarnfeindlichen Politik der Regierung der Ver­einigten Staaten sind die Vereinigten Staaten von Amerika und die von ihnen besetzten Gebiete regelrecht zum Sammelplatz ge­worden für alle die Mörder, Kriegsverbrecher, entlarvten landes­verräterischen Politiker und nazistischen Pressereptilien, deren aggressive Pläne zum Sturz der Ungarischen Volksrepublik von den amerikanischen Behörden in jeder Weise unterstützt und ge­fördert werden.

Bezeichnend für die offene Zusammenarbeit zwischen den ent­kommenen Faschisten und der Regierung der Vereinigten Staaten ist es, dass der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika kürzlich, am 13. Oktober 1951, persönlich eine Delegation der unter dem Namen „Bund der Ungarn in Amerika" arbeitenden faschistischen Verschwörerorganisation empfing und versicherte, er werde sie bei ihrer verbrecherischen Tätigkeit zum Sturz der Ungarischen Volksrepublik unterstützen.

Fußnote:

(1) So bezeichnet zum Beispiel die Schweizer Zeitung „Die Tat" in einem Artikel unter der Überschrift „Die Befreiung des Ostens", der am 26. April 1949 erschien und den als „Operation X" bezeichneten Plan John Foster Dulles' behandelte, die Sendungen der „Stimme Amerikas" als „einen organischen Bestandteil der schon im Frieden entbrannten Schlacht um die Befreiung des Ostens".


Hintergründe der Konterrevolution 1956

Vorwort aus: Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktoberereigneissen in Ungarn

(aus: „Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktoberereignissen in Ungarn“, herausgeben vom Informationsbüro des Ministerrats der Ungarischen Volksrepublik, Budapest, ohne Jahresangabe, S.3 ff., leicht gekürzt)

Ungarn ist zu einer Arena tragischer Geschehnisse gewor­den. Die Politik Rakosis-Gerös führte die sozialistische Entwick­lung des Landes in die Sackgasse. Die Folgen dieser verbrecheri­schen Politik lösten gewaltige Empörung und eine breite Volks­bewegung aus. Hunderttausende Werktätige setzten sich für die Säuberung der Volksmacht, für die Behebung des weitverbreite­ten Bürokratismus und einer Politik ein, die die nationalen Gefühle schwer verletzte. All dies verfolgte den Zweck, das volks­demokratische System, das den sozialistischen Weg geht, zu festigen und wirklich frei fortzuentwickeln. Die Arbeiterklasse ist ja keineswegs gewillt, den Kapitalisten die Betriebe zurück­zugeben, die Bauernschaft will nichts hören von einer Rückkehr der Landmagnaten, das Volk will seine Macht nicht preisgeben, will sich nicht wieder unter das Joch der Kapitalisten und Gutsbesitzer beugen.

Aber die finsteren Kräfte der Konterrevolution versuchten von Anfang an, die Bewegung, die sich im Zeichen der berech­tigten nationalen Forderungen des Volkes entfaltet hatte, zum Sturz der Volksmacht zu mißbrauchen.

Es ist jedoch nicht Aufgabe vorliegender Broschüre, die blu­tigen Ereignisse dieser traurigen Tage in allen Einzelheiten dar­zulegen. Sie schildert nur bestimmte Tatsachen jener Tage, als auf den Straßen Budapests, in den Provinzstädten und in vielen Dörfern die konterrevolutionären Kräfte ihr Unwesen trieben.

Die bewaffnete Meuterei war von den Konterrevolutionären geplant und militärisch sorgfältig vorbereitet worden. Davon zeugt die Tatsache, daß schon am ersten Abend der Massen­demonstrationen eine planmäßige Offensive auf die Rundfunk­sender, das Jözsef-Fernsprechamt für Überlandsgespräche wie auch auf die Arsenale und Großgaragen begann. All dies erinnerte in vieler Hinsicht verblüffend an das Vorgehen der Konter­revolution gegen die Ungarische Räterepublik im Jahre 1919. Allen Dulles, Bruder des Staatssekretärs der Vereinigten Staaten und Leiter des amerikanischen Spionagedienstes, erklärte, er sei schon zuvor über die Vorbereitungen zum Aufstand in Ungarn informiert gewesen. Ein Korrespondent der englischen „Daily Mail" schrieb am 25. Oktober, zwei Tage nach dem Aus­bruch der Meuterei: „In den letzten Tagen speiste ich mit freien Menschen; sie haben ein ganzes Jahr an der Vorbereitung des Aufstands gearbeitet, der diese Woche ausgebrochen ist." Die Frage, von wem und wie die Meuterei vorbereitet und organisiert wurde, wird in unseren weiteren Dokumentarpublikationen beantwortet werden. Es steht jedoch fest, daß am 30. Oktober, als die Regierung das Einstellen des Feuers verfügt hatte, die konterrevolutionären Kräfte schon offen auf den Schauplatz traten. Blutige Massenverfolgungen setzten ein. In dieser Broschüre sind einige Angaben, Zeugenaussagen und eine Anzahl Fotos veröffentlicht. Um eine Vorstellung von dem Umfang der blutigen Bestialitäten der Konterrevolution zu vermitteln, kann man außer den in dieser Broschüre angeführten Tatsachen noch einmal die Meldungen Budapester Korrespon­denten westlicher bürgerlicher Blätter zitieren. Gordon Shepherd, ein Korrespondent des „Daily Telegraph", schrieb am 30. Oktober: „Ein Volksaufruhr, dem weder Militär noch Polizei­truppen entgegentreten, hat Budapest erfaßt. Die Behörden sind ganz außerstande, der Lage Herr zu werden." Sefton Delmer schrieb am 31. Oktober im „Daily Express": „Jetzt ist der Terror des Mobs an der Tagesordnung.. ., Lynch­methoden, zu denen auch die bewaffneten Hilfskräfte greifen." (Der Korrespondent meint damit die Einheiten der „National­garde".)

Die Regierung war völlig hilflos. Sie beschränkte sich dar­auf, sich fast täglich umzubilden, wobei sie immer weiter nach rechts abglitt. Als am 29./30. Oktober die Gefahr der Konter­revolution schon klar zutage trat, forderte sie mit keinem Wort, mit keinem Appell zum Kampf gegen die Konterrevolution auf, und dies, obwohl auf den Straßen einfache Arbeiter und Bauern, Kommunisten, Offiziere, Leiter staatlicher Institutionen, Mitar­beiter der Staatssicherheitsorgane sowie einfache Soldaten, die in diesen Organen dienten, gehenkt, erschossen oder zu Tode gemartert, obwohl die Parteileitungen gestürmt und Greise und Kinder in den Wohnungen ermordet wurden. Barret McGurn schätzt in einem am 20. November von der „New York Herald Tribüne" veröffentlichten Artikel die Lage in Ungarn so ein: „Viele westliche Sachverständige waren der Ansicht, die Ungarn sollten sich wenigstens eine Zeitlang mit einer Koalition von Kommunisten und Nichtkommunisten unter Führung des Natio­nalkommunisten Imre Nagy abfinden... Bald wurde jedoch klar, daß in Ungarn ... ein Adenauer-Kurs angestrebt wurde." Die Geschehnisse vom 23. Oktober wurden benutzt, zum Teil auf Grund zuvor ausgearbeiteter Pläne, zum Teil auf Initiative inzwischen aufgetauchter Abenteurer, verschiedene konterrevolutionäre Organe aufzustellen. In Budapest teilten diese die einzelnen Bezirke unter sich und begannen, auf die Söhne des Volkes Jagd zu machen.

Also: die wichtigsten Merkmale der Taktik des konter­revolutionären Aufruhrs und der Aktionen der Konterrevolu­tionäre waren folgende :

1. Es begann ein Vernichtungsfeldzug gegen alle Mitarbeiter der Staatssicherheitsorgane zwecks Liquidierung aller bewaffne­ten Verbände der Staatssicherheitsverwaltung, der der Schutz der Volksmacht oblag. Die Regierung kam der Forderung, die Staatssicherheitsverwaltung zu liquidieren, nach, und das war richtig, denn eine einheitliche Staatspolizei kann die so wichtige Aufgabe des Schutzes der sozialistischen Gesetzlichkeit und der Volksmacht besser lösen. Die wohldurchdachte Taktik der Kon­terrevolutionäre bestand jedoch darin, die tatsächlichen Verbre­chen, die höchstens einige hundert Mitarbeiter der Staatssicher­heitsorgane begangen hatten, von denen die meisten zudem schon ihrer Posten enthoben und zu einem bedeutenden Teil sogar verhaftet waren, den tausenden Mitarbeitern der Staats­sicherheitsorgane — hauptsächlich einfachen Soldaten, die in diesen Organen dienten — zur Last zu legen und gegen sie aufzuwiegeln.

2. Die Konterrevolutionäre befreiten Faschisten, Kriegsver­brecher und Kriminelle aus den Gefängnissen. So wurden die ehemaligen Horthyminister und Kriegsverbrecher Istvän Antal, Antal Kunder u. a.- aus dem Gefängnis Märianosztra befreit. Noch mehr aber fielen für die Meuterer die vielen tausend krimi­nellen Elemente ihs Gewicht, die zu den konterrevolutionären Truppen stießen.

3.  Überall begann eine Hetze gegen die führende Kraft der Volksmacht, die Partei der Arbeiterklasse,, um diese zu zertrüm­mern. Am 30. Oktober wurde das Gebäude der Budapester Par­teileitung auf dem Platz der Republik durch Artilleriefeuer zerstört. Ehemalige Horthyoffiziere, Gendarmen und andere Ele­mente, die in den vergangenen Jahren in verschiedene Betriebe eingedrungen waren, steckten rot-weiß-grüne Kokarden an, gaben sich für „Revolutionäre" aus und hetzten in den Betrieben gegen dortige Parteifunktionäre, um die Betriebsparteiorganisa­tionen zu zertrümmern oder zumindest lahmzulegen.

4.  Es begann eine großangelegte Jagd auf Vertreter der örtlichen Behörden, Mitarbeiter der Ortsräte und Leiter von Wirtschaftsunternehmen. Die Konterrevolutionäre bedienten sich vielerorts der Taktik, sich „in die Bewegung für die Säube­rung der Volksmacht einzuschalten". Aber kaum fühlten sich die konterrevolutionären Kräfte wenige Tage später in Budapest und in vielen Prpvinzorten schon als Sieger, so warfen sie die „sozialistische" Maske ab und begannen den ganzen Staatsapparat der Volksdemokratie zu untergraben, wobei sie kein Hehl aus ihrem Ziel machten, die bürgerliche Ordnung zu restaurieren.

Zu diesen Konterrevolutionären zählt z. B. der sogenannte „Onkel Szabö", der im Elektrotechnischen Werk „Ganz" unter­kam. Dieser Onkel Szabö, ehemaliger Offizier der horthyistischen Gendarmerie, leitete später eine Gruppe der Aufständischen auf dem Szena-Platz. Käroly Tibalda, dem Sohn des ehemaligen Redakteurs der hitlerhörigen Zeitung „Üj Magyarorszag", ge­lang es, sich in den Arbeiterrat desselben Werkes einzuschleichen, wo er sogar zum Sekretär aufrückte. In diesen Arbeiterrat wurden auch Denes Mate, ein Mitglied der ehemaligen Leibwache Horthys, und anderen eingeschmuggelt.

5. Eine der wichtigsten Besonderheiten der konterrevolutio­nären Taktik bestand darin, möglichst rasch und an möglichst vielen Stellen in den Regierungsapparat einzudringen, besonders in die Führung der Streitkräfte, um diese in die Hand zu bekom­men oder zumindest lahmzulegen.

Unter der Regierung Imre Nagy's wimmelte es im Parla­mentsgebäude von alten Horthy-Politikastern, Aristokraten, Kronhütern, Chargen der Burgwache und anderem Gesindel. Unter ihrem Druck ernannte die Regierung den ehemaligen Offizier des Horthy-Generalstabs Bela Kiraly, der mit dem berüchtigten Faschistenhäuptling Gyula Gömbös verschwägert war, zum Oberkommandierenden der Armee. Ins Kriegsministe­rium ergoß sich ein Strom von ehemaligen Horthyoffizieren, und dieser schwoll ebenso schnell an, wie die Regierung ihre Zusam­mensetzung immer offentsichtlicher durch Verstärkung der Anhänger einer Restaurierung der bürgerlichen Ordnung änderte.

6. Eine bedeutende Rolle spielte bei der Zunahme der konter­revolutionären Kräfte das Eindringen faschistischer Emigranten­elemente aus dem Westen. Die mit Dollars aufgepäppelten Emi­grantenorganisationen vermochten es auch, in einzelne Organe des Internationalen Roten Kreuzes einzudringen und einzelne, für die Zustellung von Medikamenten und Verbandstoff be­stimmte Flugzeuge und Lastwagen des Roten Kreuzes zur Einschmuggelung von Waffen und Munition sowie zur Einschleu­sung von Konterrevolutionären nach Ungarn auszunutzen. Von hundert Roten-Kreuz-Flugzeugen, die bis zum November in Budapest landeten, hatten über vierzig etwa fünfhundert Leute solchen Schlags an Bord. Über unsere Westgrenzen drangen auch zahlreiche andere bewaffnete Gruppen ins Land ein.

Die ungarische Regierung hatte, auf das Zustandekommen einer günstigeren internationalen Friedensatmosphäre rechnend und bestrebt, dazu beizutragen, schon zuvor verfügt, die Sperranlagen und Minenfelder an den Grenzen zu entfernen. An der Westgrenze war diese Arbeit in der zweiten Septem­berhälfte beendet worden. Die Wühlorganisationen im Westen, die die Verschwörung vorbereiteten, machten sich diese bedeut­same Friedensgeste der ungarischen Regierung unverzüglich zunutze, um immer mehr Agenten über die Grenze zu schicken und die Vorbereitung zur Meuterei zu beschleunigen. In den ersten Tagen derselben benutzten sie die Erleichterung des Grenzverkehrs dazu, größere organisierte Gruppen einzuschleu­sen, um die Kräfte der Konterrevolution im Inland zu stärken.

7. Die großangelegte, wenn auch anfangs verborgene Tätig­keit der Konterrevolution trat infolge des raschen Anwachsens ihrer bewaffneten Kräfte, der Hilflosigkeit der Regierung Imre Nagy, des ständigen Abgleitens dieser Regierung nach rechts und schließlich ihres Zerfalls immer offener zutage. Verschie­dene Parteien und Organisationen, die für die Restaurierung der bürgerlichen Zustände eintraten, schössen wie die Pilze aus der Erde und in den letzten Tagen der Regierung Imre Nagy im politischen Leben des Landes eine dominierende Rolle. Das äußerte sich auch im Erscheinen einer Unzahl neuer Zeitungen. Am 29. Oktober bemächtigte sich eine der Meuterergruppen unter der Leitung von Jözsef Dudäs des Gebäudes der Zeitung „Szabad Nep", und seit den ersten Novembertagen konnte diese Zeitung nicht mehr erscheinen. Alle übrigen Zeitungen, die in ihrer erdrückenden Mehrheit gegen die Kommunisten und die Sowjetunion hetzten, konnten ungehindert erscheinen. Am 31. Oktober wurde Kardinal Mindszenty im Triumphzug aus Schloß Felsöpeteny nach Budapest gebracht, wo er offen zur restlosen Liquidierung der volksdemokratischen Ordnung aufrief.

Die Konterrevolution meinte schon, fest im Sattel zu sitzen, obwohl sich ihre politischen Führer durch die Anwesenheit sowjetischer Truppen außerordentlich beunruhigt fühlten und dieser Umstand ihnen einen Dämpfer aufsetzte. Sie baten um die Entsendung westlicher Streitkräfte, UN-Truppen, war­teten und hofften auf deren Einmarsch. Das wäre die wichtigste Garantie für die Restaurierung des bürgerlichen Regimes gewesen. Der konterrevolutionäre Aufruhr drohte, zum Sturz des volksdemokratischen Regimes in Ungarn und zu einem Zusammenstoß unseres Heimatlandes mit seinen Nachbarn zu führen, er barg die Gefahr in sich, dass Ungarn zu einem Auf­marschgebiet für die ersten Feindseligkeiten eines neuen Welt­krieges und zu deren Schauplatz werden könnte. Die einzige Möglichkeit zur Rettung der Volksmacht und zur Beseitigung der Gefahr eines neuen verheerenden Krieges im Donautal bestand in der Niederwerfung der Konterrevolution.

Diese kleine Broschüre schildert einzelne Tatsachen, Vor­gänge und Ereignisse. Sie kann keinen Anspruch darauf erheben, ein vollständiges Bild zu bieten, sondern will lediglich dazu bei­tragen, die Geschehnisse richtig darzustellen und die Öffent­lichkeit Ungarns und des Auslandes mit der wahren Sachlage vertraut zu machen.

Einleitung aus: Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktoberereignissen in Ungarn

(aus: „Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktoberereignissen in Ungarn“, herausgeben vom Informationsbüro des Ministerrats der Ungarischen Volksrepublik, Budapest, ohne Jahres-angabe, S.3 ff., leicht gekürzt)

Die kennzeichnenden Merkmale der Propaganda der bürgerlichen Restauration waren vor den Oktoberereignissen und zum Teil auch zur Zeit der Oktoberereignisse Heuchelei und Verhüllen der tatsächlichen Ziele. Diese Heuchelei war ein wohldurch­dachtes, listiges Mittel der Irreführung der sozialistisch denkenden Massen. Die zur Zeit des bewaffneten Aufstandes in der Presse erschienenen Forderungen und Programme blieben weit hinter dem zurück, was die Agitatoren der Konterrevolution mündlich forderten oder was sie bereits durchführten. Bei der Untersuchung der in den Forderungen enthaltenen Punkte müssen wir uns die Eigentümlichkeit jener Zeitspanne vor Augen halten, die darin bestand, dass die Taten die niedergeschriebenen und veröffentlichten Worte bei weitem übertrafen.

So war beispielsweise niemals die Losung gedruckt zu lesen, alle Kommunisten und mit den Kommunisten zusammenarbeitenden staatlichen und städtischen Funktionäre in leitenden Stel

lungen, die Fabrikdirektoren usw. ihres Amtes enthoben werden müssen - in der Tat aber wurde damit auf verschiedenen Gebieten der Verwaltung, in vielen Institutionen und Unternehmen bereits begonnen. Viele tüchtige und allgemein geachtete leitende Personen wurden entfernt und ihre Stellungen wurden nach und nach von Vertretern der bürgerlichen Restauration eingenommen. Niemals war beispielsweise die konterrevolutionäre Forderung gedruckt zu lesen gewesen, dass die Kommunistische Partei verboten und die leitenden Kommunisten verhaftet werden sollen – aber die Parteihäuser in den Bezirken wurden durch bewaffnete Gruppen besetzt, das Gebäude  des Budapester  Parteiausschusses unter Geschützfeuer genommen,  zahlreiche leitende Parteifunktionäre ermordet. In Budapest gingen organisierte bewaffnete Gruppen von Haus zu Haus, verhafteten Hunderte und aber Hunderte von Parteimitgliedern und setzten andere auf die Liste der zu Verhaftenden. Der weiße Terror breitete sich auch auf die Provinz aus.

Man schrieb von Gleichberechtigung und Freundschaft gegenüber der Sowjetunion - in Wirklichkeit aber schändete man die Ehrenmäler der Sowjethelden, riss die roten Sterne herunter, verbrannte die Bücher in russischer Sprache, darunter die Werke von Lenin, Tolstoi und Dostojewskij, ja sogar die russische Ausgabe von Petöfi.

Wenn die Konterrevolution von Anfang an auch in der Presse ihre wahren Pläne, ihr wirkliches Gesicht gezeigt hätte, dann hätten sich die großen Massen und unter ihnen auch die sozialistischen Studenten bald gegen sie gewandt.

Die der Regierung gegenüber betonten und in Druck er­schienenen Forderungen und Losungen hatten im allgemeinen einen provisorischen Charakter. Wenn die Regierung sich zu etwas bereit erklärte, kam die Konterrevolution sofort mit neuen Forderungen, wobei sie hinzufügte, dass sie kein Vertrauen zur Regierung habe, solange diese die neuen Forderungen nicht erfülle. Ein Beispiel hierfür sind die sich fortwährend ändernden Forderungen, die sich auf die Zusammensetzung der Regierung bezogen: anfangs wurde die Aufnahme Imre Nagys in die Regierung gefordert; als dies geschah, forderte man, dass die kommunistischen Minister aus der Regierung hinausgeworfen und Anna Kéthly in die Regierung auf­genommen werde, usw.; in den ersten Novembertagen wurde bereits die Losung laut: „Nieder mit Imre Nagy!"

Die Taktik, die Forderungen zu steigern, wurde vom Sprachrohr der amerikanischen Imperialisten, dem berüchtigten „Sender freies Europa", inspiriert.

Im „Sender freies Europa" forderte am 31. Oktober ein gewisser Oberst Bell das Landesverteidigungsportefeuille für die „Freiheitskämpfer" und im Handumdrehen wurde Maléter zum Verteidigungsminister ernannt. Am 31. Oktober posaunte das „Freie Europa" in den Äther: „Der Warschauer Vertrag hat vernichtet zu werden und es hat erklärt zu werden, dass Ungarn nicht mehr Mitglied des Vertrages ist" und am nächsten Tag, am 1. Novem­ber, gehorchte Imre Nagy. Das „Freie Europa" machte kein Hehl daraus, dass es dem ungarischen Volke eine aus Emigranten beste­hende, „mit eiserner Hand durchgreifende" Regierung auf den Nacken setzen wollte, die die Aufgabe gehabt hätte, in Ungarn die alte Ordnung wiederherzustellen. Hiervon wurde in jenen Tagen auch in der ausländischen Presse viel geschrieben.

Bei der Beurteilung der Forderungen muss auch noch in Betracht gezogen werden, dass zu dieser Zeit selbst die amerikanische Propagandazentrale, die die ganze konterrevolutionäre Bewegung steuerte, die taktische Weisung ausgegeben hatte, dass man die Fabriken, die Gruben und die Gutsbesitze jetzt noch nicht für ihre früheren Besitzer zurückzufordern brauche. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die amerikanischen Propagandisten und ihre ungarischen Agenten auf dem gesellschaftlichen Eigentum der Großbetriebe „nicht bestanden" hätten, sobald die einstigen kapitalistischen Elemente die politische Macht an sich gerissen hätten.

Trotzdem die angeführten Umstände die unverhüllte, offene Äußerung der auf die Wiederherstellung des früheren Systems gerichteten Bestrebungen verhinderten, kamen sie, wenn auch in gedämpfter, vernebelter Form, dennoch an die Oberfläche. Die Anhänger des verschwundenen Horthy-Regimes konnten sich nämlich, als sie glaubten, die politische Macht bereits in Händen zu haben, nicht zurückhalten und verletzten in gewissem Masse die von den amerikanischen Ideologen des „Senders freies Europa" vorgeschriebene Taktik. Da und dort tauchten auch schon die ehemaligen Gutsherren auf und forderten ihre Güter zurück;  Otto von Habsburg verlangte die ungarische Krone zurück; emigrierte Grafen erschienen im vornehmsten Hotel der Grenzstadt Sopron; auch Prinz Löwenstein kam nach Ungarn. Mindszenty ließ gleichfalls die Maske ­fallen.

Die bürgerliche Restauration hatte ihr von den amerikanischen Agenten angefertigtes Rezept. Danach wäre der erste Schritt gewesen, die Machtorgane des volksdemokratischen Staates zu zersprengen, die Partei der Arbeiterklasse außerhalb des Gesetzes zu stellen und in die Illegalität zu drängen sowie Ungarn unter dem Vorwand der „Neutralität"  aus  dem  Lager  der  sozialistischen Länder herauszureißen und dem Block der westlichen kapitalistischen Länder anzuschließen. Natürlich wurde dem Volk anfänglich verschwiegen, dass die Macht des Großkapitals sich ungehindert werde wiederherstellen lassen, wenn in Ungarn die Amerikaner, die westlichen  „UNO-Truppen" und ihre ungarischen Agenten die Herren sein werden. Es wurde auch ein Schleier darüber gebreitet, dass dieser Schritt ein Wiederaufleben der Gegensätze Ungarns zu seinen Nachbarn bewirkt hätte und dass unser Land dadurch zum Brandherd eines neuen Krieges geworden wäre. Dieser Plan wollte Ungarn in einen vorgeschobenen östlichen Brückenkopf des westlichen Imperialismus verwandeln. Das war so sehr mit offenkundigen Gefahren verbunden, dass selbst nüchterner denkende bürgerliche Politiker davor die Augen nicht verschließen konnten. So warnte beispielsweise auch Nándor Bilkei-Gorzö im so genannten „Nationalkomitee der Hauptstadt" vor dem „gefährlichen Spiel", das der Bruch des Warschauer Vertrages bedeutet hätte.

Ein Merkmal der bürgerlichen Restauration war das Erscheinen der Parteien des Horthy-Regimes im öffentlichen Leben. Im Budapester Rathaus tauchten schon eine „Christlich-Ungarische Partei" und ein „Christlicher Jugendbund" auf, und außerdem fanden sich in der Hauptstadt noch drei „christliche" parteibildende Gruppen. Die Christlich-Demokratische Volkspartei, der Christliche Jugendverein und die Christlich-Demokratische Partei konstituierten sich. Die zu neuem Leben erweckten „christlichen" Parteien des Horthy-Regimes und ihre Bundesgenossen machten sich auch sofort daran, in der Presse sowie auch auf andere Weise die Schmutzwellen der kommunistenfeindlichen, der sowjetfeindlichen, der antisemitischen und der chauvinistischen Agitation aufzupeitschen.

Es bildeten sich auch Parteien, deren Organisatoren die bürgerliche Restauration nicht in der Form der Restauration des Horthy-Regimes durchzuführen gedachten, sondern die sozialistische Macht durch ein bürgerlich-demokratisches oder bürgerlich-liberales Regime abzulösen ver-meinten. Die tatsächliche militärische und politische Führung der Konterrevolution war aber in den Händen der politischen und militärischen Vertreter des Horthy-Faschismus. Zahlreiche Gruppen der bürgerlichen Restauration waren ein Gemisch der bürgerlich-demokratischen, der bürgerlich-liberalen sowie der „christlichen" und faschistischen Richtungen. Ein wich­tiges „zusammenhaltendes Element" dieser Gemischtheit bildete die Unterwürfigkeit vor dem westlichen Imperialismus.

In diesen Tagen liefen in der Presseabteilung des Ministerpräsidenten Gesuche mehrerer unbekannter oder kaum bekannter Personen und parteibildender Gruppen um Blattkonzessionen ein. Die Ungarische Unabhängigkeitspartei legte ihrem am 1. November überreichten Gesuch auch ihr Programm bei, in dem sie unter anderem das sozialistische System verwirft und sich eindeutig zur „Verwirklichung der reinen, ewigen und ungarischen bürgerlichen Demokratie“ und zur „Unversehrtheit des Privateigentums“ bekennt.

Die faschistischen Kräfte der bürgerlichen Restauration bildeten auch einen sogenannten „Landesblock der Parteilosen". In ihrem Programmentwurf, den sie der Regierung Nagy überreichten, können wir lesen: „Alle jene Partisanen, die sich nach der Aufrollung der AVH (ungarische Abkürzung für Staatsschutzbehörde) frei bewegen, sind unter Polizeiaufsicht zu stellen," ferner: „In sämtlichen Unternehmen, Betrieben, Ämtern und Institutionen sind mit sofortiger Wirkung die Parteibüros der Kommunistischen Partei, die Gewerkschaftsbüros und die Abteilungen der Verteilung der Arbeitskraft der Unternehmen aufzulösen..."

Unter Führung der Faschisten konstituierte sich auch der „Kameradschaftsbund der Ungarischen Politischen Gefangenen", unter dessen Mitgliedern sich auch verurteilte pfeilkreuzlerische Mörder befanden. Diese Organisation wollte ein Blatt unter dem Titel „Ébresztó (Weckruf) herausgeben, das auch in seinem Titel an die berüchtigte faschistische Organisation der Konterrevolution von 1919, den „Verein der Erwachenden Ungarn", erinnerte.

Eine unzweifelhafte und charakteristische Tatsache der horthyistischen Restauration war im Budapester Rathaus die Konstituierung des sogenannten Nationalkomitees der Hauptstadt am 1. November. Dieses Komitee erklärte von sich selbst, dass nur es allein zur Besetzung der Stellungen im Rathaus zuständig sei. Der Rechtsanwalt Karoly Zajgóvári erklärte laut Protokoll: „Das National­komitee soll vom Abteilungsleiter aufwärts jeden Leiter als entlassen erklären." Am 2. November machte sich das Komitee „an die Arbeit". Der Delegierte der gar nicht existierenden „Christlich-Ungarischen Partei" schlug auch schon vor, dass ein Piaristen-geistlicher der Leiter der kommunalen Unterrichtsabteilung sein soll und beantragte, dass die 1945 und später entlassenen Horthysten sämtlich ins Rathaus zurückgenommen werden sollen.

Zahlreiche Tatsachen der Restaurationsbestrebungen zeigten sich in den verschiedenen Provinzstädten und Dörfern. Hierüber werden wir auch in dieser Ausgabe charakteristische Tatsachen anführen.

Einer der charakteristischsten Vertreter der Restaurationsbestrebungen war Kardinal Mindszenty. Am Abend des 3. November hielt Mindszenty eine Rundfunkrede, in der er seine politischen Ansichten darlegte. Die Rede war, mochte sie noch so vernebelt sein, sehr eindeutig.

Mindszenty schrieb mit folgenden gebieterischen Worten vor, wie die gesellschaftliche Einrichtung Ungarns beschaffen sein soll: „Wir wollen eine Nation und ein Land sein, die in einem Rechtsstaat, in klassenloser Gesellschaft leben, die demokratischen Errungen­schaften entwickeln, auf der Grundlage des von sozialen Interessen richtig und gerecht eingeschränkten Privateigentums stehen und von  einem  kulturnationalistischen Geist durchdrungen sind." Mindszenty kehrte zur Demagogie des „christlichen Kurses" und des Nazismus zurück, als er sich für ein „gerechtes" und „von sozialen Interessen eingeschränktes" Privateigentum einsetzte. Aber wir wissen auch aus der Geschichte, dass all dies in der Tat die unumschränkte Herrschaft des Kapitals bedeutet.

Die Grundlage der sozialistischen Gesellschaft ist der gesell­schaftliche, gemeinsame Besitz der Produktionsmittel. Mindszenty hat diesem Gesellschaftssystem mit seiner Rede - indem er es als gestürzt bezeichnete - das Grab geschaufelt. Die Regierung Imre Nagy wurde von Mindszenty natürlich nicht anerkannt und das brachte er in dem ihm eigenen anmaßenden Tone auch mit den folgenden Worten zum Ausdruck: „Die Teilhaber und Erben des gestürzten (!) Systems (die Erben, das sind Imre Nagy und die Regierung) tragen eine besondere Verantwortung Tätigkeit, für jede Unterlassung, Verspätung oder unrichtige Maßnahme gleicherweise."  Die Drohung Mindszentys galt auch Imre Nagy und Konsorten: „… die gesetzliche Zurverantwortungziehung muss auf der ganzen Linie und zwar durch ein unabhängiges und unparteiisches  Gericht erfolgen.“

Mindszenty forderte auch Neuwahlen, an denen „alle Parteien teilnehmen können“ und zwar „unter internationaler Kontrolle". Der Kardinal wiederholte das vom „Freien Europa" einige Tage später ausgebene Schlagwort von der „Unabhängigkeit" unter westlicher Kontrolle, wobei sämtlichen bürgerlichen Restaurationsparteien ­eine freie Tätigkeit gesichert und die Tätigkeit der kommunistischen Partei tatsächlich unterdrückt und unter die Erde gezwungen werden soll.

Der Kardinal schloss seine Rede mit der Forderung, dass der Kirche „ihre Institutionen" zurückgegeben werden sollen, unter welchen Begriff natürlich auch der Grundbesitz gehört.

Mindszenty hatte dem „gestürzten System" der Volksdemokratie eine Leichenrede gehalten, doch hatte er es voreilig getan. (…)

In diesem Band publizieren wir einzelne auf die Durchführung der kapitalistischen Restauration bezügliche politische Tatsachen, Ziffern und neueres Tatsachenmaterial über die Bluttaten der Konterrevolution,die den konterrevolutionären Aufstand in ein helleres Licht rücken.

Aus dem gesammelten Material lassen sich in dieser Beziehung unwiderlegliche Schlüsse ziehen:

1. Die Initiatoren und Organisatoren des bewaffneten Aufstandes waren ausländische Agenten, horthyistische Emigranten und die Angehörigen ihrer im Lande befindlichen illegalen Organisationen, die als Organisatoren an den Massenbewegungen teilnahmen und deren Lenkung immer mehr an sich rissen.

2. Die im Lande befindlichen Vertreter des vor zwölf Jahren gestürzten Regimes begannen bereits in der Hauptstadt und in zahlreichen Provinzstädten, Gemeinden und Kreisen mit der Wiedererstellung der früheren Macht und die im Ausland lebende Emigration machte sich schon zusammen mit ihren hiesigen Agenten zur völligen Machtübernahme bereit.

3. Die Hetzsendungen des mit Dollars erhaltenen und aus Amerika gelenkten, in Westdeutschland tätigen „Senders freies Europa" haben bei der ideologischen Vorbereitung und praktischen Führung der Konterrevolution, bei der Heraufbeschwörung eines bewaffneten Kampfes, bei der Nichteinhaltung der Feuerpause und bei der Erweckung einer zum Lynchen unschuldiger, ihrem Volk und Vaterland treuer Menschen führenden Massenhysterie eine große Rolle gespielt. Die Leiter des „Senders freies Europa" sind besonders verantwortlich für das unter ungarischen Menschen angerichtete Blutvergießen und für deren darauf folgende Ver­lockung nach dem Westen und für die durch das Dissidieren tausend und aber tausend ungarischen Familien verursachte Tragödie.

4. Das Ziel der konterrevolutionären Aufrührer wurde nach dem 29. Oktober immer offenkundiger: Sturz des sozialistischen Volkssystems und Ausbreitung der westlichen kapitalistischen Interessenssphäre auf Ungarn — das heißt die bürgerliche Restauration.

Die Niederschlagung des konterrevolutionären Aufruhrs war das einzige Mittel, dass das ungarische Volk der finsteren Ära einer neuen Konterrevolution entgehe.

Kurt Gossweiler: Ungarn 1956 – Hintergründe und Zusammenhänge[27]

Mit dem Kampf und dem Schicksal Rakosis[28] und seiner Partei werde ich mich im folgenden ausführlich beschäftigen, weil sie exemplarisch sind für die Bedingungen, denen die kommunistische Bewegung insgesamt seit 1953 ausgesetzt war. Rakosi war wohl der von den Revisionisten meistgehaßte und meistverleumdete Parteiführer der Länder der Volksdemokratie, und das mit gutem Grund, scheiterte doch selbst nach dem XX. Parteitag die KPdSU zunächst noch alle ihre Versuche, die Partei und das Land auf die Tito-Linie zu führen, an seinem unbeirrbaren Festhalten an der marxistisch-leninistischen Orientierung der Politik der Partei. Mit besondere Wut erfüllte alle Feinde des Sozialismus der im September 1949 in Budapest durchgeführte Prozeß gegen Laszlo Rajk und andere, - der erste der drei großen Prozesse, die in den volksdemokratischen Ländern Ungarn, Bulgarien und Tschechoslowakei gegen führende Partei- und Staatsfunktionäre wegen Hochverrats und Vorbereitung des Sturzes der sozialistischen Ordnung durchgeführt wurden.

Diese Prozesse haben eine Vorgeschichte, in deren Mittelpunkt die Änderung der Politik der Führer der kommunistischen Partei Jugoslawiens gegenüber der Sowjetunion und den volksdemokratischen Ländern steht. Bis in das Jahr 1948 hinein galt in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern, und auch bei uns, der damaligen Sowjetischen Besatzungszone, Jugoslawien als ein Land, das auf dem Wege zur Errichtung einer sozialistischen Ordnung am weitesten vorangekommen war und der Sowjetunion am nächsten stand.[29] Aber Ende 1947 - Anfang 1948 nahm die Führungsgruppe der KP Jugoslawiens eine verhängnisvolle Änderung ihres bisherigen Kurses vor. Diese Änderung lief darauf hinaus, im sozialistischen Lager ein zweites, ein Gegenzentrum gegen die Sowjetunion zu bilden - mit Jugoslawien als Hegemon. Das Ganze wurde begründet mit der Notwendigkeit, die Balkanländer zu einer Föderation zusammenzuschließen. Tito nutzte dabei den Umstand aus, daß die kommunistischen Parteien der Balkanländer schon zu Zeiten der Kommunistischen Internationale der imperialistischen Politik des Gegeneinanderhetzens der Balkanvölker die Forderung nach einem solidarischen Zusammenschluß in einer Balkanföderation entgegengestellt hatten. Deshalb stimmte zunächst auch Georgi Dimitroff dem Vorschlag der Tito-Führung zu, nach dem Sieg über die Faschisten und nach der Verjagung der reaktionären Regierungen der Balkanstaaten nun die alte Idee der Balkanföderation zu verwirklichen. Als jedoch erkennbar wurde, daß hinter Titos Vorschlag die Absicht der Angliederung Bulgariens als Teilrepublik an Jugoslawien und die Schaffung eines antisowjetischen Zentrums steckte, nahm Dimitroff seine Zustimmung zurück und sprach sich gegen dieses Projekt aus.

Umso mehr drängte die Belgrader Führung jetzt - im Frühjahr 1948 - darauf, daß der andere, kleinere und - wie sie meinte -, leicht zu vereinnahmende Nachbar Albanien sich Jugoslawien anschloß.[30] Die Belgrader Führer konnten damit umso eher rechnen, als sie in der Führung der albanischen Partei Vertrauensleute wußten, - wie den Organisationssekretär des ZK der albanischen Partei und Innenminister Koci Xoxe und andere -, die auf Titos Weisung hin auch einen Staatsstreich in Tirana unternehmen würden, falls anders das Ziel nicht zu erreichen sein sollte. Dazu kam es indessen nicht, weil die Kritik des Informationsbüros an der Politik der KP Jugoslawiens vom Juni 1948 Tito zur Zurückhaltung zwang, zum anderen diese Kritik auch zur Aufdeckung der Machenschaften der Verbündeten Titos in der albanischen Führung beitrug. Sie führte schließlich zur Verhaftung Koci Xoxes und seiner Mitverschwörer und der Eröffnung eines Gerichtsprozesses gegen sie, der vom 11. Mai bis zum 10. Juni 1949 in Tirana duchgeführt wurde und mit einem Todesurteil für Koci Xoxe sowie Freiheitsstrafen von 5 bis zu 20 Jahren für die vier anderen Angeklagten abgeschlossen wurde.[31]

Es ist übrigens bemerkenswert, daß ungefähr im gleichen Zeitraum, in dem die Belgrader Führung ihren neuen antisowjetischen Kurs verschärfte, in den USA der "Nationale Sicherheitsrat" die Direktive 10/2 vom 18. Juni 1948 erließ, die zum Inhalt die Ausdehnung verdeckter Aktionen der CIA auch auf das Ausland hatte; in dieser Direktive hieß es u.a.: Unter dem in dieser Direktive verwendeten Terminus 'geheime Operation' sind alle Aktivitäten ... zu verstehen, die von dieser Regierung gegen feindliche ausländische Staaten oder Gruppen oder zur Unterstützung befreundeter ausländischer Staaten oder Gruppen geleistet oder gefördert werden, die jedoch so geplant und geleitet werden, daß nach außen hin ihr Urheber - die Regierung der USA - auf keine Weise in Erscheinung tritt und im Falle ihrer Aufdeckung die Regierung der USA völlig glaubwürdig jede Verantwortlichkeit für sie plausibel leugnen kann." Als "geheime Aktivitäten" wurden genannt: Propaganda, Wirtschaftskrieg, direkte Präventivhandlungen einschließlich Sabotage ..., Wühlarbeit gegen feindliche Staaten, einschließlich Hilfe für die illegalen Widerstandsbewegungen im Untergrund, für Guerillas sowie die Unterstützung von antikommunistischen Elementen in bedrohten Ländern der freien Welt."[32]

Was im Rajk-Prozeß aufgedeckt wurde, ging sicher zu einem erheblichen Teil schon auf das Konto der Arbeit dieser Direktive. Dazu gehört vor allem der Plan zum Sturz der bestehenden Regierung, in dem Laszo Rajk, dem ungarischen Außenminister, von seinen jugoslawischen und amerikanischen "Beratern" die Hauptrolle zugedacht war. Über diesen Plan und seine Väter sagte der ehemalige Leiter der Kaderabteilung der Kommunistischen Partei Ungarns, Tibor Szönyi: "Der Plan der Verschwörung zum Sturz der ungarischen volksdemokratischen Regierungssystems diente selbstverständlich den Interessen derjenigen, die den Plan ausgearbeitet hatten, die die intellektuellen Urheber des Planes waren, das heißt, die Verschwörung war ein Teil  der gemeinsamen amerikanischen und jugoslawischen Pläne. ... Wir erhielten ein konkretes Versprechen in Bezug auf eine wirtschaftliche, finanzielle Hilfe Ungarns von seiten der Vereinigten Staaten, nach Ausführung des Putsches; ferner ... würden die Vereinigten Staaten Ungarns Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen ... unterstützen."

Auf die Frage des Gerichtsvorsitzenden, welche wesentlichen Änderungen für den Fall des Gelingens der Verschwörung in der Innen- und Außenpolitik vorgesehen gewesen seien, gab Szönyi zur Antwort: "In erster Reihe die Bildung einer neuen Regierung. Wir planten ferner, die politische Struktur des Landes in dem Sinne zu ändern, wie das Rajk mit den führenden jugoslawischen Politikern besprochen hatte und wir hätten dazu die jugoslawische innenpolitische Lage als Vorbild genommen, das heißt eine Änderung, welche die Rolle der Parteien, in erster Reihe der Partei der Ungarischen Werktätigen im politischen Leben des Landes in den Hintergrund hätte drängen sollen, und an Stelle dieser hätte eine Volksfront mit verbreiterter Grundlage treten müssen, als eine Organisation, die das politische Leben des Landes lenkt. Die Verbreiterung wäre in dem Sinne geschehen, daß wir dem Kulakentum innerhalb der Volksfront zu politischer Vertretung verholfen hätten. Auf wirtschaftlichem Gebiet war in erster Reihe davon die Rede, daß wir stufenweise - freilich nicht auf einmal - alle wichtigen Errungenschaften der Volksdemokratie von neuem vernichten, das heißt die Fabriken, die Banken, die Bergwerke den Kapitalisten zurückgeben, die Errungenschaften der Bodenverteilung teilweise vernichten sollten. In der taktischen Ausführung des Planes dachten wir freilich nicht daran, alles mit einem Schlag zu verwirklichen, sondern stufenweise, langsam, der Lage entsprechend. Ähnliche langsame, progressive Änderungen wurden auch in außenpolitischer Hinsicht geplant. Unsere Zielsetzung, Ungarn von der Seite der Sowjetunion und der befreundeten Volksdemokratien an die Seite der Vereinigten Staaten zu stellen, wollten wir auch stufenweise, langsam ausführen."[33]

Die Anklagen wie auch die Geständnisse der Angeklagten waren so ungeheuerlich und ungewöhnlich, daß es verständlich erscheint, wenn die späteren Behauptungen und Erklärungen, die Anklagen seien zu Unrecht erfolgt und die Angeklagten zu Unrecht verfolgt worden, ihre Geständnisse seien durch Folter, Drogen und falsche Versprechungen erpreßt und erschlichen worden, ja, wenn sogar solch absurde Behauptungen, die Drehbücher für die Aussagen und Geständnisse der Angeklagten seine in Moskau von Stalin und Berija entworfen worden und hätten dann von den Angeklagten auswendig gelernt und in den Verhören vorgetragen werden müssen, Glauben fanden und sogar mit einer gewissen Erleichterung darüber aufgenommen wurden, daß die Angeklagten ehrliche Kommunisten geblieben und unfähig gewesen waren, die ihnen zur Last gelegten Verbrechen zu begehen. Allerdings mußte man dafür nun für möglich halten, daß Rakosi und alle anderen für diese Prozesse Verantwortlichen noch viel schlimmere Ungeheuer waren, als den nunmehr Rehabilitierten je zugeschrieben war.

Man muß sich einmal vorstellen, was es für eine politische Bewegung bedeuten muß, wenn ihren Anhängern heute eine Gruppe ihrer Führer als Verräter und Verbrecher, morgen ihnen jedoch die gleichen Führer als quasi Heilige, die von den denkbar schlimmsten Verbrechern, nämlich ihren gestrigen Richtern, unter erfundenen Beschuldigungen grundlos ermordet wurden. Das alles machte die kommunistische Bewegung in den wenigen Jahren zwischen 1949 und 1956 durch! Eine Bewegung, die daran nicht zugrunde geht, muß einen sehr gesunden Organismus haben und zur Vertretung der Lebensinteressen der Klassen, deren politisches Führungsorgan sie ist, trotz alledem als unentbehrlich empfunden werden. Aber unvermeidlich stellen sich Viele die Frage: Wie kann man sich da noch zurechtfinden? Wer lügt? Wo ist die Wahrheit? Die Antwort ist: Die Wahrheit ist nur in den geschichtlichen Tatsachen zu finden, sogar dann, wenn Beweisdokumente noch fehlen. Die geschichtlichen Tatsachen aber besagen: Das, was Rajk und Komplizen als ihre Absicht vorgeworfen und wofür sie - bevor sie diese in die Tat umsetzen konnten - verurteilt wurden, das wurde nach der Rehabilitierung Rajks und seiner Mitangeklagten von anderen Führern der ungarischen Partei gleich zweimal nun tatsächlich begangen: zum ersten Male von Imre Nagy im Herbst 1956, zum zweiten Male von Gyula Horn ab 1989.

Wer war Imre Nagy? Als eine Auswirkung der Veränderungen in der Leitung der KPdSU nach dem Tode Stalins wurde am 27./28. Juni 1953 das Politbüro der Partei der Ungarischen Werktätigen erweitert; die wichtigste Veränderung war die Aufnahme Imre Nagys in dieses Gremium.[34] Am 2. Juli wurde auch die ungarische Regierung umgebildet und Imre Nagy als Ministerpräsident an ihre Spitze gestellt.[35]

Aber auf einem ZK-Plenum am 2.-4. März 1955 wurde scharfe Kritik an seiner Amtsführung geübt. Das Plenum faßte einen Beschluß "Über die politische Lage und die Aufgaben der Partei", in dem u.a. gesagt wurde, Nagy habe die Beschlüsse des Juni-Plenums von 1953 im opportunistischen und antimarxistischen Sinne entstellt. "Von einer Hebung des Lebensstandards sprechen und zur gleichen Zeit nicht für die Gewährleistung der hierfür notwendigen ökonomischen Voraussetzungen sorgen, sind in Wirklichkeit billige Demagogie und Irreführung des Volkes. ... Wer versichert, daß die Hauptmasse der Klein- und Mittelbauern als Einzelbauern einen gewissen Wohlstand erzielen kann, daß unsere aus Hunderttausenden Einzelbauern bestehende Landwirtschaft gedeihen und zu einer fortgeschrittenen Landwirtschaft werden kann, ohne daß die Produktionsgenossenschaften entwickelt werden, betrügt die werktätigen Bauern. ... Die größer gewordene rechte, opportunistische Abweichung zeigte sich auch in der Unterschätzung der führenden Rolle der Partei. Einige negierten die Rolle der Partei in der Vaterländischen Volksfront. ... Mit diesen rechten Anschauungen wollte man im Grunde die marxistisch-leninistische Lehre von der Diktatur des Proletariats einer Revision unterziehen. Das wichtigste in der volksdemokratischen Ordnung ist die unbedingte Gewährleistung der führenden und richtunggebenden Rolle der revolutionären Partei der Arbeiterklasse. Ohne Gewährleistung dieser Rolle gibt es keine Volksdemokratie! ... Die rechten Anschauungen in unserer Partei und in unserem Staat sind so gefährlich geworden, weil Genosse Imre Nagy in seine Reden und Artikeln diese antimarxistischen Ansichten unterstützt, ja mehr noch, sie am eifrigsten predigt. ... Ein Hauptmerkmal der rechten Linie des Genossen Imre Nagy zeigte sich darin, daß er die von der Partei erzielten großartigen Siege leugnete und unterschätzte und die Erfolge regelmäßig verschwieg. ... Die rechten Elemente außerhalb und innerhalb der Partei betrachteten diesen Artikel (Imre Nagys vom 20. Oktober 1954) als Signal und begannen die richtige Politik der Partei zerstörend anzugreifen. Solche Erscheinungen gab es in den Redaktionen vieler Zeitungen sowie auf dem Gebiet der Literatur. ... Genosse Nagy und einige andere Genossen haben mit billigen demagogischen Versprechungen in der Presse ... die Arbeiterklasse mitunter irregeführt, ... sich den rückständigsten Schichten der Arbeiter angepaßt und dadurch gewisse Elemente der Zersetzung in die Arbeiterklasse hineingetragen."[36]

Auf dem darauffolgenden Plenum des ZK der Partei der Ungarischen Werktätigen wurde Imre Nagy aus dem Politbüro und dem ZK der Partei ausgeschlossen und aller Funktionen enthoben, die er im Auftrag der Partei ausübte, also auch als Ministerpräsident. Das war im April 1955. Aber schon im Mai trat ein Ereignis ein, das den künftigen Sturz Rakosis und den Wiederaufstieg Imre Nagys vorherbestimmte; es war dies Chrustschows Erklärung gegenüber Tito aus Anlaß des Besuches einer sowjetischen Delegation, - worüber weiter unten ausführlicher zu sprechen sein wird -, daß alle gegen Tito erhobenen Vorwürfe sich nach gründlicher Prüfung als unberechtigt und Erfindung von Feinden, von Agenten des Imperialismus, erwiesen hätten.

Sofort nutze Tito dies aus, um Druck auf alle anderen kommunistischen Parteien auszuüben, auch ihrerseits alle Vorwürfe gegen ihn und seine Partei zurückzunehmen. "Am 27. Juli forderte er in einer Rede in Karlovac, daß auch die Führer in Ungarn und in der Tschechoslowakei ihre gegenüber Jugoslawien begangenen Fehler bekennen, so wie dies die sowjetischen Führer anläßlich des Besuches der sowjetischen Staatsmänner in Jugoslawien getan hätten. Er verlangte hierbei insbesondere eine Revision der seinerzeitigen Prozesse gegen Rajk...in Budapest, gegen Trajtscho Kostoff...in Sofia und gegen Rudolf Slansky und Vladimir Clementis in Prag.... Tito sagte u.a.: Wir bedauern, daß es im Osten in einigen unserer Nachbarstaaten immer noch Leute gibt, denen diese Normalisierung nicht gefällt. ... Stattdessen intrigieren sie hinter den Kulissen gegen uns ... und versuchen überall, uns Steine in den Weg zu legen... Vor allem in Ungarn gibt es Leute, die so reden. Aber wir sind überzeugt, daß sie ... die Erfüllung dessen, was wir wollen und was die Sowjetführer in Belgrad erklärten und gegenwärtig auch ausführen, nicht verhindern können... Auch in der Tschechoslowakei gibt es Leute, die Mühe haben,... ihre Fehler zu bekennen... Diese und ähnliche Leute werden ihre Fehler gegenüber unserem Lande auf die eine oder andere Weise bekennen müssen."[37]

Dieser Druck aus Belgrad beeindruckte die ungarischen Genossen nicht und brachte sie nicht davon ab, ihren Kampf gegen die Tito-Sympathisanten weiterzuführen, die vor allem in den Reihen der Schriftsteller zu finden waren, die sich als ein organisatorisches Zentrum einen Club schufen, dem sie den Namen des populären ungarischen Schriftstellers Petöfi gaben. Im Dezember 1955 faßte das ZK der Partei der Ungarischen Werktätigen einen Beschluß mit der Überschrift: "Die rechten Fehler im literarischen Leben Ungarns überwinden", in dem es u.a. hieß: "Einige Schriftsteller, auch Parteimitglieder,... haben die Perspektive des Sozialismus verloren. ... Pessimismus und Verzweiflung haben von ihnen Besitz ergriffen. ... All das legen sie als etwas 'Neues', als einen Sieg über den Schematismus dar. ... Einige Schriftsteller ... haben den Beschluß des März-Plenums des ZK (gegen Imre Nagy) abgelehnt oder sich auch nur nach außen hin einverstanden erklärt... Der rechte Opportunismus kommt zur Zeit in den gefährlichsten, offensten und organisiertesten Formen in der Literatur zum Ausdruck."[38]

Dann aber kam im Februar 1956 der XX. Parteitag, auf dem Stalin verdammt und Tito gefeiert wurde. Rakosi versuchte dennoch, die antirevisionistische Linie der Partei beizubehalten. Auf einem ZK-Plenum im März erklärte er noch: "Unsere rechten Elemente erhoffen sich vom XX. Parteitag, daß er sie rechtfertigen werde. Jetzt ist für jedermann klar, daß sich diese Hoffnungen nicht erfüllt haben." Er sollte sehr schnell erfahren, daß dies eine große Fehleinschätzung war. Chrustschow und Tito übten nun konzertiert einen immer stärkeren Druck auf andere Parteien, vor allem aber auf die ungarische Partei aus. Nur zwei Wochen nach dieser optimistischen Einschätzung sah sich Rakosi gezwungen, auf einer Sitzung des Parteiaktivs in einer ungarischen Stadt zu erklären, der Rajk-Prozeß sei überprüft worden; das Ergebnis sei die Feststellung, daß der Prozeß eine feindliche Provokation und unberechtigt gewesen sei. Das oberste Gericht habe Rajk und die mit ihm Verurteilten rehabilitiert.

Rakosi hatte damit den ersten Schritt der von außen erzwungenen Selbstdemontage getan. Am 19. Mai 1956 mußte er vor dem Budapester Parteiaktiv in einem Referat "Über die Lage und die Aufgaben im Lichte des XX. Parteitages" den nächsten Schritt mit einer "selbstkritischen" Einschätzung seiner Arbeit und seines Verhaltens "zu bestimmten Fragen" tun und gleichzeitig ausgerechnet am ungarischen Beispiel "nachweisen", daß Stalins These von der Verschärfung des Klassenkampfes mit wachsenden Erfolgen - die gerade in Ungarn durch die Offensive des Revisionismus seit 1953 und verstärkt seit dem XX. Parteitag ihre nachdrückliche Bestätigung fand! - "falsch und schädlich" sei. Chrustschow und Tito verstärkten nun den Druck in Richtung Budapest, um den verhaßten Rakosi endlich vom Stuhl des 1. Sekretärs zu stoßen, damit der Weg für Imre Nagy frei werde. Tito reiste am 6. Juni nach Moskau, einen Tag später traf das sowjetische Politbüromitglied Suslow, der sich von einem "Stalinisten" zu einem treuen Chrustschow-Gefolgsmann entwickelt hatte, in Budapest ein. Die Auswirkungen zeigten sich auf dem nächsten ZK-Plenum der ungarischen Partei am 18. Juli 1956. Rakosis Stellvertreter Ernö Gerö verlas auf diesem Plenum einen Brief Matyas Rakosis, in dem dieser bat, ihn von der Funktion als 1. Sekretär wegen "Fehlern in der Arbeit und Krankheit" zu entbinden. Aber Tito und Chrustschow waren damit unerwarteter Weise noch nicht am Ziel. Das ZK-Plenum wählte nämlich nicht ihren Kandidaten Imre Nagy zum Nachfolger Rakosis, sondern den nach Rakosi meistgehaßten Mann, Ernö Gerö. Der mußte, dem Zwang der Umstände gehorchend, auf diesem Plenum zwar erklären: "Wir beabsichtigen, einen Brief an den Bund der Kommunisten zu senden, in dem wir feststellen: 'Wir bedauern tief, was geschehen ist. Wir ziehen unsere Verleumdungen zurück, mit denen wir in der gespannten internationalen Lage die Föderative Volksrepublik Jugoslawien und ihre Leiter bedachten. Wir schlagen vor, Verhandlungen zu beginnen...'"

Aber das konnte an dem Entschluß der beiden, ihn auch den Weg Rakosis gehen zu lassen, nichts ändern. Zunächst erzwangen sie auf dem nächsten ZK-Plenum der PdUW am 18.-21. Juli 1956 eine Erweiterung des ZK und des Politbüros[39] durch Aufnahme von jetzt rehabilitierten Tito-Sympathisanten, - zu denen auch Kadar gehörte -, womit die bisherige Mehrheit der Anti-Revisionisten in beiden Parteigremien gebrochen war. Und dann gingen sie gemeinsam an die Vorbereitung des letzten Schrittes, des Sturzes Gerös und der Rückkehr Imre Nagys in die Führungspositionen in Partei und Staat. Vom 19. bis zum 27. September verbrachte Chrustschow seinen "Urlaub" in Jugoslawien, am 25. September war er Gast Titos auf der Insel Brioni. Am 28. September revanchierte sich Chrustschow als Gastgeber für Tito auf der Krim. Sie bereiteten sich beide auf die Verhandlungen mit Gerö vor, die dort am 2. Oktober 1956 stattfanden. Worum es bei diesen Gesprächen in Jugoslawien und auf der Krim ging, das hat Tito in einer Rede, die er am 11. November 1956 in Pula hielt, durchblicken lassen. Natürlich konnte er nicht die volle Wahrheit ausbreiten, vor allem durfte die wahre Rolle Chrustschows nicht offen dargelegt werden. Aber es wird dennoch deutlich genug, daß bei diesen Gesprächen darüber beraten wurde, wer in den anderen sozialistischen Ländern tragbar sei und wer - vor allem in Ungarn - auf jeden Fall weg müsse.

Natürlich konnte gerade Tito, der immer jede Kritik aus anderen Parteien an seiner Politik als "Einmischung" in die inneren Angelegenheiten seines Landes scharf zurückgewiesen hatte, das nicht offen zugeben. Deshalb formulierte er: "Als dort - in Ungarn - die Unzufriedenheit auch in den Reihen der Kommunisten immer stärker auszubrechen begann, und als sie forderten, Rakosi solle gehen, da ... waren die sowjetischen Genossen damit einverstanden, ihn abzusetzen. Aber sie machten den Fehler, nicht zuzulassen, daß auch Gerö und die sonstigen Anhänger Rakosis ... abgesetzt würden." Es ging also eingestandenermaßen um die Erzwingung der Absetzung Gerös von außen! Offenbar hatte es um diese Zeit in der sowjetischen Führung auch noch ernsthaften Widerstand gegen Titos und Chrustschows Forderungen gegeben, denn Tito sagte in der gleichen Rede: "Aber wir haben das nicht so tragisch genommen, denn wir haben gesehen, daß das nicht die Haltung der gesamten Sowjetführung ist, sondern nur eines Teils. ... Wir haben gesehen, daß diese Haltung von den Leuten aufgezwungen wurde, die ziemlich stark auf den Stalinschen Positionen standen und auch heute noch immer stehen, daß es aber noch immer die Möglichkeit gibt, daß in der Führung der Sowjetunion in einer inneren Evolution die Elemente siegen, die für eine kraftvollere und schnellere Entwicklung in Richtung auf eine Demokratisierung sind... Aus gewissen Anzeichen, aber auch aus den Gesprächen haben wir gesehen, daß diese Elemente nicht schwach, sondern stark sind."[40] Um endlich in Ungarn ans Ziel - die Vertreibung Gerös von der Parteispitze und zugleich Hegedüs als Ministerpräsidenten - zu gelangen, griff man nun zu dem Mittel, das bereits in den Planungen Rajks als äußerstes Mittel vorgesehen war - zur Entfesselung des bewaffneten Aufstandes.

In Polen und Ungarn hatte die vom XX. Parteitag der KPdSU ausgelöste "Entstalinisierungs-" und Rehabilitierungswelle im Laufe des Jahres 1956 antikommunistische und nationalistische Kräfte innerhalb und außerhalb der Partei zu immer offeneren Vorstößen ermuntert. In Ungarn begannen, inszeniert von Intellektuellen-Kreisen, die sich ja im sogenannten "Petöfi-Klub" ihr Zentrum geschaffen hatten, am 21. Oktober 1956 Studentenunruhen, denen sich auch Arbeiterdemonstrationen anschlossen, vor allem aber antikommunistischer Mob. Die Unruhen wurden zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei, zum bewaffneten Aufstand und zur Jagd auf und Lynchmorden an Kommunisten, Staats- und Parteifunktionären eskaliert. Damit waren die Verhältnisse geschaffen, die ermöglichten, die schon im Rajk-Prozeß enthüllten Zielsetzungen im stufenweisen Vorangehen zu verwirklichen.

Die erste Stufe war die Umbildung der Regierung am 24. Oktober 1956: Imre Nagy wurde zum Ministerpräsidenten ernannt, der bisherige Ministerpräsident Hegedüs zu seinem Stellvertreter degradiert. Am 25. Oktober wurde Ernö Gerö vom ZK der Partei der Ungarischen Werktätigen abgesetzt und Janos Kadar zum neuen 1. Sekretär gewählt. Der Aufstand hatte das erste von den Nagy-Leuten anvisierte Ziel erreicht: die Eroberung der Führung in Partei und Staat. Aber das ungehinderte Wüten des weißen Terrors gefährdete die Durchführung des Stufenplanes des allmählichen, "legalen" Übergangs zur bürgerlichen Republik, beschwor die Gefahr eines radikalen "Rückschlages", gestützt auf die Sowjet-Truppen im Lande, herauf. Deshalb verhängte die neue Regierung nun den Ausnahmezustand und rief sogar die Sowjettruppen zu Hilfe zur "Wiederherstellung der Ruhe" im Lande. Am 30. Oktober zogen sich dann die Sowjettruppen auf die Forderung Imre Nagys hin aus Budapest wieder zurück. Am nächsten Tage, am 31. Oktober, nachdem schon mehrere Stufen bis zur fast völligen Wiederherstellung eines bürgerlichen Ungarn bewältigt worden waren, hielt Nady vor dem auf dem Parlamentsplatz versammelten Volk eine Rede, in der er ausführte: "Wir haben die Bande Rakosi-Gerö vertrieben. Diese Bande hat versucht, mich zu beschmutzen; sie hat erklärt, ich hätte die sowjetische Intervention verlangt. Das ist falsch. Im Gegenteil: Ich war es, der den sofortigen Abzug der sowjetischen Truppen verlangt hat. Heute beginnt die Konferenz über die Abschaffung des Warschauer Paktes und über den Abzug der Russen aus unserem Lande." Vor Journalisten erklärte er dann danach: "Wir haben die Möglichkeit, den Warschauer Pakt auszulöschen. Es kann sein, daß Ungarn zu einem neutralen Kern in Mitteleuropa wird. Wir müssen uns auf die materielle Hilfe des Auslandes stützen."[41] Kennen wir diese Melodie nicht schon aus den Aussagen Szönyis?

Aber wir haben vorgegriffen: nach der Eroberung der Führungspositionen in Partei und Regierung am 24. Oktober war erst einmal die nächste, zweite Stufe zu nehmen: Die Bildung einer neuen ungarischen Regierung, der erstmals auch zwei bürgerliche Minister, ehemalige Funktionäre der konterrevolutionären Partei der kleinen Landwirte, angehörten. Das geschah am 27. Oktober. Als eine weitere, dritte Stufe kann die Bildung eines "Sechserkomitees" durch das ZK am 28. Oktober betrachtet werden, dessen Bildung praktisch die Ausschaltung des ZK und der Mitgliedschaft bei der weiteren Festlegung der Politik der Partei bedeutete. Vorsitzender dieses exklusiven Komitees war Janos Kadar, und natürlich gehörte ihm auch Imre Nagy an. Gelegentlich der Gründung des Sechserkomitees äußerte Nagy, es sei nicht wahr, daß das, was sich in Ungarn ereigne, eine Konterrevolution sei. Es sei das vielmehr "eine demokratische Bewegung, die unsere ganze Nation erfaßt hat, um unsere Unabhängigkeit zu sichern." Eine vierte, große Stufe wurde am 30. Oktober mit der Bildung des "engeren Kabinetts" innerhalb der Regierung genommen, denn sie bedeutete den Übergang zu einer bürgerlichen Koalitionsregierung aus Vertretern von vier Parteien: der Partei der Ungarischen Werktätigen, der wieder zugelassenen Partei der kleinen Landwirte, der Nationalen Bauernpartei und der wiedergegründeten Sozialdemokratischen Partei. Kadar erklärte als 1. Sekretär der Partei der Ungarischen Werktätigen aus diesem Anlaß: die Wiederzulassung der bisher verbotenen Parteien und die Abhaltung freier Wahlen bedeute eine "Rückkehr zur Demokratie". "Er forderte die Mitglieder seiner Partei auf, mit dem Freiheitskämpfern zusammenzuarbeiten"[42] - also mit den Henkern seiner Genossen! Noch am 3. November wüteten diese "Freiheitskämpfer" so, daß Radio Budapest sich veranlaßt sah, die Bevölkerung aufzufordern, "mit den summarischen Hinrichtungen aufzuhören" und daran "zu erinnern", "daß niemand ohne vorherige gerichtliche Verurteilung hingerichtet oder ins Gefängnis gesteckt werden dürfe." In der Pressemitteilung heißt es dazu weiter: "Es war berichtet worden, daß von den Aufständischen auf Mitglieder der Sicherheitspolizei und kommunistische Führer Jagd gemacht werde und daß hierbei Personen gelyncht oder eingekerkert wurden."[43]

Nächste Stufe: Am 1. November 1956 gab Nagy bekannt, "daß Ungarn mit sofortiger Wirkung den Warschauer Pakt kündigt und die Neutralität Ungarns proklamiert." Zugleich richtete er ein Schreiben an den Generalsekretär der UNO, in dem er diesem mitteilte, er habe den sowjetischen Botschafter Andropow zu sich gerufen und ihm erklärt, daß die ungarische Regierung den Warschauer Pakt aufkündigt, die Neutralität Ungarns proklamiert und sich an die Vereinten Nationen wendet, um die Hilfe der vier Großmächte zur Verteidigung seiner Neutralität zu erlangen. Er gab gleichzeitig bekannt, daß er selbst das Außenministerium übernehme, "um eine entsprechende Politik hinsichtlich des Warschauer Paktes zu gewährleisten."[44] Damit hatte er nicht nur die Durchführung des Plans seines Vorgängers Rajk, sondern auch dessen Amt als Außenminister übernommen.

Einen Tag später, am 2. November, tagte die Leitung der Partei der Ungarischen Werktätigen und gründete sich - da es ja nun wieder eine legale sozialdemokratische Partei im Lande gab - um; sie nannte sich nunmehr "Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei" (USAP). Ihrem Vorstand gehörten außer Janos Kadar auch Imre Nagy und andere Mitglieder der Führung der bisherigen Partei der Ungarischen Werktätigen an. Danach nahm Kadar in einer Radioansprache eine sehr widersprüchliche Haltung ein. Zum einen bekräftigte er den revisionistischen Grundkurs der Verteufelung der Rakosi-Führung mit den Worten: "Unsere Partei bricht für immer mit den Verbrechen der Vergangenheit und wird gegen alle die Ehre und die Unabhängigkeit Ungarns verteidigen." Das war eine Bekräftigung der Nagy-Erklärung über den Austritt aus dem Warschauer Pakt und über die Neutralität Ungarns. Er fuhr fort: "Die ungarische Jugend" - damit waren die Studenten gemeint, die den Aufstand begannen! - "hat nicht ihr Blut vergossen," - im Kampf gegen die bewaffneten Kräfte der Volksrepublik Ungarn! - "um die Tyrannei von Rakosi durch die Tyrannei einer Gegenrevolution zu ersetzen. Wir haben nicht gekämpft, damit aus den Händen der Arbeiterklasse die Bergwerke und die Fabriken und aus den Händen der Bauernschaft der ihnen zugeteilte Boden wieder genommen werden. Wir wollen nicht wieder in die Sklaverei des alten Regimes der feudalen Herrenklasse fallen." Mit Bezug auf die schon am Vortage durch Radio bekanntgegebene Nachricht, daß neue Einheiten der Sowjetarmee nach Ungarn verlagert worden seien, sagte Kadar, "es bestehe die Gefahr, daß die Intervention einer ausländischen Macht unserem Land das Schicksal Koreas bereitet."[45] Diese insgesamt vieldeutige Erklärung läßt darauf schließen, daß sich Kadar und andere nun auch auf die Möglichkeit einstellen, daß die von ihnen als Regierungsmitglieder mitgetragene Politik Nagys doch noch am Eingreifen der Sowjetunion scheitert und deshalb eine Rückzugsstellung vorbereitet werden mußte. Denn inzwischen hatte, nach der Proklamation des Austritts aus dem Warschauer Pakt, der weiße Terror eine bisher ungekannte Steigerung erfahren. Am 2. November berichtete der Reuter-Korrespondent: "Seit gestern herrscht Menschenjagd in den Straßen von Budapest." Systematisch wurden Menschen "gehetzt, gejagt und wie Hunde erschlagen, an Laternen und Balkons aufgehängt. Szenen, die an die Wiederkehr der "Weißen" in Ungarn von 1919 erinnern, spielen sich im ganzen Lande ab."[46]

Nie in meinem Leben werde ich diese Tage anfangs November 1956 vergessen, in denen ich zusammen mit meinen Genossen und Kollegen Tag für Tag im Radio mit Entsetzen und ungläubigem Zorn die Schreckensnachrichten über die Kommunistenjagd und die Mordorgien  der weißen Banden in Budapest verfolgte und wir uns immer wieder fragten: Wie ist es nur möglich, daß dies alles geschehen kann, obwohl die Panzer der Roten Armee im Lande stehen? Wie kann man sich das früher ganz und gar Unmögliche erklären, daß die Armee der Sowjetunion Gewehr bei Fuß zusieht, wie Kommunisten von weißen Banditen gelyncht und aufgehängt werden? Wann werden sie denn dem endlich Einhalt gebieten? Am 4. November 1956 - unverständlich spät! - war es endlich so weit: Die Sowjetarmee griff ein und zerschlug alle Hoffnungen der Nagy und ihrer Hintermänner in Belgrad, Washington und Bonn und wo sonst noch immer. Offenbar in Absprache mit sowjetischen Stellen hatte Janos Kadar am gleichen 4. November sich von Nagy abgesetzt und von Szolnok aus eine "revolutionäre Gegenregierung" ausgerufen, der er als Ministerpräsident vorstand.[47]

Kurt Gossweiler,
Berlin

KKE zum Charakter der Partei

Kommunistische Partei Griechenlands (KKE)

Über die Revolution und die revolutionäre Macht – die Kommunistische Partei: klassenspezifisch und internationalistisch

Die Kommunistische Partei ist die Avantgarde der Arbeiterklasse, ihr fortschrittlichster Teil. Dies stellt die fundamentalste Charakteristik der „Partei Neuen Typs“ dar, die, nach der Gründung früherer Arbeiterorganisationen inklusive der Internationalen, 1903 im zaristischen Russland gegründet wurde. Die Entstehung der Kommunistischen Partei war kein ausschließlich russisches Phänomen. Sie war das Produkt der sozioökonomischen Entwicklung des Kapitalismus, geboren aus der Notwendigkeit heraus, dass die Arbeiterklasse ihre eigene Klassenpartei braucht. Diese Notwendigkeit wurde in den theoretischen Formulierungen von Marx und Engels vorausgesehen. Die Gründer des wissenschaftlichen Sozialismus analysierten auf wissenschaftliche Art und Weise die historischen Gesetze und Grenzen des Kapitalismus, zeigten die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution und bestimmten grundsätzlich die Rolle der Arbeiterklasse in diesem Prozess.

Die Identität der Kommunistischen Partei als dem bewußtesten Teil der Arbeiterklasse schließt ihre Fähigkeit nicht aus, sondern qualifiziert sie ganz besonders dazu, gleichzeitig die Interessen aller arbeitenden Menschen auszudrücken und Bündnisse zu schließen. Alle Mitglieder der kommunistischen Parteien kämpfen für den Sozialismus, sind begeistert von der wissenschaftlichen Theorie des Sozialismus und verteidigen sie. Die organisatorischen Grundregeln, welche die Entstehung und die Tätigkeit der Partei führen, die Art und Weise und der Ort, wo sie ihre Parteiorganisationen aufbaut, die Kriterien, wie sie ihre Klassenzusammensetzung regeln, werden durch die Klasseninteressen bestimmt, die sie ausdrückt.

Bourgeoisideologie und -propaganda konzentrierten und konzentrieren ihre Angriffe auf den Charakter der Kommunistischen Partei, denn ihr bourgeoiser Klasseninstinkt stellt sich als extrem korrekt und präzise heraus. Ebenso verfahren die Opportunisten und Revisionisten beider Spielarten, sowohl von rechts, als auch von ‚links’. Wenn wir die gesamte geschichtliche Periode der stürmischen Diskussionen über den Charakter der Partei und ihrer Prinzipien studieren, müssen wir anerkennen, dass die Kommunistischen Parteien aus dem kompromisslosen Kampf gegen den Opportunismus in der Sozialdemokratie entstanden sind. Ohne diesen Kampf wäre es unmöglich gewesen, eine ‚Partei neuen Typs’ zu kreieren und zwar in genau dem Moment, in dem die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution heranreifte.

Auch heute konzentrieren die bourgeoisen Ideologen und die Opportunisten, direkt oder indirekt, in einem Hauptangriff oder auf Umwegen, ihre Angriffe aufn den Charakter der Partei, indem sie die Existenz der Arbeiterklasse bzw. ihre Fähigkeit zu revolutionärem Handeln grundsätzlich in Frage stellen.

Das falsche Argument, dass Marx die Arbeiterklasse als jene identifizierte, die Handarbeit verrichten und wenig Bildung haben, wird ständig wiederholt. Damit sagt dieses ‚Argument’ aus, dass die Arbeiterklasse nur aus dem Industrieproletariat besteht oder dass die Identität der Arbeiterklasse durch die Höhe ihres Einkommens, den Grad ihrer Verelendung und sozialer Ausgrenzung bestimmt wird. Sie haben großes Interesse daran, die objektiven Kriterien, die die Arbeiterklasse und ihre historische Rolle im Verhältnis zum Besitz und zur Produktion, zum Gebrauch der Arbeitskraft als Ware und zur Produktion des Mehrwerts und seiner Realisierung definieren, zu verspotten. Sie unterstützen die irrationale Theorie, heute viel stärker als in der Vergangenheit, dass der Klassenstandpunkt durch das bestimmt ist, woran eine Person, auf der Ebene politischer Besinnung und Verhalten, glaubt.

Unzählige Male haben wir gehört und gelesen, dass heute keine Arbeiterklasse mehr existiere, dass keine Arbeiterbewegung existiere, die die Macht übernehmen könne, weil die arbeitende Klasse nicht für den Sozialismus, sondern für Luxusgüter wie ein zweites Auto oder zweites Haus kämpft. Die „Theorie“ einer rein konsumorientierten Arbeiterklasse ist für die Bourgeoisie und ihr System und für Opportunisten aller Bandbreiten äußerst vorteilhaft und das deswegen, weil sie dazu verwendet werden kann, den Kampf der Arbeiterklasse auf einem möglichst niedrige politischen Niveau der reinen Umverteilung zu halten und auf eine bloße Verbesserung der Bedingungen des Verkaufs der Arbeitskraft zu begrenzen.

Die Partei studiert und verfolgt gemeinsam die Entwicklung der Klassenzusammensetzung der Gesellschaft unter Benutzung objektiver Daten und auf der Basis der vereinigten leninistischen Kriterien der Zugehörigkeit zu einer Klasse oder einer anderen. Sie verfolgt den Prozess, in der andere Bevölkerungsschichten sich der Arbeiterklasse annähern.

Den Charakter der Partei bestimmt ihre organisatorische Politik, die Prinzipien des Parteiaufbaus, die Verteilung ihrer Kräfte und Kader. Der 16. und der 17. Parteitag der Kommunistischen Partei Griechenlands hatten ihren Hauptpunkt auf die Konzentration ihrer Kräfte an der Hauptfront des Kampfes, also der Arbeiterbewegung, betont. Es gab konstruktive Kritik aus diesen Parteiorganen, weil unsere Schritte nach vorn nicht ausreichend waren und das heute nötige Spektrum nicht abdeckten. Die objektiven Schwierigkeiten, die neuen Probleme können kein Alibi dafür sein.

Dieses Thema wird das Niveau unserer Orientierung bestimmen. Wir sollten beurteilt werden danach, wie gut wir unser Wort in die Taten umsetzen und wie gut sie mit der historischen Rolle der Arbeiterklasse übereinstimmen. Wir beweisen, dass wir fähig sind, unsere organisatorischen Maßnamen in Einklang mit unseren Position zu entwickeln. Und: es kann kein stabiles Wachstum der sozialen Bewegungen ohne einen Aufschwung in der Arbeiterbewegung geben, ohne dass die Arbeiterbewegung die Initiative ergreift.

Von dem Moment an, als die marxistische Theorie in der Geschichte erschien und ihre Ideen unter der Arbeiterklasse mit der Gründung ihrer ersten politischen Parteien propagiert wurden, wurde der Internationalismus ein fundamentaler Grundsatz der Arbeiterbewegung. Das stammt aus der Erkenntnis, dass es im Interesse der Arbeiterklasse aller Länder liegt, ihre Bourgeoisie zu stürzen. Der Satz ‚Proletarier aller Länder vereinigt euch’, der von Marx und Engels entwickelt wurde, ist auch heute noch zeitgemäß und unsterblich. In der heutigen Zeit, in der die kapitalistische Internationalisierung überragende Formen im Bereich der Ökonomie angenommen hat und es internationale und regionale zwischenstaatliche Allianzen gibt, bekommt dieser Satz eine noch größere Bedeutung.

Seine rückhaltlose Annahme und Anwendung durch die Kommunistische Partei ist ein untrennbarer Grundbaustein ihrer Identität. Der Internationalismus der Arbeiterklasse, also der proletarische Internationalismus, geht über die eigenständige Bedeutung jeder einzelnen kommunistischen Partei hinaus, denn erst er stellt sicher, dass sie in Einklang mit den anderen kommunistischen Parteien der Welt für die internationale Einheit der Arbeiterbewegung arbeitet. Er stellt eine wesentliche Vorgabe für die Entwicklung internationalistischer Aktionen für alle Volksfronten, für alle Allianzen aller Antiimperialisten dar.

Der Imperialismus bekämpft den proletarischen Internationalismus mit allen verfügbaren Mitteln. Er wäre dumm, wenn er es nicht täte. Das Hauptproblem heute ist aber nicht, was der Imperialismus macht, sondern wie der Zustand und die Perspektiven der kommunistischen Bewegung sind. Die Unterschätzung, die Negierung und, was noch gravierender ist, die Ablehnung internationalistischer Aktionen der Arbeiterklasse stellen heute eine der offenkundigsten Symptome der fehlenden ideologischen Einheit der Kommunistischen Bewegung dar und sind Symptom ihrer Krise. Wenn wir uns diesem Problem nicht stellen, könne wir der fortschreitenden Krise nicht begegnen. Was muss also getan werden?

Unsere Partei hat ihre aktuelle Position zur Notwendigkeit der Koordination und der Aktion im antiimperialistischen und antimonopolistischen Kampf, zur Förderung der Bündnispolitik, formuliert. Es ist ersichtlich, dass dies nicht ausreicht. Die kommunistische Bewegung soll nicht nur die sichtbaren, skandalösen Folgen imperialistischer Politik behandeln, die allgemein als unmittelbare ‚große Probleme’ – Themen wie Armut, Arbeitslosigkeit, Krieg, Staatsterror etc. – dargestellt werden. Die kommunistische Bewegung muss diese sichtbaren Mißstände auf ihre systembedingten Ursachen zurückführen, handelt es sich doch um nichts weiter als um offene Erscheinungsformen der imperialistischen Strategie. Die kapitalistische Umstrukturierungspolitik ist nichts weiter als eine Fortführung der bekannten Politik reaktionärer Kräfte, die eine innere Unvermeidlichkeit des kapitalistischen Systems darstellt.

Der Kampf um antiimperialistische und antimonopolistische Ziele kann natürlich dafür hilfreich sein, die Wechselbeziehungen der Kräfte zu verändern, also ein antikapitalistisches Bewusstsein zu fördern. Dabei muss aber eine internationaler Stufenleiter erreicht werden, muss ein breites Spektrum an Volksfronten, Bewegungen und politischen Kräften mit ähnlichen Perspektiven und Orientierungen zusammengeführt werden. Unter bestimmten Bedingungen kann dieser Kampf am Übergang zum Sozialismus mitwirken. Das ist ein Thema, dass die Kommunistischen Parteien heute und nicht in weiter Zukunft angehen müssen, unabhängig davon, in welchem Land oder Ländern er zuerst fällig ist: die Rechtzeitigkeit der sozialistischen Revolution in den Vordergrund zu stellen.

Von wesentlicher Wichtigkeit für die kommunistische Bewegung ist die Analyse der Ursache für den Sieg der Konterrevolution in den sozialistischen Staaten, eine Analyse, die dafür unverzichtbar ist, sich die wichtigsten Lehren aus der Geschichte zu vergegenwärtigen und die dabei helfen kann, die kommunistische Bewegung weiter zu entwickeln. Dieses Thema steht in engem Zusammenhang mit den Erfahrungen, die aus den aktuellen Bestrebungen, den Sozialismus heute aufzubauen, zu gewinnen sind. Diese Fragen können nicht durch regionale und internationale Treffen, die sich selbst mit spezifischen Aspekten befassen, die nur mäßiges Interesse haben, oder, sogar noch mehr, durch Massenmobilisierungen, Treffen, Konferenzen etc. breiterer Kräfte, nach dem Prinzip ‚alle zu vereinen’ beantwortet werden. Sie müssen das Objekt eines systematischen, multidimensionalen Studiums und ebensolcher Diskussion innerhalb der kommunistischen Parteien sein, die ähnliche Gedanken in dieser Richtung haben.

Eine Reihe kommunistischer Parteien vertreten die Meinung, dass es unter den jetzigen Bedingungen einer systematischen Zusammenarbeit der Kommunistischen Parteien nicht bedarf. Stattdessen wird der einfache Austausch an Meinungen und Erfahrungen und die Koordination vereinzelter gemeinsamer Aktionen zu einigen bestimmten Themen als ausreichend empfunden. Wir meinen, dass auch ein Erfahrungsaustausch richtig ist, dass dieser aber sekundär und unzureichend ist verglichen mit dem erstrangigen und fundamentalen Ziel: einer Ausarbeitung einer gemeinsamen Strategie gegen den Imperialismus und auf dem Weg zum Sozialismus.

Dieses Thema ist heute mehr von Nöten als je in der Vergangenheit.

Alle kapitalistischen Staaten, unabhängig von der Entwicklung ihrer Ökonomie, unabhängig des Vorkommens vorkapitalistischer Überbleibsel, unabhängig davon, ob sie an regionalen zwischenstaatlichen imperialistischen Unionen teilnehmen oder nicht, sind auf die eine oder andere Weise vom internationalen imperialistischen System erfasst. Der Imperialismus hat, trotz zwischenimperialistischer Widersprüche, eine gemeinsame Strategie.

Mit dem Ziel vor Augen, die Krise in der Kommunistischen Bewegung zu überwinden, müssen wir eine fundierte Kritik solcher Auffassungen und Praktiken entwickeln, die den Weg einer Umschichtung und Wiedergeburt unserer Bewegung schwächen. Eine Partei, die andere kritisiert, sollte selbst offen für Kritik durch andere Partein sein. Es soll kein Monopol der Kritik geben.

Die Kommunistische Partei Griechenlands beschäftigt sich mit offener und ehrlicher Kritik, innerhalb der Grenzen genossenschaftlicher Diskussionen, besonders, wenn diese provoziert wurden. Auf jeden Fall sind wir in unseren Kritiken sehr vorsichtig, um Munition für unseren Feind zu vermeiden. Aber wir formulieren scharfe Positionen gegenüber jenen Kommunistischen Parteien und ihren Anhängern, die die Initiative zur Gründung der ‚Europäischen Linkspartei’ in die Hand nahmen und werden dies auch weiter tun. Diese Gründung basierte auf den Direktiven der Europäischen Union bezüglich der programmatischen Richtlinien und organisatorischen Prinzipien der so genannten ‚Europäischen Parteien’. Allerdings beschränkt sich das Problem nicht nur darauf. Jeden Tag wird es offensichtlicher, dass die Gründung der ‚Europäischen Linkspartei’ nicht nur bestimmte ideologische Orientierungen ausdrückt und den kapitalistischen Vereinheitlichungsprozess akzeptiert, sondern auch ein bestimmtes Ziel vorlegt: ein trennendes Hindernis, nicht nur für die Arbeiterbewegung, sondern für die antiimperialistische und antimonopolistische Bewegung überhaupt, aufzurichten.

Viel schlimmer noch, spielt sie eine interventionistische Rolle im Innern der kommunistischen Parteien, indem sie Druck ausübt mit der Anweisung, in die ELP einzutreten. Die Führung der ELP geht sogar so weit, von neu in ihre Reihen eintretenden Perteien eine Verdammung des so genannten Stalinismus zu verlangen, ein Begriff, der übrigends für alle Gruppen eine Verwendung findet, mit denen sie nicht einverstanden ist. Ihr konstantes Manöver ist, der Reihe nach neue Kräfte in ihrer Partei zusammenzufassen, die über Nacht ihre Positionen ändern mussten, um die Vorgabe zu erzielen, vom Europäischen Parlament anerkannt zu werden. Es ist kein Zufall, dass die Gründung der ELP eine Spaltung innerhalb jener Parteien verursacht hat, die eine führende Rolle spielten. Es herrscht keine einstimmige Übereinkunft innerhalb der Basis dieser Parteien. Dies ist natürlich eine interne Angelegenheit dieser Parteien, aber aus unserer Sicht können wir bei solchen Entscheidungen nicht ruhig bleiben, besonders, wenn diese Kräfte so tun, als seien sie gegen den Aufbau eines Führungszentrums und für die Eigenständigkeit der Parteien. Wir sollten das Kind beim Namen nennen. Sie sind nicht gegen ein Führungszentrum – dies wollen sie ja selbst sein – sondern sie sind gegen ein kommunistisches Führungszentrum.

Ein sehr interessantes Diskussionsthema ist, welche Einstellung Kommunisten zu Bewegungen und Strukturen, die international in Erscheinung treten, einnehmen sollen, wie z. B. zum ‚Sozialforum’. Angefangen mit einer massiven militanten Mobilisierung in Seattle, fanden viele internationale Mobilisierungen gegen die Entscheidungen imperialistischer Unionen, Krieg, Armut und Arbeitslosigkeit in Europa, Lateinamerika und Südostasien statt. Von Anfang an war klar, dass diese Mobilisierungen ein Ausdruck der Unzufriedenheit und des Protestes waren. Der Massencharakter und die Orientierung dieser Kundgebungen waren durch die Beteiligung gewerkschaftlich organisierter Arbeiter und durch die Rolle der Gewerkschaftsbewegung bestimmt. Eine Anzahl unterschiedlicher Organisationen, die radikale Bewegungen ausdrückten, nahmen an diesen Kundgebungen ebenfalls teil. Das Ausmaß der Kundgebungen war nicht begrenzt, dennoch aber auf die oben genannten Kräfte beschränkt. Von Anfang an und sogar mit der Zeit verstärkt, tauchten nicht nur unterschiedliche, sondern auch entgegengesetzte, sogar reaktionäre, nationalistische und antikommunistische Tendenzen auf.

Wir begrüßten diese Kundgebungen ungeachtet ihrer vagen Orientierung, wir unterstrichen die Differenzen zu den unterschiedlichen Strömungen, die dort präsent waren. Wir sahen den Kampf zwischen den verschiedenen Strömungen als einen harten an und das Ergebnis wäre entweder eine radikale, antiimperialistische, antimonopolistische Bewegung, die entstehen könnte, oder versöhnlerische Kräfte würden die Oberhand gewinnen und würden die aufsteigende Bewegung rückgängig machen.

Das ist der Grund, weshalb wir mit den verschiedenen, oft spontanen Vorschlägen, diese vielfarbige Bewegung zu einer vereinten Struktur, zu einem Führungszentrum zusammenzuführen, nicht beistimmen. Wie es in solchen Fällen oft passiert, nehmen nicht nur unerfahrene Volksfronten, solche, die die politische Konsequenz ihres Handelns noch nicht verifiziert haben, daran teil. Seit der ersten Bewegung, als diese einen bestimmten Grad der Beachtung durch die Arbeiterklasse erfahren hat, nehmen sozialdemokratische Kräfte, aber auch Regierungsorganisationen, Opportunisten und antikommunistische Kräfte teil, die absichtlich in diese Bewegung eindrangen, mit dem geplanten Ziel, diese vage Bewegung nach ihren eigenen Interessen zu führen und umzuformen. Ihre Abneigung gegenüber der Arbeiterbewegung und Kommunistischen Parteien wurde sofort offensichtlich. Sie wollten, dass die arbeitenden Menschen innerhalb der Zielvorgabe kämpfen, die sie bestimmen.

Wir nahmen an vielen Kundgebungen, unterschiedlichen Solidaritätsereignissen und an unterschiedlichen Treffen, die von kommunistischen Parteien organisiert wurden, teil, wir unterstützen so gut und so oft wir konnten radikale Kräfte. Aber wir weigerten uns von Anfang an in solchen Strukturen wie dem ‚Sozialforum’ teilzunehmen, nicht, weil dort unterschiedliche Kräfte teilnahmen, sondern weil es Versuche gab, die Bewegung zu assimilieren und die Aktivitäten der ‚Forumsbewegung’ schon frühzu kanalisierte. Es gibt hierzu eine ganze Reihe an Beweisen, die wir detailliert in unseren Parteizeitungen und theoretischen Organen veröffentlicht haben. An der Spitze der ‚Sozialforumsbewegung’ wurden intensive Kämpfe um die Kontrolle ausgefochten. Es ist offensichtlich, dass verschiedene Regierungen mächtiger kapitalistischer Staaten eifrig unterschiedliche Bewegungen als Unterstützung ihres eigenen Wettbewerbs mit den USA oder anderen imperialistischen Zentren ausnutzen.

Aus diesen Bewegungen, die sich selbst durch die systematische Politik der Assimilation und Kontrolle in ihren eigenen Schranken eingegrenzt haben, kann eine besondere Erfahrung gewonnen werden. Verschiedene kommunistische Parteien glauben, dass eine Teilnahme an diesen Bewegungen ein wichtiges Unterfangen sein kann und dass man diese von Innen in eine positive Richtung lenken kööne. Unsere Erfahrungen, besonders in Europa, zeigen genau das Gegenteil. Natürlich können wir nur über diese bestimmte Situation sprechen. Eine Einflussnahme von Innen kann in manchen Bewegung von Vorteil sein, dann ist eine Teilnahme hilfreich. Fakt ist, dass es durchaus positive Erfahrungen in dieser Richtung aus der Vergangenheit gibt. In diesem Fall, also bei den „Sozialforen“, wurde die Teilnahme aber zu einer Stärkung jener Führungskräfte, die darauf abzielten, solche kommunistische Aktivitäten zu kanalisieren und zu assimilieren. Viel mehr noch, wenn diese politischen Kräfte von verschiedenen Regierungen unterstützt werden, ist es augenscheinlich, dass diese sich nicht wünschen, eine Bewegung zu entwickeln, die sich gegen imperialistische Interessen richtet. Beurteilt man die Zusammensetzung des ‚Griechischen Sozialforums’, so glauben wir, haben wir das Recht zu sagen, dass solch eine Bewegung von dem Moment an, in dem politische Kräfte und Gewerkschaftsführungen, die über Jahre hinweg den Weg für kapitalistische Restrukturierungspolitik öffneten und förderten, die Bewegung bestimmten, keinerlei Autorität haben kann. Wir können davon ausgehen, dass wir es mit Kräften zu tun haben, die internationalistische Handlungen mit vagen und fragwürdigen Parolen ausnutzen, um einen Profit im Innern ihrer Länder haben zu können.

Es gibt unterschiedliche Bewegungen und sie entwickeln sich in vielen Ländern. Neue Organisationen und Initiativen tauchen auf, Klassenkämpfe werden ausgetragen, Solidaritätskundgebungen finden statt. Die Hauptsache ist, zukunftsunfähige Entscheidungen zu vermeiden, die ein Hindernis für die Dynamik der Bewegung sind und stattdessen solche Initiativen zu unterstützen, die in die entgegengesetzte Richtung laufen, selbst wenn diese nur auf spontane Weise funktionsfähig sind. Das Kriterium einer Teilnahme soll nicht sein, dass wir in allen Punkten übereinstimmen, sondern dass wir dazu beitragen, die einzelnen Kräfte in eine militante, radikale Richtung zu führen und aus den gemeinsamen Erfahrungen mit ihnen lernen. Es macht einen großen Unterschied, ob wir eine Menge unterschiedlicher Tendenzen in einer Bewegung haben, die grade ihre ersten Schritte macht, oder ob wir uns in einer ‚Bewegung’ einengen, die schon längst einverleibt wurde. Es ist natürlich richtig, dass es in der ‚Forumsbewegung’ militante teilnehmende Kräfte und Individuen gibt, vor allem in den Regionen, wo die Bewegung im Aufstieg ist. Dies ist aber in Europa nicht der Fall. Wir glauben, dass dieses Thema das Objekt einer solidarischen Kritik und des Austausches von Erfahrungen sein soll. Es setzt voraus, dass wir die Entwicklung einer starken, massiven und richtig orientierten internationalen Front, die das Bündnis antiimperialistischer und antimonopolistischer Kräfte ausdrückt, fördern. Das ist die Aufgabe und Verantwortung aller Kommunisten heute.

KKE,
Griechenland

(Dieser Beitrag von Nikos PAPAKONSTANTINOU, Mitglied der ideologischen Abteilung der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) und dem Zentrum der marxistischen Forschung (Athen) gehalten auf der 3. Konferenz „Das Werk von Karl Marx und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“; Havanna, Kuba, 3. – 6. Mai 2006, wurde von einem Teilnehmer unseres Fernstudiums übersetzt und von der Redaktion überarbeitet; d.Red.)

Zur politischen Ökonomie des Sozialismus

Hermann Jacobs:

Übergangsperiode mit offenem Ausgang?

Der eigentliche Anlass, der E. Rosznyai bewegt eine Änderung in die bisherige Form der Periodenbestimmung beim Aufbau der kommunistischen Gesellschaft einzuführen, ist wohl die, die Möglichkeit bzw. Wirklichkeit einer Konterrevolution mit in sie aufzunehmen. Angesichts der Realität einer solchen in die bürgerliche Gesellschaft zurückführenden Entwicklung des Sozialismus ist diese Überlegung wohl verständlich und ihre Erklärung unumgänglich.

Bisher war eine solche Überlegung nicht notwendig, weil es keine bürgerliche Restauration in einmal existierenden sozialistischen Gesellschaften gab. Restauration war höchstens eine Möglichkeit ganz am Anfang, im unmittelbaren Gefolge einer politischen sozialistischen Revolution. Und die Restauration war eine durch offen bürgerliche Kräfte herbeigeführte. Es waren einfach die soeben geschlagenen (oder eben nicht geschlagenen) bürgerlichen Klassen, die sich ihre Macht zurückerobern wollten oder zurückeroberten. Aber wir gingen ja von der immer größer werdenden Unmöglichkeit eines solchen Rückschlags aus in dem Maße, wie sich neue, sozialistisch-kommunistische gesellschaftliche Verhältnisse erfolgreich durchsetzten.

Jetzt aber stellt sich heraus, dass auch die neuen, ersten Verhältnisse des Sozialismus/Kommunismus offensichtlich mit einem Widerspruch behaftet sind solcher Art, dass es zu einer bürgerlichen Restauration kommen kann und dass sich Kräfte dafür finden, die nicht mehr in einem unmittelbaren Sinne aus dem Bürgertum, sondern aus der arbeitenden Bevölkerung selbst, also aus dem eigentlichen Träger der Revolution stammen.

Ist die arbeitende Klasse janusköpfig?

E. Rosznyai antwortet bejahend. Er meint, eine erste Periode (nicht identisch mit der bisher erste Periode des Kommunismus genannten) nach der politischen Form der Revolution erkennen zu können, er nennt sie "Übergangsperiode", in der die weitere Entwicklung der Gesellschaft sich noch einmal als offen zeigt; sie ist nicht eindeutig nur auf den Sozialismus/Kommunismus gerichtet; also eine erste Periode gewissermaßen vor der ersten Periode (nach bisheriger Auffassung):

"Die Übergangsperiode kann sich gleichermaßen in Richtung des Sozialismus oder des Kapitalismus entwickeln. In welche Richtung sie sich entwickeln wird, das kann nichts anderes entscheiden als der Klassenkampf. ... Ich denke, für unsere Theorie ist an dieser Stelle wichtig festzuhalten, dass die kleinbürgerlichen Tendenzen nicht einfach nur 'Muttermale', nicht bloße Überbleibsel der Vergangenheit oder Folgen der kapitalistischen Umgebung sind, sondern dass sie auch direkte Produkte der wirtschaftlichen Struktur der Übergangsperiode (Hervorhebung von mir, J.) sind. Denn diese Struktur erzeugt gleichzeitig (!, J.) sozialistische und kleinbürgerliche Tendenzen."

Die Antwort ist also an die wirtschaftliche Struktur der Übergangsperiode delegiert. Was ist ihre Eigenart bzw. was macht nun deren Janusköpfigkeit oder doppeltgesellschaftliche Auslegbarkeit? Rosznyai antwortet (im wesentlichen), dass sie mit Formen, Verhältnissen, eben Strukturen der Warenökonomie durchsetzt ist.

"Das Wesentliche jenes Unterschieds, welcher die Übergangszeit zum Sozialismus vom Sozialismus selbst trennt, ... ist, dass während des Überganges die Warenproduktion, der Markt, das Wertgesetz (fort)bestehen und sich ihr Wirkungsbereich in einem gewissen Sinne sogar erweitert".

Das zieht dann logischerweise ein Subjekt hinter sich her. D.h. weil noch immer Warenökonomie, deshalb auch ein soziales Interesse an der Gesellschaft der Warenökonomie, und deren letzte und höchste Stufe müßte die bürgerliche Restauration - oder eine subjektive Interessiertheit an dieser - selbst sein. Eine an sich bürgerliche Klasse müßte nicht vorausgesetzt sein, aber sie würde - so will ich mal folgern - automatisch in der herrschenden Klasse der Revolution, soweit sie mit den genannten Momenten verbunden ist, entstehen, und zwar aufgrund der Strukturen in einer ersten Periode nach der Revolution, soweit es sich noch um solche der Warenökonomie handelt.

Das Neue an Rosznyai ist, dass nicht privates Eigentum, also besonderes Eigentum (Muttermale des Kapitalismus) dem bürgerlichen Interesse vorausgesetzt sein muß, sondern einfach Warenform der Nutzung der Wirtschaft, also auch der Nutzung dieser Formen durch volkseigenes Eigentum.

Aber das wäre dann natürlich ein Klassenkampf in der Klasse, die Klasse der Arbeiter wäre sozial (!) gespalten bzw. spaltbar durch ökonomisches Verhalten. Nimmt sie Strukturen (Momente, Elemente) der Warenökonomie in dieser Periode wahr, entwickelte sie ein gesellschaftliches Interesse, das bis zur bürgerlichen Gesellschaft zurückführt, und nur soweit sie Strukturen der Planwirtschaft, also nicht der Warenökonomie wahrnehmen würde, würde sie die Revolution fortsetzen und würde die Übergangsperiode eindeutig in den Sozialismus/Kommunismus münden.

Etwas merkwürdig vielleicht: Während unter Bedingung des Kapitalismus eine arbeitende Klasse gegen die bürgerliche Produktionsweise entsteht, entsteht unter Bedingung der Übergangsperiode zum Sozialismus (also nach der Revolution) eine arbeitende Klasse für die bürgerliche Produktionsweise, oder jedenfalls teilweise eine solche Schicht in der Arbeiterklasse.

Und eine heikle Situation für die ökonomische Struktur in dieser Periode. Was ordnet man denn nun wem zu?

Ausweg kann logischerweise nur sein, das Volkseigentum von Elementen der Warenökonomie fernzuhalten und sie überhaupt, soweit sie in der Übergangsperiode noch existierten, zu überwinden (möglichst schnell), und zwar durch solche Elemente, die eindeutig kommunistisch, also planwirtschaftlich bestimmt sein würden.

Dass dies E. Rosznyai auch meint, wird klar bei seiner Definition einer solchen Entwicklung der Übergangsperiode, die dann den Sozialismus, die erste Phase des Kommunismus erreicht hat:

"Wenn wir all dies berücksichtigen, kann der Sozialismus (also die Periode nach der laut Rosznyai umstrittenen Übergangsperiode, J.) so definiert werden: eine über den Kapitalismus stehende, auf einer für vollen Überfluß allerdings noch nicht ausreichenden Produktivität beruhende, mit wissenschaftlicher Planung geleitete klassenlose Formation, in der die Produktion mit modernster Technik in einer von Waren- und Geldverhältnissen freien (!, J), einheitlichen, gesamtgesellschaftlichen Eigentumsform vor sich geht, der gesamte gesellschaftliche Lebensverlauf von den arbeitenden Massen kontrolliert wird und die Verteilung von der Leistung der Einzelnen bestimmt wird".

Worauf Rosznyai orientiert, ist ganz klar ausgesprochen: In die Übergangsperiode vor dem Sozialismus, bis zum Sozialismus, fällt ein entschlossener Kampf gegen die Warenökonomie (und deren mögliche Protagonisten), und dass er bis zu einer Entscheidung auch zu führen wäre, kann man daran erkennen, dass die nachfolgende Periode, der Sozialismus, als eine Periode keiner Warenökonomie ("ohne Waren-", "ohne Geldverhältnisse") bestimmt ist.

Rosznyai sagt nicht mehr und nicht weniger, als dass es eine Periode sofort nach der Revolution geben muß, in der es (populär gesprochen) der Warenökonomie an den Kragen geht, und dass die Folge ist, dass eine Definition, die nach bisheriger Theorie erst für die zweite Phase des Kommunismus getroffen worden ist, deshalb schon in die erste Phase des Kommunismus, den Sozialismus vorzuverlegen ist. Nicht erst der Kommunismus, sondern schon der Sozialismus, muß Ökonomie ohne Warenform sein, mit anderen Worten: Der Sozialismus ist bereits der Kommunismus (in dieser Hinsicht keiner Warenformen mehr). Ein viel früher erfolgender Gegensatz zur Warenökonomie, eine viel früher erfolgende Definition einer kommunistischen Periode des Gegensatzes zur Warenökonomie, der Sozialismus als ebenfalls keine Warenökonomie mehr, ist das Neue bei Ervin Rosznyai. Er will, wie eingangs betont, eine konterrevolutionäre Entwicklung im Innern des Kommunismus (von Anfang an) verhindern - und den Gegensatz aus diesen Grunde, weil sie die Potenzen zu einer solchen Umwandlung der Revolution in Konterrevolution in sich erzeugt.

Die bisherige (offizielle, vom bisherigen Kommunismus geprägte) Theorie der Periodisierung des Kommunismus ging davon aus, dass die Warenökonomie eine Fortsetzung mindestens bis in die erste Periode des Kommunismus hinein erlebt, sie keinen Gegensatz erfahren darf (sondern Anerkennung als für den Kommunismus notwendig - aber das könnte ja nun schon Ausdruck des restaurativen Elements sein) und eine Negation oder Überwindung der Warenproduktion erst eine Fragestellung der ferneren Zukunft, im wesentlichen erst in einer zweiten Phase des Kommunismus zur Debatte steht.

Nach der Theorie von Rosznyai handelte es sich hier bereits um eine konterrevolutionäre Theorie.

Wie antwortet nun Kurt Gossweiler auf E. Rosznyai?

Im wesentlichen so, dass man das, was Rosznyai Übergangsperiode vor dem Sozialismus nennt, auch die Anfangsetappe des Sozialismus, den Auftakt der ersten Phase des Kommunismus nennen könnte bzw. diese Definition die richtigere wäre. Gossweiler sieht keinen Sinn darin, eine Periode "der Schwierigkeiten" von der Entwicklung, die dann bis an die Schwelle des Kommunismus heranführt, zu trennen. Es liegt ja auch bei Rosznyai eine Definition mit zwei Seiten vor, ergo kann auch eine Periode mit einem inneren Widerspruch eine Periode im Gesamten sein und müsse nicht in zwei Perioden geteilt werden. So verstehe ich ihn jedenfalls:

"Meine Einwände richten sich nur dagegen, ... nicht den ganzen Abschnitt ... bis zum voll entwickelten Sozialismus, also bis an die Schwelle des Übergangs zur zweiten Phase, als erste, sozialistische Phase zu betrachten. sondern nur den Abschnitt von ... ja, von wann eigentlich, von der Verstaatlichung der entscheidenden Unternehmungen ... und des Beginns der Kollektivierung ... oder erst ab der völligen Liquidierung auch des kleinsten Einzelhandels- und Handwerksbetriebes und der Verwandlung auch des genossenschaftlichen Eigentums in gesamtgesellschaftliches Eigentum".

Und was nun die von Rosznyai aufgeworfene Frage der Warenökonomie betrifft - darum ging es ja -, sagt Gossweiler folgendes (ausgehend von einer Einschätzung Stalins (1928), eine Periode der NÖP würden auch entwickeltere kapitalistische Staaten (als Rußland) durchmachen müssen):

"Für mich ist das sehr überzeugend. Das bedeutet, dass jedes Land nach der proletarischen Revolution mit den Problemen der Warenproduktion, des Marktes, des Geldes und des Wertes zu tun haben wird, und das alles, was sich daraus als Folgen entwickelt, auch die Reproduktion kapitalistischer Beziehungen, Folgen der Muttermale der alten Gesellschaft ist".

Gossweiler geht nicht ganz so weit wie Rosznyai, spricht aber auch davon, dass zu den Folgen (der Probleme, die eine Warenproduktion aufwerfen könnte), "die Reproduktion kapitalistischer Beziehungen" gehören kann (während Rosznyai ja von einer Ambivalenz dieser Übergangszeit in gesellschaftlicher Hinsicht - "sowohl Sozialismus als auch Kapitalismus sind möglich" - ausgeht.) Von einem direkten Kampf gegen die Warenökonomie (Markt, Geld, Wert) spricht Gossweiler nicht. So dass ich den Eindruck habe, ihr Unterschied ist weniger die Frage der Einordnung einer Übergangsperiode (entweder vor oder in den Sozialismus), sondern die Einstellung zur Warenökonomie am Beginn einer gesellschaftlichen Entwicklung zum Kommunismus insgesamt. Aufgeschreckt durch die bürgerliche Restauration reagiert und positioniert sich E. Rosznyai da doch beträchtlich heftiger. Er lehnt wirklich ab, er will einen wirklichen Gegensatz und sieht die erste Periode des Kommunismus, die unmittelbar auf seine Übergangsgesellschaft folgt, bereits frei von Ware, Wert, Markt und Geld. (Während bei Gossweiler eine Integrierung dieser Probleme in den Sozialismus herauskommt, d.h. die Probleme könnten bis an die Schwelle des Übergangs in die zweite Phase heran reichen).

Womit ich zu meinem Problem gegenüber E. Rosznyai kommen möchte. In beiden Positionen (ich betone: beiden) ist die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Es gibt weder von Rosznyai noch von Gossweiler eine Analyse der wirklichen "Ware-Geld-Beziehungen" im ... und nun: Kommunismus, seiner ersten Phase. Wir haben ja in "offen-siv" nichts unversucht gelassen, die wirklichen "Ware-Geld-Beziehungen" des "real existierenden Sozialismus" (Egon Krenz äußerte kürzlich, dies wäre der von der DDR gebrauchte Begriff gewesen, nicht "realer Sozialismus", nicht "Realsozialismus") darzulegen, und wir sind dahin gekommen, dass es doch schon beträchtliche Abstriche von wirklichen (echten) Ware-Geld-Beziehungen gegeben hat. Wenn also Gegensatz, so hat er bereits stattgefunden. Und wäre Gegensatz eine Notwendigkeit des Sozialismus (gleich 1. Periode des Kommunismus), so ist dieser Gegensatz bereits erschienen, gesetzt gewesen. Und, was entscheidend ist, nicht indem Warenformen "abgeschafft" worden sind, sondern indem innerhalb dieser eine Form gefunden worden ist, die ihre Abschaffung bedeutet!  Dass es sich also um eine Realität des Gegensatzes zur Warenökonomie im real existierenden Sozialismus gehandelt hat, erkennt (oder sagt) weder Rosznyai noch Gossweiler. Die realen Beziehungen, die sich des Geldes, der Preise usw. bemächtigt hatten, sind keine Muttermale der alten Gesellschaft mehr, sondern sind Male der neuen!

Also, diese Auffassung vom Sozialismus, wie er bestanden hat, gibt es auch. Und dies wäre dann die dritte Meinung von der Periodisierung des Kommunismus. Handelte es sich um die real existierenden Formen von "Ware" und "Geld" usw. in dieser geschichtlichen Periode, dann könnte von ihnen kein restaurativer Einfluß auf den Sozialismus mehr ausgegangen sein, im Gegenteil, ihr Fortbestehen hätte zum Kommunismus übergeleitet; man hätte den gesellschaftlichen, kommunistischen Gegensatz zum Kapitalismus in ihnen erkennen können. Ich gehe wesentlich auch immer noch davon aus, dass die Theorie des Sozialismus nicht auf der Höhe der Praxis des Sozialismus/Kommunismus stand - und das ist der Grund, warum so wesentliche Teile der sozialistischen Intelligenz mehr zur Reform, als zur Revolution neigen, wir haben eine Schieflage im real existierenden Marxismus, die im wesentlichen auf einer doppelten Theorie für die eine Praxis des Kommunismus beruht.

Es gibt in Wahrheit eine eindeutige Bestimmung für eine echte, wirkliche Warenökonomie (worin denn auch eine Problematik für den Sozialismus gesetzt ist, die über die bloße Eigentumsfrage hinausgeht - an der ja in der Regel der Gegensatz festgemacht ist): Warenökonomie im Sozialismus ist dann gegeben, wenn die Eigenerwirtschaftung der betrieblichen Finanzen - für die einfache und die erweiterte Reproduktion - gegeben ist resp. für die sozialistischen Betriebe (dem Eigentumstitel nach sozialistischen) eingeführt oder wieder eingeführt wird. Dann nämlich ist dieser Gegensatz, von dem Rosznyai spricht, gegeben: Einerseits Kommunismus dem Eigentum nach, andererseits ökonomische Bewegung dem bürgerlichen Prinzip nach - und dann können die Gegensätze im Subjekt kommen ... und kamen sie. (Die Theorien sind ja nur den Praktiken vorausgeschickt worden.) Damit wird dann auch klar, warum diese Debatte aus den Resten des Privateigentums in das Volkseigentum herüberschwappen konnte; Eigenerwirtschaftung wurde ja für das Volkseigentum aufgeworfen, beim (kleinen, auch selbstarbeitenden) Privateigentum ist das von jeher klar. Und aufgeworfen wurde sie, nachdem die Planwirtschaft begonnen hatte, sie fällt also in einen bereits entwickelten Sozialismus, sie ist damit keine Frage einer Übergangsperiode, eines erst politisch entwickelten Kommunismus. Wir werden unbedingt mit der Frage einer bürgerlichen Restauration konfrontiert erst ab einer höheren Entwicklung des Kommunismus - wenn wir in der Theorie nicht aufpassen. Und deshalb staunen wir.

Eine Bestimmung der einfachen und erweiterten Reproduktion ist keine Warenproduktion - selbst wenn sie über die Preis- und Geldform erfolgt[48] -, wenn sie eine Bestimmung durch den Plan, die Planung der Produktion ist; dann nämlich ist sie nicht "selbstständig", sondern eine Bestimmung des gesellschaftlichen Zusammenhangs aller Produzenten/Betriebe der Gesellschaft. Einzelreproduktion ist dann eine Erscheinung, ein Verhältnis der Gesamtreproduktion. Mit der Bestimmung der Reproduktion durch den gesellschaftlichen Plan entsteht ein unmittelbares Recht, aber das ist ein unterschiedliches Recht auf Aneignung, kein allgemeines gleiches! (Allgemeines gleiches Recht brauchen nur die gesellschaftlich arbeitenden Warenproduzenten oder privaten Produzenten, die sozialistischen brauchen ein unmittelbar gesellschaftliches, ein optisch "ungleiches" Recht, denn sie reproduzieren unterschiedlich, d.h. proportional.) Wollte man an die Stelle der Planung die Eigenerwirtschaftung setzen, so braucht man dieses Recht als allgemeines Recht, und das bedarf eines anderen Preissystems als eines Festpreissystems, wie es der real existierende Sozialismus aufwies (und noch einige Bestimmungen dazu, die ich hier nicht nenne). D.h. er brauchte ein Wertpreissystem. (Die Forderung der Reformer nach wertbestimmten Preisen schien dem planwirtschaftlichen Sozialismus zu dienen, ging in Wahrheit aber immer dem Ruf nach Eigenerwirtschaftung der Geldmittel der Betriebe voraus.)

Einen Fehler von Rosznyai sehe ich darin, dass er von der Warenökonomie (oder der "Ware und dem Geld") im Sozialismus ausgeht wie von der originären Ware, dem originären Geld. Als hätte der Sozialismus noch nichts geändert. Aber er hat. Die Bedingung Rosznyais, Gegensatz (Entfernung, Trennung) von der Warenökonomie zu sein und sich schon inmitten einer ersten Periode des diesen Gegensatz brauchenden Kommunismus zu befinden, war erfüllt. So ist die inhaltliche, die qualitative Forderung von Rosznyai zwar richtig, aber seine historische Position, dass er die Überwindung immer noch - und nun verstärkt - einfordert, hinkt der Realität hinterher. Insofern, als die Planwirtschaft bereits als ein Gegensatz zur Warenökonomie bestimmt war (und zwar in Formen, die der Warenökonomie scheinbar entsprachen), bringt es keinen Gewinn, nun eine Periode zu definieren, die den Kampf gegen die Warenökonomie erst aufzunehmen habe. Bleiben wir also bei der Position von Gossweiler - einer Periode des Sozialismus - und orientieren in ihr auf den wirklichen Charakter ihrer "Ware-Geld-Beziehungen", was uns wiederum Rosznyai nähern dürfte.

D.h. ich möchte mich Rosznyai in dem Sinne anschließen, als er an sich den Gegensatz zur Warenökonomie betont, und hier (gehen wir von ihrem Briefwechsel aus) stärker als Gossweiler. Dass er ihn überhaupt herauskehrt ist wichtig und stärkt das kommunistische Bewußtsein. Ich möchte aber hinzufügen, dass das Problem der Warenökonomie in einer sozialistischen Realität nicht an sich mit den Geldverhältnissen gegeben ist (obwohl das Geld natürlich auch Probleme enthält - abstrakte Form des Reichtums), sondern erst mit einer Überführung der Betriebe auf Eigenerwirtschaftung aller Mittel entsteht. Das ist das bürgerliche Eigentumsprinzip, und das würde Individuen in seinen Bann, auch ideologischen und moralischen, ziehen.

Aber wenn wir gerecht sind, war dies bei weiten nicht der Grund der Restauration eines sich bürgerlich gebenden Staatskapitalismus, denn diese kam, ohne dass die Betriebe (in der Sowjetunion, DDR) entsprechend den Forderungen der "Reformsozialisten" auf Eigenerwirtschaftung umgestellt worden waren; wenn also, dann hat sich hier eine politische Absicht über eine ökonomische Absicht gestellt. Oder die politische wurde mit der ökonomischen Absicht verschleiert. (Man glaubte also, sich dem wahren Sozialismus zu nähern.) Nach allem was wir wissen, muß eine auf Eigenerwirtschaftung der geldlichen Mittel beruhende Ökonomie der Betriebe nicht unbedingt eine Konterrevolution sein oder in eine solche münden, sie kann auch eine im politischen Sinne (lange währende) kommunistische Macht ohne Planwirtschaft sein, also in der Tat eine erste Periode nach einer Revolution sein, die sich selbst genügt und Übergang zu nichts ist, jedenfalls zu nichts Höherem, Kommunistischen. Sie stagnierte nur im gesellschaftlichen Sinne (und mit einer Fortsetzung der alten sozialen Kämpfe, siehe China). Sie markiert dann nur einen in die Länge gezogenen Status quo zwischen Kapitalismus und Kommunismus, quasi einen Sozialdemokratismus nach einem solchen Kommunismus, der über seine politische Revolution nicht hinauszugehen entschlossen ist. Ein solcher Kommunismus muß unvermeidlich in den Reformismus ... im "Kommunismus" - zurückfallen. Die Konterrevolution ist da, aber sie ist sozialdemokratischer Natur. Aber das hat auch einmal ein Ende. Denn der allgemeine Arbeiter ist ja in ihr nicht besser gestellt.

In der Marxschen Diktion existiert eine erste Phase des Kommunismus nur für den Übergang in der individuellen Aneignung vom Leistungsprinzip zum Bedarfsprinzip, mit dem der Kommunismus völlig hergestellt ist. Dieser Unterschied allein macht bei ihm eine erste und eine zweite Phase des Kommunismus aus. Das Aneignungsprinzip der Produktion/Betriebe selbst behandelt Marx hier gar nicht. Er sagt nur (Gothaer Programmkritik), dass "innerhalb der auf Gemeingut ... gegründeten Gesellschaft die Produzenten ihre Produkte nicht aus(tauschen); ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft ...". Das ist aber gleichbedeutend mit "keine Warenproduktion".

Wir sehen Marx insoweit bestätigt, als das Geld, die Preise zwar fortbestehen, aber in solchen Formen, dass sie unmöglich Werte/Wertgrößen widerspiegeln können; Festpreise können das nicht! Sie verändern nicht, wenn die Werte verändern, folglich stehen sie außerhalb dieses Inhalts. Die Form ist etwas anders als die Voraussage von Marx, dem inhaltlichen Gegensatz aber ist entsprochen. Wir definieren die erste Periode, mit der der Kommunismus beginnt, deshalb in dieser Frage überhaupt nicht als erste Periode, sondern als Gesellschaftsordnung des Kommunismus. Die so genannte dritte Variante der Periodisierung des Kommunismus definiert den Kommunismus so wie die Entscheidungen fallen. Sie orientiert auf die ersten Elemente, und erhebt nicht erst das letzte Element zum Maß aller anderen.

Eben um die bürgerliche Form der Produktion zu erhalten, auch unter Bedingung keines Privateigentums mehr, ist doch der wirkliche Kommunismus (begrifflich) immer mehr und mehr in die weite Ferne gerückt worden und sind alle die Vor- und Übergangsperioden (vor dem Kommunismus, der dann ... auch noch nicht der richtige war) erfunden worden und werden sie weiterhin erfunden werden. Wir müssen kämpfen und klarstellen, was wir erkämpft haben - und dürfen keine doppelten Kämpfe führen wollen. Wir dürfen zum Beispiel nicht das, was sich bereits als Form der Negation der Warenökonomie herausstellt, weiterhin bekämpfen bis ... ja, bis wohin? Bis zur "völligen Abschaffung von Ware und Geld", usw. Dann  schaffen wir ab, was Abschaffung ist, dann bekämpfen wir, was wir erkämpft haben. (So wie Rosznyai den Sozialismus, den "es noch nirgendwo gab", fordert als Ordnung ohne Geld usw. ... aber mit Leistungsprinzip. Wie macht man Leistungsprinzip - ohne Geld?) D.h. es kann das Problem eines Übermaßes im Kampf gegen die Warenökonomie sein, dass die Verhältnisse, die bereits die Form des Kampfes gegen sie sind, bekämpft werden - und dann landen wir statt bei einer Kritik gesellschaftlicher Art an der Warenökonomie bei einem linken Radikalismus, der Formen an sich bekämpft, darunter bei sich (so wie man in Kampuchea "bürgerliche Elemente" meinte zu bekämpfen, indem man Brillenträger bekämpfte.)

Eigenartigerweise wußten die Wert- und Warenreformer im real existierenden Sozialismus immer sehr genau, dass mit den real existierenden Ware-Geld-Beziehungen kein Blumentopf zu holen war, weshalb sie auf Reform, sprich Restauration des Ursprungs drängten. (Theoretisch noch immer, oder: jetzt erst recht.)

Warum wissen sie genau, warum nicht wir auch?

Hermann Jacobs,
Berlin

Fernstudium

Frank Flegel:

Bericht vom Zwischenseminar des marxistisch-leninistischen Fernstudiums der Zeitschrift „offen-siv“, Gruppe Ökonomie, 28. 10. 06

Am 28. 10. 2006 fand das zweite Zwischenseminar der Gruppe Ökonomie unseres Fernstudiums statt, Tagungsort war Erkner bei Berlin. Die Teilnehmer/innen hatten rund drei Wochen vorher Kontrollfragen bekommen, die dazu dienten, beim Zwischenseminar in Erkner eventuelle Unklarheiten und Missverständnisse zu klären bzw. Lücken aufzuarbeiten.

Hier der Fragenkatalog:

  1. Wiederholung aus der ersten Etappe: stelle kurz die Grundlagen der Mehrwertproduktion dar.
  2. Was versteht man unter absoluter Mehrwertproduktion?
  3. Was versteht man unter relativer Mehrwertproduktion?
  4. Erkläre die „Jagd nach dem Extraprofit“!
  5. Was ist der „Fetischcharakter der Ware“?
  6. Warum kann man auch von einem Fetischcharakter des Geldes und des Kapitals sprechen?
  7. Erkläre die Entstehung eine „notwendig falschen Bewusstseins“, das Marx auch die „richtigen Widerspiegelung des falschen Scheins“ nennt! Beantworte die Frage anhand zweier Beispiele,

6.1.: am Beispiel der Legende, mit dem Arbeitslohn würde die Arbeit bezahlt: Wie kommt dieses falsche Bewusstsein zustande?

6.2.: am Beispiel der Legende, Maschinen könnten Wert schaffen: Wie kommt dieses falsche Bewusstsein zustande?

  1. Das „Kapital“ von Marx stellt die inneren Bewegungsgesetze des Kapitals dar. Das bringt einige Fragen mit sich:
    1. Wie gestaltet sich das Verhältnis von Wesen und Erscheinung, also von Logik und Empirie?
    2. Wie ist das Verhältnis von Logik und Geschichte zu bestimmen?
  2. Transferaufgabe: Versuche, den Begriff „produktive Arbeit im Kapitalismus“ zu fassen! Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Arbeit im Sinne des Kapitals „produktiv“ ist? Was ist dann „unproduktive Arbeit“ im  Sinne des Kapitals?

Zunächst haben wir also einen Blick auf die zurückliegende Etappe des Fernstudiums, die Zeit vom 1. Juli bis zum 28. Oktober 2006, geworfen. Wir beschäftigten uns nochmals mit der Marxschen Mehrwerttheorie: Kauf und Verkauf, Wert und Gebrauchswert der Arbeitskraft, Produktion von Mehrwert, Ausbeutung. Danach erörterten wir Fragen der relativen Mehrwertproduktion, vergaßen dabei auch die Jagd des Einzelkapitals nach dem Extraprofit nicht und kamen dann zur Frage der Bewusstseinsformen, also des „notwendig falschen Bewusstseins“. Hier beschäftigten wir uns nochmals rückblickend mit der Frage, warum im Kapitalismus der Eindruck entsteht, dass auch Maschinen Wert schaffen könnten.

Schließlich vertieften wir noch einige methodisch-wissenschaftliche Aspekte, so die Frage nach dem Verhältnis von Logik (Marxsche Kapitalanalyse) und Geschichte (realer Fortgang der Ereignisse). Danach waren wir bereit dazu, den Blick auf die nächste Etappe des Fernstudiums zu richten.

Die Einführung in den dritten Teil des Ökonomie-Jahres, wofür die Teilnehmer/innen konkrete Literaturhinweise (Auszüge aus K. Marx, Band I und III des „Kapital“ sowie komplett W.I. Lenin: „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ und H. Brar: „Der Imperialismus im 21. Jahrhundert“[49]) bekamen, hatte folgende Themen: Reproduktionsprozess des Kapitals, zunächst einfache Reproduktion, ihre Voraussetzungen, ihre Resultate, dann erweiterte Reproduktion, also Verwandlung von Mehrwert in Kapital, auch hier wieder Voraussetzungen und Resultate, das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Nachdem wir uns mit der Konzentration und der Zentralisation des Kapitals beschäftigt hatten, war wichtig, hier den Zusammenhang zu den Grundbestimmungen der Warenproduktion, dem Äquivalententausch, der Wertform, der einfachen Warenproduktion usw. nicht zu verlieren, sondern sich klar zu machen, dass die mit der Akkumulation des Kapitals einhergehende Monopolisierungstendenz und die sowohl zwischen den Einzelkapitalen als auch zwischen Lohnarbeit und Kapital stattfindende reale Aufhebung des „gerechten“ Äquivalententausches (bei seiner formalen Beibehaltung) keine Fehlentwicklung einer warenproduzierenden Gesellschaft, sondern deren logische Konsequenz ist.

Daran anschließend beschäftigten wir uns mit der Profitrate. Mit steigender Produktivkraft verringert sich der Einsatz lebendiger menschlicher Arbeit, das führt im Grundsatz zu sinkenden Profitraten. Im Lichte dieser Einsicht analysierten wir die gegenläufigen Tendenzen, die den Fall abbremsen und hin und wieder auch aufheben können.

Im Ergebnis wurde deutlich, dass der Kapitalismus die durch ihn entwickelten Produktivkräfte nicht mehr beherrschen kann, dass sie sich gegen ihn richten und er zur Fessel derselben wird. So konnten wir den Begriff der allgemeinen Krise des Kapitalismus mit Inhalt füllen.

Die von Lenin in seiner Imperialismustheorie weitergeführte und zugespitzte ökonomische Analyse des Kapitalismus schloss sich hier organisch an. Wir führten uns die bekannten fünf Merkmale vor Augen und stellten fest, dass wir nun auf der Höhe der Zeit waren.

Das führte zu einem Rück- und Vorausblick. Im ersten Seminar des Fernstudiums hatten wir uns die unterschiedlichen Gesellschaftsformationen und die Gründe ihres jeweiligen Entstehens, Blühens, Siechens und schließlichen Untergehens angeschaut und konnten deshalb nun eine Epochenbestimmung vornehmen: wir leben (trotz des konterrevolutionären Sieges des Imperialismus über den europäischen Sozialismus) im Zeitalter des sterbenden Kapitalismus, also, sofern die ausgebeutete Klasse die Lage begreift und das Rad der Geschichte weiterdreht, im Zeitalter des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus/Kommunismus.

Am Schluss der Sitzung entstand eine sehr interessante Diskussion über den Zustand der kommunistischen Bewegung in Deutschland. Dass die Zersplitterung der antikapitalistischen Kräfte nicht hinnehmbar ist und deshalb Schritte zur Vereinheitlichung eingeleitet werden müssten, darüber waren wir uns sehr schnell einig. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fernstudiums wollen an diesem Thema kontinuierlich weiterarbeiten – und dies vor allem praktisch, was mich als Teamer sehr freut. Dass man dazu über den Zeitraum des Fernstudiums hinaus in Kontakt bleiben muss, war Konsens.

Zum Schluss ein persönliches Wort von mir als einem seit mehr als 30 Jahren in der antikapitalistischen Linken aktiven Menschen: Die Ernsthaftigkeit, die Atmosphäre, der Elan, die Konsequenz, also die Qualität der Arbeit, das alles war für mich sehr schön zu erleben und – gerade in diesen finsteren Zeiten – ausgesprochen ermutigend.

Frank Flegel,
Hannover (Teamer)

Michael Opperskalski:

Bericht vom Zwischenseminar des marxistisch-leninistischen Fernstudiums der Zeitschrift „offen-siv“, Gruppe Politik, 11. 11. 06 - Letzte Etappe eingeläutet

Mit dem Zwischenseminar am 11. November wieder in Frankfurt wurde die letzte Etappe für die „Politikgruppe“ vor dem großen Zwischenseminar im März 2007 in Hannover eingeläutet. Bis dahin wird sich die „Politikgruppe“ mit verschiedenen Aspekten der so genannten imperialistischen „Neuen Weltordnung“ beschäftigen, vor allem:

+ aktuelle Charakteristika der so genannten „Neuen Weltordnung“

+ Rolle des US-Imperialismus

+ Rolle des deutschen Imperialismus

+ Strategie und Taktik der kommunistischen und Arbeiterparteien in den imperialistischen Zentren, nationaler, revolutionärer und antiimperialistischer Kräfte im Trikont sowie jener Länder, die sich noch einer sozialistischen Entwicklung verbunden fühlen.

Gewünscht wurde von den Teilnehmern nähere Informationen zum Irak sowie dem Charakter des irakischen Widerstandes gegen die imperialistische Besatzung, vor allem aber auch Hintergrundinformationen zu Entwicklungen in Lateinamerika im Allgemeinen und Venezuela im Besonderen.

Zur letzten Thematik soll der fachkompetente Journalist und Historiker Ingo Niebel aus Köln eingeladen werden.

Außerdem wird im Februar 2007 auf Wunsch der Teilnehmer der „Politikgruppe“ ein Sondertreffen zu Fragen und Hintergründen des so genannten „Stalinismus“ stattfinden.

Auf dem Zwischenseminar „abgearbeitet“ wurde allerdings auch der Themenstoff der vorangegangenen Lernetappen, der in folgenden Fragestellungen zusammengefasst wurde:

- Was unterscheidet den Sozialismus vom Kommunismus?

- Was bedeutet konkret, strategisch und taktisch „Diktatur des Proletariats“? Warum ist sie notwendig?

- Gibt es Klassenkampf im Sozialismus? Warum?

Wie ein roter Fahnen durchzogen auch dieses Zwischenseminar Diskussionen der Teilnehmer darüber, wie und in welcher Form die Teilnehmer nach Ende des Fernstudiums zusammen bleiben können/werden, vor allem aber auch nach der notwendigen Einheit der Kommunisten auf marxistisch-leninistischer Grundlage. 

Michael Opperskalski,
Köln (Teamer)

Buchempfehlung

Ingo Niebel

„Venezuela not for sale“

Harald Neuber schrieb in junge Welt am 14.01. 2006: „Deutsche Soldaten in Venezuela“

Nichts ist unmöglich. Ingo Niebel legt ein Standardwerk über den Prozess der „bolivarischen Revolution“ in Venezuela vor   Sagen wir mal, es wäre 1985. Ein westdeutscher Politikverlag bringt ein Buch heraus, das schier Unglaubliches voraussagt: In fünf Jahren sollen DDR und Sowjetunion nicht mehr existieren, weitere fünf Jahre später stehen deutsche Soldaten zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder in Kampfeinsätzen. Und noch einmal fünf Jahre später hat die EU eine eigene Kampftruppe aufgebaut; das Verteidigungskonzept der nun nach Berlin verlegten Bundesregierung ist offensiv ausgerichtet, und die Bundeswehr wirbt im Internet mit Auslandseinsätzen »vom Balkan über Djibouti bis Afghanistan, von der Beobachtermission bis zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus«. Wären Buch und Autor damals erst genommen worden?

Zwanzig Jahre später beginnt der Kölner Historiker und Journalist Ingo Niebel sein Buch »Venezuela – not for sale« mit einem solchen Szenario. Spezialkräfte der Bundeswehr – mit einer solchen Meldung beginnt der gut 300 Seiten starke Band – operieren in Venezuela Seite an Seite mit US Special Forces. Wahrheit oder Fiktion? Niebel zeichnet detailliert nach, wie die US-Regierung seit Jahren versucht, das sozialreformerische Projekt der »bolivarischen Revolution« zu untergraben: politisch, diplomatisch und militärisch. Besonders die SPD-Grünen-Regierung hat viel enger mit Washington kooperiert, als es so mancher »Joschka-Fan« wissen will. Die »Transatlantiker« haben sich fraktionsübergreifend gegenüber den »Europäisten« durchgesetzt....

Claudia Wangerin schrieb in Neues Deutschland am 24.01. 2006: „Ein Standardwerk über die bolivarianische Revolution“

 Was passiert, wenn ein lateinamerikanischer Staatspräsident den Eliten der USA und Westeuropas unmissverständlich klar macht, dass sein Land nicht zum Verkauf steht? Das Buch »Venezuela – not for Sale«, benannt nach dem Standpunkt des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez Frías zum Thema Privatisierung, könnte darüber Aufschluss geben.

Der Journalist und Historiker Ingo Niebel beginnt sein umfangreiches Standardwerk über die „bolivarianische Revolution“ und ihre Gegner mit einem gewagten Szenario: Spezialkräfte der Bundeswehr operieren in Venezuela »Seite an Seite« mit den US Special Forces. Diese Nachricht ist zwar fiktiv, aber dennoch kein Fantasieprodukt – dafür liefert der Autor zahlreiche Indizien. Detailliert beschreibt er die Methoden, mit denen die USA-Administration seit Jahren gegen Venezuela und seinen demokratisch gewählten Präsidenten vorgeht, um der eigenen Wirtschaftselite den Zugriff auf Märkte und öffentliches Eigentum zu sichern. Sowohl die feineren Methoden der Medienmanipulation als auch das Drehbuch und die antitotalitäre Verpackung eines versuchten Staatsstreichs werden sorgfältig analysiert.

Auch die Rolle der EU und die deutsche Außenpolitik der letzten Jahrzehnte bleiben hier nicht unerwähnt. Ingo Niebel vergreift sich bewusst an einer Ikone der deutschen Sozialdemokratie, indem er Willy Brandts Verbundenheit zur venezolanischen Bruderpartei beleuchtet, deren Präsident Carlos Andrés Pérez 1989 einen Volksaufstand blutig niedermetzeln ließ. Auch über den Militärputsch gegen den chilenischen Präsidenten Salvador Allende am 11. September 1973 war man in Deutschland an höchster Stelle informiert.


ANMERKUNGEN

  1. »Korda«, 14.09.1928 – 26.05.2001
  2. an der aus Europa u.a. Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre teilnahmen.
  3. Die neue Universität – Vortrag vor Studenten der Technologie-Fakultät, 11. Mai 1962; in: H.-E. Gross: »Ernesto Che Guevara, Der neue Mensch, Entwürfe für das leben in der Zukunft«; Weltkreis-Verlag, Dortmund, 1984, S. 98f.
  4. Aufgaben der kommunistischen Jugend - Rede anlässlich des zweiten Jahrestags der Gründung des kommunistischen Jugendverbandes „UJC“ – „Union de Jovenes Comunistas“, 20. Oktober 1962; in: H.-E. Gross: »Ernesto Che Guevara, Der neue Mensch, Entwürfe für das leben in der Zukunft«; Weltkreis-Verlag, Dortmund, 1984, S. 112f., 124f.
  5. Deutschlands arme KidsND, 21.09.06
  6. Kinderarmut - Folge von Hartz IV; stadtrotinfo,  7/2007, S.4
  7. stadtrotinfo, a.a.O.
  8. Armut in Deutschland ist jung – ND, 30.08.06; Mit Hartz gegen Kinder – jW, 30.08.06
  9. Schavan: 30 Millionen für Alphabetisierung und ArmutszeugnisND, 09./10.09.06; »Geschenke« zum UN-WeltalphabetisierungstagND, 18.09.06
  10. Schulbücher? Privatsache NRZ, 02.09.06
  11. Kein Geld für Bildung, Westanzeiger, 04.10.06
  12. NRZ, 25.09.06
  13. Der gläserne Schüler treibt Datenschützer „in den Wahnsinn“, NRZ, 02./03.10.06
  14. Brief an Sportvereine von Hans-Willi Linden (1. Vorsitzender Sportverein DJK SG Altenessen) und Marie-Luise Grzefik (Sprecherin Bürgerinitiative Freibad Hesse), 25.09.06
  15. Privatinvestoren raus aus der Schule; in: position – Extraussgabe der SDAJ-Zeitung gegen Bildunsgabbau; September 2006
  16. NRZ, 28.09.06
  17. jW, 12./13.08.06
  18. UZ, 22.09.06
  19. Gunst der StundejW, 23.08.06
  20. Wieviel Armut verträgt eine Gesellschaft? – ND-Interview, 21.08.06
  21. ND-Interview; a.a.O.
  22. Pressemitteilung von Katja kipping und Diana Golze (L.PDS), 27.09.06
  23. Der Sieg der Unbeugsamkeit – Fidel Castro zum 80. Geburtstagstag, Hans Heinz Holz, jW, 12./13.08.06
  24. H.H.Holz, a.a.O.; Hervorhebung hwh
  25. Gemeint sind Erika und Michael Belz von der DKP Gießen. Wir danken der DKP Gießen und Heinz W. Hammer für die freundliche Überlassung der Texte; d. Red.
  26. Teil 1 des Artikels von Zbigniew Wiktor mit dem Untertitel: „Die revolutionären Umgestaltungen“, ist im September-Oktober-Heft 2006 der Offensiv (Nr. 10/06) erschienen.
  27. Auszug aus dem Referat von Kurt Gossweiler bei unserer Konferenz „Auferstanden aus Ruinen – Konferenz zur Verteidigung des revolutionären Erbes der DDR“ Berlin 1999. Wir drucken hier den Teil des Referates nochmals ab, in dem es um die Ereignisse in Ungarn geht. (Red. Offensiv)
  28. Matyas Rakosi, Vorsitzender der Partei der Ungarischen Werktätigen. Mitbegründer der Kommunistischen Partei Ungarns und führend an der Ungarischen Räteregierung von 1919 beteiligt, dafür vom faschistischen Horthy-Regime nach seiner Rückkehr aus der österreichischen Emigration nach Ungarn 1926 verhaftet und zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt, auf Intervention der Sowjetunion unter der Bedingung der sofortigen Ausreise in die Sowjetunion 1940 nach vierzehnjähriger Haft freigelassen.
  29. A.Y. Wyschinski, stellv. Außenminister der UdSSR, im Sommer 1948 über die Beziehungen Jugolslawiens zur Sowjetunion: "Nach dem Sieg über Hitlerdeutschland wurden zwischen der Sowjetunion und Jugoslawiens die brüderlichsten Beziehungen hergestellt, es wurden wichtige Beschlüsse gefaßt, Jogoslawien wirtschaftlich, militärisch und politisch in der internationalen Arena zu helfen, das wir als einen unsrerer treuesten und ideologischen Verbündeten betrachteten." Zitiert in: Enver Xoxha, Die Titoisten, Tirana 1983, S. 587.
  30. Ausführlich dazu: Enver Xoxha, Die Titoisten, S. 301-556.
  31. Ausführlich dazu: Ebenda, S. 557-632.
  32. Zitiert aus: Klaus Steiniger, Tops und Flops. Die Geschäfte der USA-Geheimdienste, Berlin 1998, S. 38f. (Unterstreichungen von mir, K.G.)
  33. Zitiert aus: Laszlo Rejk und Komplizen vor dem Volksgericht, Berlin 1949, S. 193, 195 ff.
  34. Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie!, Nr. 27/1953. Im Sender "SFB" wurde am 15.6.1983 in einer Sendung berichtet, Chrustschow habe von Rakosi die Ernennung Imre Nagys zum Ministerpräsidenten verlangt.
  35. Für dauerhaften Frieden,... Nr. 28/1953
  36. Für dauerhaften Frieden,..., Nr. 10/1955
  37. Archiv der Gegenwart, S. 5292
  38. Für dauerhaften Frieden..., Nr. 50/1955
  39. Neues Deutschland v. 24.7.1956
  40. Archiv der Gegenwart, S. 6106
  41. Archiv der Gegenwart vom 4. November 1956, S. 6069
  42. Ebenda, S. 6068
  43. Ebenda, S. 6070. Zur Konterrevolution in Ungarn siehe auch die vier Hefte des Informationsbüros des Ministerrates der Ungarischen Volksrepublik: Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktoberereignissen in Ungarn; ferner: Die konterrevolutionäre Verschwörung von Imre Nagy und Komplizen. Dieser vom gleichen Büro herausgegebene Band enthält einen großen Teil der Materialien des Prozesses gegen Imre Nagy.
  44. Archiv der Gegenwart, S. 6069
  45. ebenda.
  46. Hans Adler, Zwischen Kairo und Budapest. Die Geschichte einer Verschwörung. Berlin 1957, S. 84f.
  47. Archiv der Gegenwart, S. 6071
  48. Sie ist dann nämlich keine Frage der Preise der Betriebe, sondern der den Betrieben zugewiesenen Geldfonds; sie sind zweckgebunden, nicht offen - wie sie aber bei wertbestimmten Preisen wären.
  49. Die Literaturaufgaben für die nächsten knapp vier Monate sind:
    - Marx, Kapital, Band I, MEW 23: S. 589-599; 603/4; S. 605-614; 640-642; S. 650-658.
    - Arbeitsheft des Fernstudiums, Nr.2:
      Teil 1: Marx zum Tendenziellen Fall der Profitrate, Nachdruck aus Band III des „Kapital“.
      Teil 2: Gesellschaftsformationen, Nachdruck des Schulungsmaterials eines Fernstudiums
      Geschichte aus der DDR.
    - Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus; in: LW 22, komplett.
    - Brar: Imperialismus im 21. Jahrhundert; Pahl Rugenstein Verlag Nachfolger, komplett.